- Lola -
„Glaubst du ihr?“
„Was?“ Etwas überrascht über die plötzliche Frage schaue ich in kniender Position von meinem halbgebundenen Schuh zu meiner Mutter auf, die mich mit nachdenklichem Blick mustert. „Wie meinst du das denn jetzt?“
„Nun“, beginnt meine Mutter und seufzt tief auf, ehe sie eine Hand in die Hüfte stemmt, „du wirst dich ja sicherlich nicht ohne Grund mit Zoe treffen, oder?“
„Stimmt“, mit einem knappen Nicken verbinde ich die beiden Schnürsenkel zu einer vollständigen Schleife und streiche anschließend über meine Lederjacke, nachdem ich wieder aufgestanden bin, „ich treffe mich mit Zoe, weil ich mit ihr über diese ganze…Situation…reden möchte.“
„Also glaubst du ihr, dass sie dich liebt?“, hakt meine Mutter nach und ich sehe, wie sich erleichterte Züge auf ihrem Gesicht bilden.
Seufzend verdrehe ich die Augen.
„Darum geht es doch gar nicht, Mama. Natürlich glaube ich Zoe, dass sie mich liebt.
Allerdings…“ Ich halte für einen Moment inne und beginne, langsam auf meiner Unterlippe zu kauen, wobei ich gleichzeitig einige Atemzüge lang zur Seite schaue. „Allerdings…weiß ich nicht, inwiefern Zoe noch Gefühle für Robert hat. Gefühle, über die sie sich vielleicht gar nicht richtig im Klaren ist. Und wahrscheinlich hätte ich diese Zweifel auch gar nicht, wenn sie sich gestern nicht so komisch verhalten hätte. Ich…ich möchte sie einfach nur verstehen…oder es zumindest versuchen. Auch wenn Zoe sich scheinbar zurzeit nicht einmal selbst wirklich versteht, was das Ganze noch komplizierter macht.“
„Aber vielleicht kannst du ihr ja dabei helfen, etwas an Klarheit zu gewinnen. Wenn Zoe diese nicht bereits schon hat. Zumindest schien sie in ihrem Brief sehr überzeugt davon zu sein, dass sie keine Gefühle mehr für Robert hat“, erwidert meine Mutter leise und streicht mir eine widerspenstige Haarsträhne aus der Stirn, was mich erneut aufseufzen lässt.
„Ja…ich hoffe es zumindest…“
Das unerwartete Türklingeln lässt uns beide erst leicht zusammenzucken und anschließend ein wenig verdutzt über den Flur in Richtung Wohnungstür schauen.
Ist…ist das etwa Zoe?
Wollte sie sich vielleicht nicht mit mir am Hafen treffen, sondern lieber hier?
In vertrauter Umgebung?
Das würde zumindest erklären, warum sie mir nicht auf meine Nachricht geantwortet hat…
„Willst du direkt gehen oder soll ich erst mal?“, fragt meine Mutter, die ihrem fast schon besorgten Seitenblick in meine Richtung nach zu urteilen meine Gedanken erraten hat.
„Nein, ist schon okay“, murmle ich kopfschüttelnd und hole tief Luft, ehe ich mit frisch gestrafften Schultern in Richtung Wohnungstür gehe, welche ich nach erneut kurzem Innehalten aufziehe und im nächsten Moment vor Verwirrung die Augen aufreiße.
Was zum…?!
Was macht der denn hier?!
„Ähm…guten Tag, Lola“, begrüßt Christoph mich, der mich etwas verunsichert und mit leicht zwischen den Schultern gezogenen Kopf ansieht, wohingegen ich den von Danny getauften Bücherhalter verwirrt anblinzle.
„Äh…ja…hi“, erwidere ich, immer noch ein wenig irritiert, bevor ich mich zu meiner Mutter, die immer noch hinter mir im Flur steht, umdrehe, „ich glaube, der Besuch ist eher für dich gedacht gewesen, Mama.“
„Ja, ähm…sieht ganz so aus“, entgegnet meine Mutter überraschend zögernd, bevor sie Christoph ein dezentes, fast schon gezwungenes Lächeln schenkt.
Was…Was soll das denn jetzt?
Ich spüre, wie sich wachsende Verwirrung auf meinem Gesicht abzeichnet, während ich zwischen meiner Mutter und Christoph hin und her schaue.
Haben die beiden sich gestritten?
Oder warum verhalten sie sich so merkwürdig?
„Hallo, Sarah“, im Gegensatz zu meiner Mutter wirkt das Lächeln von Christoph ehrlich, fast schon erleichtert, während er sich verlegen hinterm Kopf kratzt, „ich…ähm…ich war gerade in der Nähe und wollte fragen, ob ich dich vielleicht zum Frühstück einladen könnte? Oder später zum Mittagessen vielleicht?“
„Ich…äh“, unruhig zupft meine Mutter an einer losen Haarsträhne, so wie immer, wenn sie nervös ist, wohingegen meine Stirn sich mehr und mehr in Falten legt, „das…das würde ich wirklich gerne, Christoph. Aber ich…ähm…ich habe leider schon etwas anderes vor. Ich…ich wollte den Tag nämlich mit Lola verbringen.“
Hä?
Mit mir?!
Meine Mutter, die mir auf meinen nun komplett verwirrten Blick hin mit einer kurzzeitigen Weitung ihrer Augen zu verstehen gibt, dass ich mitspielen oder zumindest den Mund halten soll, versucht gleichzeitig ihren entschuldigenden Gesichtsausdruck aufrecht zu erhalten, während sich auf Christophs Gesicht enttäuschte Züge ausbreiten.
„Ach so…ähm…verstehe“, murmelt er und nickt langsam, „wie…äh…wie wäre es denn dann vielleicht morgen? Oder übermorgen?“
„Eher schwierig. Ich habe in letzter Zeit wirklich viel zu tun. Aber ich melde mich bei dir, sobald ich wieder Zeit habe, okay?“
Gerade der letzte Satz kam sehr stolpernd und fast schon übereilt aus dem Mund meiner Mutter, was Christoph jedoch nicht zu irritieren scheint, da er erneut verständnisvoll nickt.
„Ja, natürlich“, sagt er und holt tief Luft, „dann…dann wünsche ich euch beiden einen schönen Tag.“
„Danke, dir auch“, entgegnet meine Mutter, die nun neben mich an die Haustür tritt und diese schließt, bevor Christoph, der noch zum Reden ansetzt, noch etwas sagen kann.
Kaum dass die Tür ins Schloss geklickt ist und wir nach kurzem Innehalten Christophs Schritte hören, die langsam die Treppenstufen wieder hinunter gehen, atmet meine Mutter tief aus, so als würde eine schwere Last von ihr fallen, ehe sie sich auf die Unterlippe beißt, als sie meinen Blick von der Seite erneut bemerkt.
„Jetzt schau mich nicht so an…“
„Wie schaue ich denn?“
„Na ja, so…so wie du eben schaust…“
„Und kannst du mir das verübeln?“, entgegne ich und stemme mit prüfend gehobener Augenbraue eine Hand in die Hüfte, „ich meine, wieso behauptest du, dass wir heute etwas zusammen unternehmen würden? Und warum behandelst Christoph so abweisend?“
„Ich…ach, keine Ahnung…“
„Keine Ahnung?“, ich ziehe meine Augenbraue noch ein Stück mehr hoch, „du hättest ihm doch einfach sagen können, dass du keine Zeit oder Lust hast, dich mit ihm zu treffen. Da musst du dir doch nicht so einen Schwachsinn ausdenken. Oder gibt es einen anderen Grund?"
„Nein…“
„Sicher? Habt ihr euch vielleicht gestritten oder…?“
„Nein, verdammt! Wir haben uns nicht gestritten, okay?!“
Die überraschend heftige Reaktion meiner Mutter lässt mich für einen Moment zusammenzucken, ehe ich meine Schulter wieder etwas straffe als meine Mutter sich mit einem kraftlosen Seufzen rücklings gegen die Tür lehnt und ihre Augen schließt.
„Ich…verdammt, ich weiß doch auch nicht, was auf einmal mit mir los ist. Seit Tagen schaffe ich es nicht, mit Christoph zu reden oder auch nur in seiner Gegenwart zu sein. Es ist
irgendwie alles so anders zwischen uns seit…seit…“
Sie verstummt und fährt sich mit einer Hand über ihr Gesicht, doch ich habe auch so verstanden, worauf sie hinaus möchte.
„Seit du von Nicos Existenz erfahren hast und er dich durch seine Ähnlichkeit so sehr an Papa erinnert?“, frage ich und streiche meiner Mutter sanft über den Arm, als sie zaghaft nickt.
„Ich dachte, ich hätte mittlerweile wirklich damit abgeschlossen. Aber es…es kommt einfach alles von damals wieder hoch. Und ich…ich fühle mich dann einfach so verlogen und falsch, wenn ich mit Christoph zusammen bin.“
Ihre Worte sind leise, fast schon flüsternd, und auch mehr zu sich selbst gesprochen, als zu mir.
Scheinbar ist Zoe nicht die Einzige, die sich über ihre Gefühle nicht so wirklich im Klaren ist…- Zoe -
Mein Herz schlägt mir bis zum Hals, als ich das Hafengelände betrete und mit zielsicheren und zugleich zitternden Schritten den Treffpunkt ansteuere, auf den Lola sich vermutlich in ihrer Nachricht bezogen hat.
Und tatsächlich!
Genauso wie damals steht sie an das Geländer gelehnt auf der Brücke, von der aus man auf das große Hafenbecken mit den angedockten Booten blicken kann.
Genauso wie damals, als sie mir nicht sagen konnte, dass sie von Herrn Lüdenscheid erpresst wird und aus diesem Grund die Schule abgebrochen hat, um mich und uns zu schützen.
Nur hoffentlich würde diese heutige Begegnung nicht genauso enden wie damals…
Für einen Moment bleibe ich stehen und betrachte Lola innehaltend, die ihren Blick auf die Boote im Hafen gerichtet hat und dabei vollkommen in ihren eigenen Gedanken versunken zu sein scheint, bis sie sich mit einem Mal mehrfach blinzelnd aufrichtet und aufhorcht, so als hätte sie meine Anwesenheit bemerkt.
Oder…vielmehr gespürt?
Doch bevor ich weiter darüber nachdenken kann, dreht Lola sich in meine Richtung und ich versinke, wie schon so oft, in ihren azurblauen Augen, auch wenn ich noch einige Meter von ihr entfernt stehe.
Einige Herzschläge lang schauen wir uns einfach nur an, bis Lola schließlich beginnt nach kurzem Luftholen auf mich zuzutreten und schließlich einen Schritt von mir entfernt stehen bleibt, wohingegen ich immer noch unbewegt und mit stetig wachsendem Herzschlag am Anfang der Brücke stehe.
„Hallo Zoe.“
Lolas Stimme ist nicht mehr als ein leiser Hauch, während sie mich mit in den Taschen ihrer Lederjacke vergrabenen Händen betrachtet und mich immer noch ansieht, wodurch ich weiterhin damit kämpfe, nicht noch mehr in dem Blick ihrer Augen zu versinken
„H-Hallo L-Lola“, erwidere ich und räuspere mich, als ich das Zittern meiner Beine nun auch in meiner Stimme höre, „ich…ähm…ich wollte mich für deine Nachricht bedanken. Und für die Möglichkeit dich zu sehen und…na ja…zu reden.“
„Schon okay“, murmelt Lola, deren Augen meiner Bewegung folgen, als ich mir unruhig eine lose Haarsträhne hinters Ohr streiche, „ich…ich schätze, dass wir ums Reden ohnehin nicht herumgekommen wären…“
„Oh…“
Ich schlucke.
Das hört sich nicht so an, als ob sie wirklich mit mir reden wollen würde, sondern es mehr als ein notwendiges Übel ansieht…
Trotz meines schwerer werdenden Herzens versuche ich mir meine Enttäuschung und schwächer werdenden Mut möglichst nicht anmerken zu lassen und kaue stattdessen auf meiner Unterlippe.
„Möchtest du…allgemein reden? Oder gibt es…gibt es etwas Konkretes, worüber du sprechen möchtest?“
„Ja, das gibt es“, erwidert Lola und ich spüre, wie mein Herz für einige Augenblicke aussetzt, als sie erneut tief Luft holt, „ich…ich möchte, dass du mir von Robert erzählst. Von Robert und von eurer Beziehung…“
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Hochzeit Auf Französisch (Lola & Zoe - Band 3) (girlxgirl; wedding)
Romance- Fortsetzung zu „Liebe Auf Französisch" und „Weihnachten Auf Französisch" - Man sagt, dass die Hochzeit der schönste Tag des Lebens ist. Was einem jedoch niemand sagt, ist die Tatsache, dass bis zu diesem besagten schönsten Tag des Lebens eine Me...