8. Kapitel •

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Amara

Ich blicke über die weitläufige Fläche des von Wiesen durchzogenen Tals und kann meinen Augen nicht trauen.

Überall entdecke ich Leute, die den verschiedensten Aktivitäten nachgehen. Ganz gewöhnlichen und banalen Dingen. Sie tanzen nicht etwa trommelnd um ein Feuer herum und bereiten sich mit blutrünstigen Augen darauf vor, unschuldige Rudel abzuschlachten,wie ich es mir bei den Rouges immer vorgestellt habe.

Oder, besser gesagt: Wie es mir bisher immer erzählt wurde.

Eine Gruppe von kleinen Kindern rennt lachend durch die Gegend. Scheinbar spielen sie Fangen und wirken dabei so ausgelassen, dass mein Herz sofort bei ihrem entzückenden Anblick dahinschmilzt. Rücksichtslos zwängen sie sich an den Erwachsenen vorbei, schlüpfen durch jede freie Lücke, die sie finden können und bringen mit ihrer Toberei sogar einen der Verkaufsstände ins Wanken, sodass einige rote Äpfel von diesem auf den Boden herunterkullern, was der Besitzer des Stands jedoch lediglich mit einem nachsichtigen, gar verzückten Lächeln in Richtung des quiekenden Mädchen quittiert, welches sich in der Zwischenzeit, mit weit aufgerissenen Augen, bereits dem nächsten Hindernis nur haarscharf ausweichen kann.

Ungläubig lasse ich meine Augen weiter wandern. Ein verliebtes Pärchen sitzt, eng aneinander gekuschelt, auf einer ausgebreiteten Decke am Boden. Sie sehen schon ein wenig älter und etwas mitgenommen aus, doch während der Mann seiner Frau leise etwas ins Ohr flüstert, funkeln ihre Augen voller Liebe und ein helles Strahlen breitet sich auf ihrem Gesicht aus, was die beiden sogleich wie frisch verliebte Jugendliche wirken lässt. Kurz frage ich mich, wie alt die beiden wohl sein müssen, da Werwölfe sehr viel langsamer altern als die Menschen. Wie viel Lebenszeit einem Gestaltwandler bleiben, hängt unter anderem natürlich auch von der Stärke seiner animalischen Seite ab. Sie könnten also auch Omegas sein, die schwächsten Mitglieder eines jeden Rudels, was es allerdings nur umso beeindruckender machen würde, dass sie ohne ein solches überhaupt überlebt haben.

Verwundert suche ich die Gegend nach einem Hinweis darauf ab, dass dies alles nur ein Schauspiel ist, um mich zu täuschen. Doch ich entdecke nur ein paar weitere kleine Stände, an denen die verschiedensten Leckereien angeboten werden. Von dem süßlichen Duft, der zu mir hinüberweht, zieht sich mein Magen schmerzhaft zusammen und ich muss den Blick abwenden, da der Hunger sonst droht, mich zu übermannen. Wie lange habe ich schon nichts mehr gegessen? Um mich abzulenken, studiere ich den ungewöhnlichen Ort, an welchem ich mich befinde, noch ein bisschen und erkenne dabei viele weitere Holzhütten, die der, in der ich aufgewacht bin, fast ausnahmslos gleichen.

Umso länger ich die Menge jedoch beobachte, nehme ich nach einer Weile auch immer mehr schlecht gelaunte Personen wahr. Aber auch sie wirken keineswegs furchteinflößend und grausam. Eher besorgt und ... ängstlich. Viele Gesichter erscheinen leer und leblos. Als hätten sie überhaupt keinen Lebensmut mehr. Die meisten von ihnen sind in zerrissene oder verdreckte Kleidungsstücke gehüllt, die vermutlich noch aus der Zeit stammen, bevor sie aus ihren Rudeln verbannt worden sind. Was haben all diese Leute nur getan, um die schlimmste Strafe, die einem Werwolf widerfahren kann, zu verdienen?

Hoffnungslos. Das ist es, was sie sind, bläut es mir, nachdem ich alles noch ein wenig genauer betrachtet habe.

Aus dem Augenwinkel nehme ich wahr, wie Mason sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen verlagert, was mich glücklicherweise aus dem Trance-artigen Zustand befreit, in welchem ich mich bis eben befunden habe. All diese neuen Eindrücke, sind einfach... ganz anders, als ich erwartet hatte. Ich stehe immer noch genau vor dem Hauseingang, zusammen mit dem Alpha, der mir diesen kleinen Ausflug erlaubt hat. Es sind wahrscheinlich erst Sekunden vergangen, seit ich diese ganzen Eindrücke wahrgenommen habe. Und trotzdem ist es mir ehrlich gesagt jetzt schon zu viel zum Verarbeiten.

Gerade will ich mich an Mason wenden und ihn darum bitten, mich einfach wieder reinzubringen, da fällt mir auf, dass sich mittlerweile alle Köpfe in unsere Richtung gewandt haben. Und sie starren uns an.

Nein, das stimmt nicht ganz. Sie starren nur mich an. Direkt zu Mason zu sehen, vermeiden sie.

Erdrückt von der unangenehmen Aufmerksamkeit, rutsche ich instinktiv ein Stückchen näher zu der einzigen Person, die ich hier bis jetzt kennengelernt habe. Welche eben keine geringere als der Alpha und vermeintliche Anführer dieser Gruppe selbst ist. Als unsere Schultern sich leicht berühren, fängt diese Stelle zeitgleich wieder an zu kribbeln. Trotzdem breche ich den Körperkontakt nicht ab. Irgendwie fühle ich mich bei ihm sicher, auch wenn mir das selbst unglaublich wahnsinnig vorkommt.

Ich muss noch unter Schock stehen.

Als wäre es auch für ihn das Normalste auf der Welt, legt er mir eine Hand beruhigend an den Rücken. Meine Augen weiten sich für den Hauch einer Sekunde erschrocken, bevor ich mich fest zusammenreiße. Ich bin schließlich diejenige, die bei ihm Schutz gesucht hat. Das ändert allerdings nichts daran, dass die Wärme, welche von seiner Hand direkt in meinen Rücken ausstrahlt, mich rasend macht.

"Du musst keine Angst haben. Sie beißen nur, wenn ich es sage", raunt mir mein persönlicher Folterknecht plötzlich ganz nah ins Ohr. Sein heißer Atem verpasst mir dabei eine Gänsehaut und irgendwie erweckt er den Drang in mir, meine Haare nach hinten zu werfen, um ihm meinen Hals zu-

Okay, stopp! Was ist los mit mir?!

Glücklicherweise hat der Schwarzkopf sich bereits wieder ein Stück weit von mir entfernt. Er macht daraufhin ein paar Schritte vorwärts und dreht sich anschließend zurück zu mir um. Flüchtig zwinkert er mir zu, was wahrascheinlich nur ich sehen kann, da ich nun die Einzige bin, die nicht hinter ihm steht.

Dann breitet er seine Arme weit aus. Seine Mundwinkel heben sich zu einem verschmitzten Grinsen, welches das Herz in meiner Brust sofort zum stolpern bringt. "Willkommen in Vallis Mortis, Amara!"

Er reckt den Kopf gen Himmel und fängt plötzlich an, in einem ohrenbetäubenden Ton loszuheulen. Innerhalb eines Augenblicks tun alle anderen Anwesenden es ihm gleich. Ich sehe sogar Personen aus ihren Häusern stürmen, um sich zum Rest dazu zu gesellen und in den lauten Chor mit einzustimmen. So, wie sie da stehen, eine Gruppe von Aussetzigen, die sich vielleicht ursprünglich nur aus der Not heraus vereint haben, doch aufgrund ihres ähnlichen Schicksals nun auf ewig miteinander verbunden sind, treibt es mir die Tränen in die Augen. Ich kann den Zusammenhalt deutlich spüren, kann genau erkennen, wie sie zusammengehören, so wie die unzähligen Sterne am Nachthimmel. Und Mason ist ihr Mond.

Es kostet mich selbst die Anstrengung wirklich jedes einzelnen erschöpften Muskels, mich ihnen nicht auch anzuschließen.

„Wunderschön", flüstere ich überwältigt.__________________________________

Ich weiß es ist etwas kurz, das liegt aber daran, dass ich vorhabe gleich noch eins hochzuladen 😏❤

Ich hoffe, ihr könnt euch schon ein kleines bisschen in das Tal einfühlen und verspreche, dass ihr den Ort und die Leute schon im nächsten Kapitel noch besser kennenlernen werdet! 🥰

Amara & Mason ~ Alpha Der RudellosenWhere stories live. Discover now