10. Kapitel •

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Amara

Der Ort wirkt beinahe genau so düster, wie ich ihn mir vorgestellt habe.

Ein altmodischer Kronleuchter an der Decke hüllt den Innenraum in ein Dämmerlicht. Anstelle von Glühbirnen, ist er mit einem Dutzend schwarzer Kerzen bestückt. Im hinteren Bereich steht eine große Theke mit einigen Barhockern davor, hinter der sich die verschiedensten Alkoholflaschen in einem hohen Regal tummeln. Diese werden von einer zwielichtigen Gestalt in ungleichen Gläsern an die Gäste verteilt.

Durch das Ambiente komme ich mir eher vor wie in einer Bar, als in einem Restaurant. Es liegt zwar kein unangenehmer Rauchgeruch in der Luft und es existiert auch keine Tanzfläche, auf der sich verschwitzte Körper aneinander pressen. Aber leise Musik spielt im Hintergrund und die deprimierende Melodie trägt auch nicht gerade zu meiner Stimmung bei.

Und trotz allem umgibt die Traube an Leuten, die sich hier aufhalten, irgendwie eine ausgelassene Aura. Als hätten wir gerade den Übergang zu einem völlig gegensätzlichen Universum betreten, sehe ich hier plötzlich niemanden mehr mit einem pessimistischen Ausdruck herumlungern. Umso bizarrer ist es für mich, den Namen dieses Schuppens nachzuvollziehen. Stattdessen werden angeregte Unterhaltungen geführt. Leute sitzen in kleinen Grüppchen zusammen, lachen miteinander und genießen es sichtlich, einen Abend mit ihren Freunden verbringen zu können. Ich frage mich, ob sie sich vielleicht auch gerade deshalb so sehr darum bemühen, Spaß zu haben, weil sie einige ihrer Freunde, die sonst mit ihnen hier saßen, bereits verloren haben. Um sie zu ehren.

Wie viele Gesichter sind wohl schon einmal durch die Tür nach draußen gewandert und nie wieder zurückgekehrt?

Ich werfe einen Seitenblick zu dem Alpha, der, genauso wie alle anderen hier, wirkt als hätte man ihm beim Übertreten der Türschwelle eine gewaltige Last von den Schultern genommen. Seine Körperhaltung ist aufrecht, aber nicht angespannt, seine Brust hervorgestreckt. Fast so, als könne er seit langem endlich mal wieder frei durchatmen.

Es steht ihm viel besser, wenn er so locker ist, denke ich mir und laufe dann im nächsten Augenblick schon wieder hochrot an, weil er mich beim Starren erwischt hat.

Doch er erwidert meinen Blick nur mit einem belustigten Funkeln in diesen wunderschönen hellgrauen Augen.

Dieser Ort muss magisch sein, anders kann ich mir das alles einfach nicht erklären.

"Und? Fühlst du dich wohl genug, um ein Essen mit mir hier drin zu überstehen?", fragt Mason mich erwartungsvoll.

Ich kann nicht verhindern, dass sich ein erleichtertes Lächeln über meine Lippen legt. Ich hatte wirklich Angst gehabt, dass es hier total gruselig ist und mich wieder alle anstarren. Aber niemand benimmt sich mir gegenüber feindselig, zumindest soweit ich das erkennen kann. Und ich habe wirklich einen Bärenhunger.

"Klar", erwidere ich deshalb gelassen. "Wo setzen wir uns hin?"

"An den Tisch dahinten. Ich möchte dir jemanden vorstellen."

Alle meine positiven Gedanken kommen umgehend zum Stillstand und mein viel zu leerer Magen verknotet sich schmerzvoll. "Wen denn?"

Meine Stimme zittert leicht und ich hoffe inständig, dass mein Begleiter im Moment zu abgelenkt ist, um das wahrzunehmen. Denn der steuert bereits auf einen der vielen Holztische zu, die sich durch den ganzen Laden ausbreiten. Vor einem Vierer-Tisch halten wir an und ich ziehe meine Stirn kraus, während ich krampfhaft versuche mir wieder ins Gedächtnis zu rufen, wo ich die beiden dort Sitzenden schon einmal gesehen habe.
Plötzlich macht es Klick und ich muss schlucken.

Das sind zwei von denen, die mich auf der Lichtung gefunden haben.

Panik durchflutet meine Glieder und ich hoffe inbrünstig, dass das jetzt nichts schlechtes für mich zu bedeuten hat. Anstelle von blutrünstigen Augen und fletschenden Reißzähnen, begrüßen mich allerdings nur sympathisch wirkende Mienen mit einem ehrlich wirkenden, wenn auch leicht zögerlichen Lächeln.

Amara & Mason ~ Alpha Der RudellosenWhere stories live. Discover now