14. Essigwickel gegen das Fieber

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Ich hatte Federica nun einige Wochen weder gesehen, noch hatte ich von ihr gehört. Bei ihr gemeldet hatte ich mich sowieso nicht, denn mein Vorsatz war noch immer aktuell – keine Bindungen mehr zu niemandem.

Heute war ich wach geworden und ich hatte mich bereits schlecht gefühlt. Mein Schädel schmerzte unglaublich stark und auch das Aspirin, das ich am Morgen noch genommen hatte, schien nicht wirklich zu helfen. Hinzu kam, dass ich irgendwie schwach war und mein Kreislauf einfach nicht mitspielte. Ich hatte zwar noch die Wohnungen gereinigt, doch nun lag ich in meinem Bett – die Vorhänge zugezogen, da das Licht in den Augen wehtat – und ich versuchte, mich auszuruhen. Ich hatte es geschafft, ein wenig zu schlafen, doch als ich wach wurde und auf die Uhr schaute, war es gerade mal ein Uhr früh und ich fühlte mich mordselend. Das Kopfweh war schlimmer geworden und mein Gesicht glühte, sodass ich mich erstmal der Decke entledigte. Ich wurde jetzt doch bitte nicht krank, ich musste heute Abend arbeiten! Leider verschlechterte sich mein Allgemeinzustand zusehends und als ich mich dazu entschied, meine Temperatur zu messen, zeigte das Thermometer 38,7 Grad. Na toll, ich hatte schon ewig kein Fieber mehr gehabt! Und für meine Verhältnisse war das schon recht hohes Fieber, hatte ich doch eine relativ niedrige Normalkörpertemperatur. Ich sollte etwas dagegen nehmen, um es zu senken, doch – wer hätte das gedacht – ich hatte natürlich keine anderen Medikamente hier. Wieso war ich nur so naiv gewesen, zu glauben, ich würde hier nicht krank werden? Manchmal fühlte ich mich doch noch wie ein Kind und ich wünschte mir gerade wirklich meine Mutter herbei. Aber sie war nicht hier. Sie wäre nie wieder hier. Und wenn, würde sie mir wohl nicht helfen. Ich war eine Enttäuschung, sie hatte es selbst gesagt. Eine einzelne Träne, eine Träne der Verzweiflung, rann meine linke Wange herab, doch ich besann mich sofort wieder, denn Weinen würde das alles jetzt nur schlimmer machen.

Eine ganze Weile hatte ich reglos im Bett gelegen und mir eine Mexalen herbeigewünscht. Mehrmals war mir Federica in den Sinn gekommen, die einzige Person, die mir jetzt wohl eine verschaffen könnte, doch es war mitten in der Nacht. Wäre sie mir böse, wenn ich sie anriefe? Und wenn schon, irgendetwas musste ich nehmen, denn mein Fieber stieg nur weiter.

Drei Uhr früh. Jetzt hatte ich wohl auch noch lange genug gewartet, sodass ein Anruf nun wirklich unpassend war. Ich hasste mich für meine Unsicherheit. Anica hätte sie längst angerufen. Sie war immer die Selbstbewusstere von uns beiden gewesen, was so etwas betraf. „Sei doch einmal wie Anica", schoss es mir durch den Kopf. Sollte ich wirklich? Ich hatte mich noch nie bei ihr gemeldet und es kam mir blöd vor, bloß anzurufen, weil ich jetzt etwas brauchte. Ich wollte Federica auf keinen Fall das Gefühl geben, sie nur auszunutzen. Wieso mir das so wichtig war, war mir allerdings unerklärlich.

Mir ging es wirklich dreckig und so entschied ich mich um halb vier letztendlich dazu, ihre Nummer einfach zu wählen.

„Zangaro?" Ich zögerte. Zangaro war also ihr Nachname – schön. „Äh, hier ist Laura", gab ich kleinlaut von mir und sofort klang die zuvor noch echt verschlafene Federica hellwach. „Laura! Che c'è? Ist alles in Ordnung?" Wieder schwieg ich für einen Moment, dann gab ich zurück: „Um ehrlich zu sein, nein. Ich bin krank, habe Fieber... Da ich aber keine Medikamente hier habe, wollte ich dich fragen, ob du... naja... ob du vielleicht eine Mexalen oder irgendetwas Fiebersenkendes hättest. Ich weiß, das kommt gerade sicher total blöd, ich hab mich immerhin sonst noch nie bei dir gemeldet, aber es geht mir echt dreckig und du bist die Einzige, die ich hier kenne, also, ich meine, die ich kenne, die vielleicht... ähm... Tabletten daheim hat?" Verdammt, ich hatte mich verplappert. Sie hätte nie erfahren sollen, dass ich keine Freunde hatte, dass ich allein war, warum war ich so ein Dummkopf?! Zu meiner Erleichterung schien sie trotz meiner Unbeholfenheit gerade nicht kapiert zu haben, was meine Aussage wirklich bedeutete. „Ich bin in zehn Minuten bei dir, du müsstest mir nur aufsperren, schaffst du das kreislaufmäßig?" Ich nickte, dann bejahte ich auch noch, nachdem ich bemerkt hatte, dass sie meine nonverbalen Gesten ja durch das Handy nicht sehen konnte. „Ich danke dir, Federica, wirklich!"

Keine zehn Minuten später klopfte es an meine Tür – Klingel hatte ich leider keine. Ich raffte mich vom Sofa auf, auf das ich mich geschleppt hatte, da es sich näher an der Türe befand und hievte mich durch den Raum. Selbst das Knarzen des Holzes war mir heute zu laut und so verzog ich schmerzverzerrt das Gesicht. „Hey, lass dich mal ansehen. Ohje, du siehst wirklich nicht gut aus", meinte Federica umgehend, während sie mir sanft auf die Stirn griff um offenbar meine Temperatur zu checken. „Ich habe alles Mögliche mit, am besten, du legst dich wieder ins Bett und ich mache dir erstmal Essigwickel gegen das Fieber", warf sie nach. Ein wenig erstaunt meinte ich: „Du willst hierbleiben? Das musst du wirklich nicht, gib mir einfach die Tablette und ich kauf dir, sobald ich gesund bin, eine Packung nach." Lachend schüttelte sie den Kopf, weshalb ich meine glühende Stirn runzelte, dann sprach sie, immer noch lächelnd: „Du bist ja echt hart, aber ich lasse dich in diesem Zustand nur ungern alleine." Verblüfft, doch irgendwo auch dankbar, schlich ich in mein Zimmer und ließ mich ins Bett fallen. Federica war in der Küche geblieben und ich hörte, wie sie die Wickel zubereitete. Sie war hier. Bei mir. Obwohl ich sie immer wieder von mir wegstieß...

„Alles klar, die werden helfen", flüsterte sie beinahe, als sie vorsichtig meine Hand nahm und den weißen, in Essig getränkten Verband herumwickelte. Ich zuckte kurz zusammen, denn er war wirklich kalt, doch die warme Hand meines Gegenübers wärmte mich sogleich wieder. Sie wiederholte den Vorgang an meiner anderen Hand und an meinen Beinen, dann reichte sie mir ein Glas Wasser und ich schluckte zusätzlich die Mexalen. Vom bitteren Geschmack der Medizin angeekelt verzerrte ich das Gesicht, was meine Besucherin wieder kurz schmunzeln ließ, dann stellte sie mit sanfter Stimme fest: „Sie wird gleich wirken und die Essigwickel unterstützen dein Immunsystem zusätzlich, dir wird es bald wieder besser gehen." Während ich hier so lag, blieb sie an meinem Bettende sitzen und erzählte mir von ihrem Tag. Sie hatte gearbeitet, war einkaufen gewesen, hatte geputzt, gekocht und geschlafen. Ich lauschte gespannt, ihre Stimme war so beruhigend, doch meine Augen waren bereits so schwer, sodass ich es nicht mehr schaffte, nachzufragen, wo sie denn überhaupt arbeitete. Ich kannte sie wirklich nicht und trotzdem war sie hier bei mir. Und mit diesem Gedanken und einem Gefühl der Dankbarkeit und Geborgenheit fielen meine Augen dann endgültig zu.

Vorsichtig blinzelte ich gegen das helle Licht. Es war noch relativ früh am Morgen, die Vögel zwitscherten vor meinem Fenster und die Ferienanlage schlief noch, doch in meinem Zimmer war es bereits richtig heiß. Mir fiel ein, dass ich in der Nacht ja Fieber gehabt hatte und sofort griff ich mir auf die Stirn, um zu checken, ob sie immer noch glühte. „Fieber solltest du normalerweise keines mehr haben, es kann nur sein, dass du dich einfach noch ein wenig schlapp fühlst." Nun riss ich erschrocken die Augen auf. Sie war noch hier! Federica war nicht gegangen, nachdem ich eingeschlafen war! Sie saß hier auf meinem Stuhl, auf den ich eigentlich immer relativ achtlos meine Wäsche warf, die schon zu getragen war für den Schrank, aber noch zu sauber, um sie zu waschen. „Tut mir leid, wenn ich dich erschreckt habe, das wollte ich nicht", sprach sie nun, nachdem ich immer noch kein Wort gesagt hatte. „Du bist wirklich noch hier", murmelte ich erstaunt und wieder lachte sie. Es fühlte sich an, als würde ich dabei bereits jede kleinste Falte an ihren Augen kennen, ihre gesamte Präsenz war einfach so vertraut, sodass auch ich mir ein zufriedenes Lächeln nicht verkneifen konnte. „Geht es dir ein bisschen besser?" Ich nickte, ich fühlte mich wirklich besser. Klar, erschöpft war ich schon noch, ein Tag Pause täte mir wohl noch ganz gut, das Fieber war aber wirklich weg, ich hatte gerade nochmal gemessen. „Magst du etwas essen? Ich habe frisches Brot geholt." Das wurde ja immer besser! „Du musst mich da nicht verpflegen, das Pflegen war schon süß genug", entfuhr es mir. Ich warf allerdings sofort verlegen nach: „Lieb, also... äh, nett genug meine ich..." Diesmal drehte Federica sich einfach um und verschwand aus meinem Zimmer – ob es war, damit ich nicht sah, wie sie mich auslachte, oder weil sie das gerade total awkward gefunden hatte, wusste ich nicht. Warum zum Teufel war ich so?! Naja, sie würde das schon wieder vergessen, das hoffte ich zumindest, denn auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, diese Frau war mir nicht total egal...

Fighting the demons from our pasts - Will love be enough?Where stories live. Discover now