21. Giacomo

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Neben Federica aufzuwachen, war wunderschön gewesen. Ich hatte mich so leicht gefühlt, wie es immer der Fall war in ihrer Nähe. Sie war da gewesen. Die ganze Nacht über und auch am Morgen noch. Meine Aktion von gestern Nacht hatte sie zwar sichtlich beschäftigt, zum Glück hatte sie sie aber nicht mehr angesprochen. Ich war einfach noch nicht so weit, mit jemandem, mit ihr darüber zu reden. Würde ich das je sein? Wollte ich das je sein? Wo waren meine Du-machst-von-nun-an-alles-im-Alleingang-Vorsätze denn nur hinverschwunden? „Una birra e un sex on the beach, per favore." (Ein Bier und einen Sex on the beach bitte.) Eine junge Dame riss mich mit ihrer Bestellung aus meinen Gedanken. Ich hatte heute mal wieder Frühschicht, was bedeutete, ich hätte ab etwa Mitternacht frei. Heute war relativ wenig los, dafür, dass Samstag war. Der Club war etwa halbvoll, die Stimmung allerdings trotzdem ausgelassen. „Eccoti", meinte Clara, als sie der Frau ihre Bestellung hinstellte. Ich kassierte und dann wurde es in meinem Kopf auch schon wieder laut. „A cosa pensi?", wollte meine Kollegin wissen. (Woran denkst du?) Ich druckste ein wenig herum, offenbarte ihr, dass ich heute ziemlich müde wäre. Das reichte ihr Gott sei Dank als Erklärung aus, denn ich hatte wirklich absolut keine Intention, ihr irgendetwas von mir anzuvertrauen, was nicht auf beruflicher Basis lag.

Der Abend zog sich endlos hin. Irgendetwas in mir hatte gehofft, Federica würde vorbeikommen, doch das passierte nicht. Ich wischte gerade wieder mal die Theke sauber, um Clara dann für den Rest des Abends allein zu lassen und ich fragte mich wieder mal, ob dieser Typ von damals ihr Bruder oder vielleicht ihr bester Freund sein konnte. Dass es nicht der Mann an ihrer Seite sein konnte, war mir jetzt natürlich bewusst, doch trotzdem hatte ich da ein unzuordnebares Gefühl, das mich einfach nicht losließ. „Bullshit", flüsterte ich, um mich selbst zu überzeugen. Wer auch immer dieser Mann war, ich würde es noch früh genug erfahren und es gab bestimmt keinen Grund, beunruhigt zu sein. „Buona notte, Carla!", rief ich noch, dann verließ ich den Club durch die Hintertür.

Die Tage und Wochen vergingen. Draußen war es immer noch sehr heiß, Hochsommer eben. Federica und ich hatten uns in letzter Zeit beinahe täglich gesehen und wenn es nur für einen kurzen gemeinsamen Spaziergang oder einen Ausflug zum Stall gewesen war. Wir hatten versucht, so viel Zeit wie möglich miteinander zu verbringen, denn uns beiden lag etwas an der jeweils anderen, das war nun wirklich nicht mehr zu leugnen. Wir küssten uns eigentlich jedes Mal, wenn wir uns sahen, mehr war aber immer noch nicht passiert. Federica war sehr geduldig, was das betraf, was vermutlich damit zusammenhing, dass sie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie hatte mir offenbart, dass sie meinte, sie sei schuld gewesen an meinem Abblocken damals und dass sie Angst hätte, mich zu etwas gedrängt zu haben. Wieder und wieder hatte ich ihr versichert, dass es nicht an ihr gelegen hätte, dass ich einfach noch nicht so weit wäre. Sie hatte dann nie genauer nachgehakt, doch jetzt gerade saßen wir auf ihrer Couch im Wohnzimmer und ihre Hand strich über meinen nackten Oberschenkel. Ich genoss ihre Berührung. Es war überhaupt nicht unangenehm oder aufdringlich, trotzdem wollte ich – auch wenn das Bedürfnis definitiv da war – noch nicht mit ihr schlafen. Ich war noch nicht bereit dazu und ich musste zugeben, ich hatte auch ein wenig Angst, immerhin hatte ich noch nie mit jemandem Sex gehabt. Was, wenn ich mich dumm anstellte? Wenn es mir nicht gefiele? Wenn ich ihr nicht gefiele? „Ich mag dich wirklich", flüsterte Federica gegen mein Ohr. Ich atmete ihren Geruch ein, der mich immer wieder an Sommer am Meer erinnerte und in diesem Moment war ich einfach nur glücklich. Ich weinte allgemein weniger in letzter Zeit. Sie gab mir ein Gefühl von Geborgenheit, so als könnten wir gemeinsam alles schaffen und genau das war es, was mir Hoffnung gab und mich auch ablenkte. Ich dachte immer noch täglich an Anica, an alle, die ich zurückgelassen hatte, doch ich konnte auch nach vorne sehen. Endlich konnte ich mir eine Zukunft ausmalen. Und selbst wenn Federica nicht darin vorkommen sollte, so hielt mich allein der Gedanke daran am Leben. Sie war besonders und die bloße Tatsache, dass ich sie zumindest kennenlernen hatte dürfen, ließ mich besonders fühlen. Die läutende Türklingel durchbrach irgendwann die angenehme Stille, die uns umhüllt hatte. Erst wunderte ich mich ein wenig, denn sie hatte in meiner Gegenwart noch nie Besuch erhalten, ich kannte niemanden aus ihrem Bekanntenkreis. Andererseits war mir natürlich auch bewusst, dass sie viele Freunde haben musste, wer wollte nicht mit so einer tollen Frau befreundet sein? „Ich komme gleich wieder", meinte sie stirnrunzelnd zu mir, bevor sie sich erhob und Richtung Vorraum schritt. Merkwürdig. Ich hörte, wie die Haustür aufschwang und dann eine Männerstimme zu sprechen begann. Eigentlich wollte ich nicht lauschen, doch als ich Federica sagen hörte, dass er bitte wieder gehen sollte, weil sie gerade Besuch hätte, wurde ich doch neugierig. Ihn verstand ich schlechter, also erhob auch ich mich und schlich zur Wohnzimmertür. „Lasciami entrare, non ho bisogno di molto tempo, ma per favore, lasciami entrare." (Lass mich rein, ich brauche nicht lange, aber bitte lass mich rein.) Als Federica nicht reagierte, oder zumindest keine verbale Antwort gab, lehnte ich mich vorsichtig vor, bedacht darauf, nicht entdeckt zu werden. Das war er, der Typ aus dem Club und er trat jetzt an dieser wunderschönen Frau vorbei und kam ins Haus. Schnell huschte ich wieder zur Couch, ich wollte keinesfalls den Eindruck erwecken, gelauscht zu haben. Ein wenig schlecht fühlte ich mich nämlich schon, doch war es so verwerflich, wissen zu wollen, mit wem Federica sich so abgab? Der Mann kam gar nicht ins Wohnzimmer, sondern lief geradewegs an der Tür vorbei zur Treppe. Wieso kam er einfach in Federicas Haus und verhielt sich so, als würde er hier wohnen? Naja, vielleicht war er ja echt ihr bester Freund, da war das ja normal. Ich hatte bei Anica auch irgendwann beinahe gewohnt. „Giacomo, basta adesso! Ti prego, vai a casa", hörte ich Federica irgendwann rufen und sie klang alles andere als erfreut. (Giacomo, es reicht jetzt! Ich bitte dich, geh nach Hause.) Warum klang sie so sauer und was wollte er hier? Das musste ich definitiv herausfinden, denn auch wenn ich nun Laura war, ich war immer noch gleich neugierig wie die Sophie von früher.

„Wer war das?", fragte ich also, als er dann endlich gegangen war. „Ein Freund", gab sie zurück. Ein wenig zu kurz angebunden, wie ich fand. „Was wollte er?", hakte ich nach, wohl wissend, dass das ein wenig unverschämt war, doch das war mir in dem Moment egal. Sie sprach immer davon, mich kennenlernen zu wollen und jetzt war eben ich mal diejenige, die die Fragen stellte. „Nicht wichtig. Jetzt ist er ja wieder weg", tat sie die Begegnung von eben ab. „Es ist wohl besser, wenn du jetzt gehst, ich muss mich heute noch in mein Büro setzen und Literatur für meine Dissertation sichten." Wow. Warf sie mich gerade raus? Nur weil ich gefragt hatte, wer dieser Mann gewesen war? Das konnte sie doch nicht ernst meinen, oder? „Ich... In Ordnung... Sehen wir uns morgen?", fragte ich, sichtlich enttäuscht, doch das ignorierte sie gekonnt. „Mal sehen, wie ich hier vorankomme." Eiskalt. Wann war sie so kühl geworden? Hatte ich sie wirklich verärgert? Ich fühlte mich schlecht, spätestens jetzt bereute ich es, so aufdringlich gewesen zu sein. „Gut, melde dich sonst einfach", gab ich ein wenig kleinlaut zurück, bevor ich meine Sachen packte und mich unsicher auf den Weg zur Tür machte. Kein Abschied. Kein Kuss. Irgendwie war das heute ganz anders gelaufen als geplant und mit einem mehr als unguten Gefühl begab ich mich nach Hause.


Fighting the demons from our pasts - Will love be enough?Tempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang