25. Wer ich mal sein wollte

384 43 4
                                    

POV Laura Fabiani

Mein Bett war der einzige Ort, an dem ich mich im Moment sicher fühlte und selbst da holten mich die Gespenster meiner Vergangenheit ein. Ich verbrachte die meiste Zeit weinend hier. Nun kauerte ich schon wieder heulend unter meiner Decke. Die Schicht im Club hatte ich gerade mal so rumgekriegt, ohne in einen Heulkrampf auszubrechen. Jetzt war es allerdings mitten in der Nacht und ich konnte den Gefühlen und Emotionen freien Lauf lassen. Ich hatte so schreckliche Angst, doch ich wusste nicht, wovor. Sie war irrational und doch begleitete sie mich auf Schritt und Tritt – mal blieb sie eher im Hintergrund, mal machte sie sich bemerkbarer. Ich hatte bereits akzeptiert, dass ich damit einfach leben musste, doch an Tagen oder besser Nächten wie heute, war das schwer. Federica hatte mich angerufen, doch ich hatte nicht abgehoben. Auf ihre Nachrichten, in denen sie mich bat, doch zu ihr zu kommen oder sie bei mir reinzulassen, hatte ich nicht reagiert. Ich hatte selbst Angst vor ihr. Oder hatte ich Angst vor mir selbst in ihrer Gesellschaft? Das war es vermutlich. Wenn ich bei ihr war, war ich ein anderer Mensch, ich war weder Laura noch Sophie. Ich war irgendetwas dazwischen, stets im Zwiespalt zwischen mich ihr öffnen und mein echtes Leben bestmöglich unter Verschluss halten. Ich war mir nicht mal mehr sicher, was ich ihr bereits alles offenbart hatte und was nicht, wodurch sich diese Sache nur noch schwieriger gestaltete. Ich merkte, dass ich dabei war, sie zu verlieren, bevor ich sie überhaupt richtig kennengelernt hatte und dass ich selbst schuld daran war, machte das alles umso schmerzhafter. Ich führte es mit meiner Heimlichtuerei unweigerlich herbei und das Lügen bereitete mir verdammt schlimme Gewissensbisse. Hätte ich sie nur nie kennengelernt. Doch auch dieser Gedanke schmerzte und ich schluchzte nun wieder los. Wie wäre mein Leben verlaufen, wenn ich einfach den Ansprüchen der Gesellschaft gerecht geworden wäre? Ich würde wohl noch Lehramt studieren, abends mit Anica Filme schauen und reden und vor allem hätte ich meine Familie noch an meiner Seite. Doch wäre ich glücklich?

Ich setzte mich an meinen Küchentisch. Schnappte mir Zettel und Stift und schrieb, so wie ich es gewohnt war, drauflos. Diesmal aber nicht an Anica, nur um den Brief dann eh nie abzuschicken, sondern bloß für mich. Zum Sortieren meiner Gedanken.

Wer ich mal sein wollte. Ich habe es noch klar vor Augen. Ich, Sophie Künstner, wollte Lehrerin werden – immer schon, da haben mich früher noch alle belächelt, weil ich das bereits mit 10 gewusst habe. Ich wollte die Welt ein kleines Stückchen besser machen mit kleinen Dingen, kleinen Taten. Für Kinder da sein, ganz so, wie ich es mir in dem Alter und vor allem in meiner Jugend gewünscht habe. Eine Person sein, die ich in dem Alter gebraucht hätte. Ich hatte ein klares Ziel vor Augen. Ich wäre nie mit einem Mann glücklich geworden. Das wusste ich früh. Doch es dauerte, bis ich das für mich selbst akzeptieren konnte. Doch dass andere das als moralisch verwerflich ansehen, hätte ich nie erwartet. Ich war fest überzeugt davon, irgendwann mit einer wundervollen Frau an meiner Seite durchs Leben zu gehen. Aber das ist ja bloß, wer ich mal sein wollte. Ich wollte erfolgreich sein – beruflich wie privat. Wollte all die Dinge tun, die mir Spaß machen, Abenteuer erleben, meine Jugend leben. Und jetzt? Alles Lügen, die mir selber am meisten wehtun. Wer bin ich? Bei Weitem nicht die, die ich mal sein wollte. Ich habe versucht, neu zu starten, doch nicht mal das ist mir vergönnt. Ich lebe nicht, ich vegetiere. Einfach so vor mich hin. Ohne Weg und ohne Ziel. Weit entfernt von der Person, die ich irgendwann mal sein wollte...

Es klopfte an der Tür. Hatte ich mich verhört? Wie spät war es denn? Ein Blick zum Fenster verriet mir, dass es draußen noch stockdunkel war. Die Angst ergriff mich wieder, gleichzeitig fühlte ich aber auch eine unglaubliche Leere. Wenn hier ein Mörder vor der Tür stünde, sollte er mich doch haben. Langsam wurde mir auch das egal, denn das, was ich hier Leben nannte, war am Leben weit vorbei.

Ich entschloss mich trotzdem dazu, nicht aufzumachen. Es war vier Uhr morgens. Kein normaler Mensch konnte annehmen, dass da noch jemand wach wäre. Wieder in meinem Elend versunken, bedeckte ich mich mit meiner Decke. Wie sehr wünschte ich mir gerade Federica herbei. In ihren Armen fühlte ich mich sicher. Zumindest, wenn ich mich dann nicht durch irgendwelche unüberlegten Handlungen selbst ins Off beförderte und wieder heulen musste. *Klopf klopf* „Laura, ich weiß, dass du wach bist. Mach mir bitte auf, du musst auch nicht mit mir reden, ich möchte nur sichergehen, dass es dir gut geht." Federicas besorgte Stimme erfüllte die Stille der Nacht. Sie stand wirklich vor meiner Terrassentür und wollte rein. Sie war wirklich hier! Hier, um zu checken, ob ich wohlauf war. Mit zitternden Händen schlug ich die Bettdecke zurück und dann kletterte ich auch schon aus dieser warmen Oase, die so im Kontrast stand zu dem, was in mir vorging, um ihr die Tür zu öffnen. „Hey", meinte sie verlegen. „Hey", entgegnete ich. Dass mein Gesicht verheult war, meine Augen geschwollen und meine Stimme rau, veranlasste sie wohl dazu, nichts mehr zu sagen, sie nahm mich einfach in den Arm und hielt mich. Ganz fest. Eine Minute. Zwei. Vielleicht zehn. Ich hatte kein Zeitgefühl mehr, doch als sie mich wieder losließ, fühlte es sich an, als hätte mich diese Umarmung repariert. Bis zu einem gewissen Grad zumindest. „Wir sollten versuchen, noch etwas zu schlafen", schlug Federica vor und ich wusste tief in mir drinnen, dass das nun funktionieren würde. Sie war da. Sie hielt mich. Sie beschützte mich vor den Dämonen der Nacht. Und wirklich: Ich hatte durchgeschlafen bis zum Morgen. Kein Albtraum hatte mich geweckt. Keinen Gedanken hatte ich mehr an die Person verschwendet, die ich mal sein hatte wollen. Vielleicht war das hier ja besser?

Früher als erhofft brach der nächste Morgen an. Ich war nicht wirklich ausgeruht, doch damit hatte ich auch gar nicht mehr gerechnet. Das Durchschlafen war Erfolg genug. Heute hatte Elisabetta wieder einige Aufgaben für mich, weshalb ich Federica, die mich vorhin gefragt hatte, ob wir den Tag gemeinsam verbringen wollten, schweren Herzens absagen musste. Ich schlug ihr allerdings vor, währenddessen hierbleiben zu können, ich wäre immer nur kurz weg und so könnten wir uns wenigstens etwas sehen. „Nur achte bitte darauf, dass Elisabetta nicht mitbekommt, dass du hierbleibst. Sie interessiert sich zwar nicht wirklich dafür, ob ich Besuch habe oder nicht, aber ich möchte ihr trotzdem nicht unbedingt erklären müssen, was... da zwischen uns ist... also, falls da was ist. Ach, vergiss es." Immer, wenn es dazu kam, das zwischen uns auf eine Art definieren zu müssen, wurde ich unsicher. Auf Federicas Gesicht breitete sich dann stets ein Lächeln aus. Fand sie das etwa komisch? „Keine Sorge, ich verhalte mich ruhig. Viel Motivation!", wünschte sie mir noch, bevor ich das Apartment verließ. Was Elisabetta wohl heute mit mir vorhatte?


Fighting the demons from our pasts - Will love be enough?Where stories live. Discover now