46. Ferienpläne

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POV Sophie Künstner

„Soph! Vieni da me, c'è qualcuno per te!" (Soph, komm her zu mir, ich habe da jemanden für dich!) Verwundert verließ ich das Wohnzimmer und begab mich zu Fedè ins Büro, wo ich sie an ihrer Dissertation vermutete. Doch anstatt der wissenschaftlichen Arbeit war da auf ihrem Laptop etwas ganz anderes geöffnet – sie skypte und das offenbar mit Anja und Anica! „Sophiiiiieeee!", rief meine beste Freundin und sie lachte, was wohl der Tatsache geschuldet war, dass ich wirklich dumm dreinblickte. „Äh, hey! Ich... Warum skypt ihr? Das habt ihr noch nie gemacht!", lachte nun auch ich. „Weißt du, wir haben uns gedacht, wenn wir uns schon so selten sehen, können wir zumindest videotelefonieren", erklärte Anja nun und im Hintergrund ging Falco durchs Bild und winkte. Ich winkte zurück, dann wandte ich mich wieder meiner Freundin zu, die sprach: „Sophie, wir haben gerade darüber geredet, wie wir die Weihnachtszeit verbringen. Nächste Woche beginnen in der Uni bei uns und auch bei Anica ja schon die Ferien und da dachten wir, wir könnten uns doch alle treffen." Ich war begeistert. So schwer die letzte Zeit auch gewesen war, das war ein Lichtblick. Ich konnte es kaum erwarten, meine Wahlfamilie wiederzusehen. Doch wie stellten sie sich das vor? Wir standen immer noch unter Giacomos Beobachtung, hatten die letzten drei Wochen damit zugebracht, uns wirklich nicht gemeinsam blicken zu lassen und das so ernst genommen, dass ich sogar mit dem Zug nach Florenz gependelt bin und mich zuhause so gut es ging nur im oberen Stock aufhielt, damit ich mich, sollte er wirklich wieder mal unangekündigt vorbeikommen, besser verstecken konnte. Wir hatten alles bis ins kleinste Detail geplant, waren verdammt vorsichtig gewesen und jetzt wollte Federica alle hierher einladen, um die Vorweihnachtszeit gemeinsam zu verbringen? Das war doch ziemlich gefährlich, fand sie nicht? „Ich freue mich wirklich riesig über diese Idee, aber... können wir zwei vielleicht kurz reden?", warf ich darum in die Runde, woraufhin Fedè uns stummschaltete. Ich fiel gleich mit der Tür ins Haus: „Wie stellst du dir das vor? Giacomo hat uns immer noch auf dem Kieker. Wenn du jetzt alle hierher einlädst, werden wir früher oder später auffliegen!" Doch Federica lächelte bloß. Was war daran so witzig? „Darum haben wir auch beschlossen, Weihnachten heuer gemeinsam mit Anjas Familie zu feiern. Wir werden zu ihnen fahren, Sophie, sofern du das möchtest, versteht sich." Ich war im ersten Moment vollkommen perplex. Sie wollte nach Österreich fahren?! In meine ehemalige Heimat? „Hey, du musst dich nicht gleich entscheiden, wir haben nur mal darüber geredet, aber nimm dir die Zeit, die du brauchst. Ich kann verstehen, wenn dich das überrumpelt." „Hey ihr zwei, was dauert da denn so lange?", rief Anica dazwischen, die wir natürlich hören konnten, weil wir ja nur unser Mikro deaktiviert hatten. Federica wandte sich mir nochmal kurz zu und flüsterte: „Überleg's dir einfach, ja? Wäre bestimmt schön." Dann hob sie die Stummschaltung wieder auf und wechselte das Gesprächsthema, wofür ich wirklich dankbar war, denn ich wusste echt nicht, was ich von der Idee gerade halten sollte.

Wir hatten gemeinsam noch etwa eine halbe Stunde mit den andern geskypt, bevor ich mich wieder nach oben begeben hatte, um ein bisschen was für die Uni zu erledigen. Ich hatte einige Arbeitsaufträge, deren Abgabe anstand und ich hasste es, im Stress zu versinken, nur weil ich immer alles im letzten Moment erst erledigte. Diesmal würde ich mir meine Zeit besser einteilen. Doch irgendwie war meine Konzentration heute eher mäßig ausgeprägt. Zu sehr lenkte mich der Gedanke an ein gemeinsames Weihnachtsfest mit den Menschen, die mir am wichtigsten waren, ab. Ich wollte wirklich mit ihnen Weihnachten feiern, wollte wirklich wieder mal zu Anja, Falco und den Kids fahren, sogar die beiden Jungs fehlten mir schon, doch ich hatte große Angst. Angst, Giacomo könnte das irgendwie herausfinden, aber noch größere Angst davor, meinen Eltern oder auch nur irgendwem aus meiner Vergangenheit zu begegnen. Ich war mir nicht sicher, ob ich dafür stark genug war. Andererseits wollte ich endlich wieder mal Schnee sehen. Ich liebte die Toskana ja wirklich, aber im Winter war es hier einfach nur regnerisch und grau. Anica hatte mir erst letztens ein Schneefoto von zuhause geschickt und ich war bei diesem Anblick richtig wehmütig geworden. Vielleicht sollte ich mich einfach darauf einlassen. Was sollte schon passieren? Federica war bei mir und auch die anderen waren für mich da und unterstützten mich in jeglicher Hinsicht. Wenn ich meine Eltern wirklich sehen würde, wäre das vielleicht meine Gelegenheit, mit ihnen abzuschließen. Ich hatte nun eine wundervolle Frau an meiner Seite, die ich für nichts auf der Welt mehr hergeben würde. Sie würden mich wahrscheinlich also nicht mal ansehen, sobald sie das erfuhren, von dem her... Alles halb so wild, oder?

„Du wirkst nicht sehr überzeugend", flüsterte mein Verstand mir zu. „Ach verdammt", entfuhr es mir gerade in dem Moment, in dem die Tür vorsichtig geöffnet wurde. „Hey, ich wollte nur mal nach dir sehen, tutto bene?" War alles gut? Ich war mir da nicht so sicher... „Um ehrlich zu sein, keine Ahnung. Ich habe irgendwie ein mulmiges Gefühl bei der Sache mit Weihnachten in Österreich..." Federica kam näher und fing an, mir meine Schultern zu massieren, während sie sprach: „Wir müssen nicht hinfahren, wenn du das nicht möchtest... Ich dachte mir nur, dann müssten wir wenigstens zu Weihnachten keine Angst vor Giacomo haben... Und bei Anja können wir auch einfach wir selbst sein, wir müssen ja nicht genau in deinen Heimatort fahren, wir müssen nicht mal das Haus verlassen, wenn du das nicht möchtest. Sie werden das verstehen!" Ich dachte eine Weile über dieses Angebot nach. „Wenn wir schon dort sind, möchte ich auch den Schnee genießen und das nicht nur durch ein Fenster. Ich würde so gerne wieder mal Snowboarden, Eislaufen, einfach einen Spaziergang machen, während es schneit. Glaub mir, mich reizt dieses Angebot so sehr, aber trotzdem ist da diese Angst und ich hasse sie. Ich hasse es, dass sie mich noch immer begleitet und mein Leben so einschränkt. Dass ich mir mein Leben davon so einschränken lasse!" Meine Stimme klang wirklich verzweifelt. Wieso war leben nur so schwer? Ich seufzte, was meine Freundin als Anlass nahm, mich in die Arme zu schließen. Wir saßen nun auf ihrer Bettkante und sie sprach mit ruhiger Stimme: „Ich werde dich zu nichts drängen, das werde ich nie tun. Nimm dir ein wenig Zeit, wir müssen das wirklich nicht mehr heute entscheiden." „Aber du möchtest da doch auch so gerne hin, oder?" „Was ich will, spielt in dem Fall keine große Rolle. Es geht hier um mehr als nur die Auswahl des Abendessens oder eines Films. Ich hatte keine harte Vergangenheit dort, also habe ich hier wirklich kein Mitspracherecht." Wieder seufzte ich. „Danke. Danke, dass du mir bei allem immer Zeit gibst..." Sanft küsste Fedè meine Stirn, löste sich dann aus meinen Armen und sprach: „Ich mache uns was zu essen und du schaust, dass du heute Abend noch was für die Uni schaffst, wir können später weitergrübeln, was wir tun wollen, Deal?" Mit einem milden Lächeln auf den Lippen nickte ich. Ich war dieser Frau einfach so dankbar für die Art, wie sie mit mir in solchen Situationen umging. Sie war einfach wundervoll. Und mit diesem Gedanken setzte ich mich wieder an den Schreibtisch und begann damit, mir den ersten Arbeitsauftrag durchzulesen.


Fighting the demons from our pasts - Will love be enough?Donde viven las historias. Descúbrelo ahora