27. Dämonen der Vergangenheit

391 43 2
                                    

POV Laura Fabiani

Schon wieder war da Angst. Aber diesmal davor, mich Federica zu offenbaren. Einen Großteil meiner Geschichte kannte sie nun ja schon, doch sie wollte alles wissen. Wollte ich ihr alles sagen? Mein Herz schrie Ja. Mein Verstand flehte mich an, es nicht zu tun. Es würde nur wieder in einem großen Chaos zwischen Wahrheit und Lüge enden. Sie hatte immer noch keine Ahnung, dass ich eigentlich mal Sophie gewesen war. Sie glaubte die Laura-Lüge und wenn sie meine Entführung schon so verschreckte, wie würde sie dann bloß auf den beschissenen Rest meiner Vergangenheit reagieren? „Ich weiß nicht, ob es eine gute Idee ist, dir das zu erzählen. Du würdest mich mit total anderen Augen sehen und ich bin nicht bereit, all das, was wir haben oder eben nicht haben, aufzugeben", äußerte ich meine Bedenken. Schon allein der Gedanke daran, dass die gesamte Geschichte, zumindest jene um meine Entführung, unser Verhältnis ändern könnte – gewollt oder ungewollt – jagte mir Angst ein. Federica schien aber relativ sicher zu sein, dass das nicht passieren würde: „Egal, was du mir erzählst, es wird nichts ändern. Wenn, dann nur ins Positive, denn ich will dich ja besser kennenlernen und wenn das zu dir gehört, möchte ich auch das wissen." Gut, wie sie wollte. Wirklich schlimmer könnte es wohl eh nicht mehr kommen...

„Es war vor fünf Jahren im April. Ich bin an diesem Tag mit dem Rad zu meiner besten Freundin gefahren, zumindest hatte ich das vor", begann ich und Federica lauschte aufmerksam. Das gab mir das Gefühl, dass sie all das hier wirklich hören wollte, also fuhr ich fort: „Ich bin dort nie angekommen. Es war auf einer normalen Landstraße, als mich plötzlich ein Auto rammte. Ich fiel vom Rad, der Fahrer hielt an. Ich... Ich dachte, er würde sich erkundigen, ob es mir gut ging, den Unfallhergang klären wollen, sich entschuldigen. In dem Moment war meine einzige Befürchtung, dass mein Arm gebrochen sein könnte. Ich war ja so naiv..." Mein Mund wurde staubtrocken und mein gesamter Körper spannte sich an. Die Bilder von damals liefen vor meinem geistigen Auge ab. „Wenn du eine Pause brauchst, nimm dir die bitte, ich habe Zeit. Und erzähl mir nur so viel, wie du erzählen möchtest, ja?" Nickend sprach ich weiter: „Es ging alles ganz schnell. Ich hatte unglaubliche Schmerzen, die im Vergleich zu dem, was später mit mir passierte, nichts waren, doch in dem Moment tat mir das schon höllisch weh. Als Nächstes erinnere ich mich daran, wie ich gefesselt auf der Rückbank eines Autos aufgewacht bin. Jetzt weiß ich, dass besagter Mann hinterm Steuer saß, damals habe ich das Bewusstsein aber wohl gleich wieder verloren." Ich erinnerte mich nur noch vage an den Innenraum des Wagens, doch ein Detail war mir noch extrem gut in Erinnerung geblieben. „Die Sitze hatten rote Nähte. So wie...", ich schluckte, „wie in deinem Auto auch." Federicas Augen wurden groß und sie meinte: „Darum hast du bei unserer ersten Begegnung so gezögert, in meinen Wagen zu steigen? Damals, als ich dich im Gewitter nach Hause gebracht habe?" Ich nickte verlegen. Es war mir peinlich, doch ich hatte einfach so ein unwohles Gefühl gehabt. „Und ich hab dich auch noch so gedrängt..." Sie schien das mehr zu sich selbst zu sagen, unsere erste Begegnung zu reflektieren. „Schon gut, du konntest das ja nicht wissen. Hättest du das nicht getan, würden wir heute wohl nicht hier sitzen." „Wäre dir das lieber?", fragte sie bedrückt nach. Ich sah ihr an, dass sie sich wirklich schlecht fühlte, in meinen Sachen rumgekramt zu haben und ich glaubte ihr auch die Aufräumgeschichte. „Nein. Ich meine... ich denke nicht. Keine Ahnung, wie mein Leben sonst verlaufen wäre, doch du bist das erste Mal seit langem wieder mal ein guter Bestandteil darin." Die Worte waren schneller über meine Lippen gekommen, als ich überhaupt nachdenken hatte können, doch Federica tat das zum Glück bloß mit einem Stirnrunzeln ab und fragte nicht weiter nach. Also erzählte ich weiter. „Das nächste Mal aufgewacht bin ich in einem Keller. Es war verdammt dunkel und kühl. Ich habe zwei Männerstimmen gehört, die sich miteinander unterhalten haben und... dann Schritte. Eine Tür wurde geöffnet, wodurch ein Lichtstrahl hereinfiel. Ich stellte mich bewusstlos, dachte, so würde ich dem Elend entkommen." Sie unterbrach mich: „Hattest du... Angst?" „Erstaunlicherweise nicht wirklich. Ich habe die ganze Zeit nur darüber nachgedacht, wie ich abhauen könnte. Da musste ich funktionieren, da war kein Platz für Angst." Federica schüttelte bewundernd den Kopf: „Das ist einfach... einfach schlimm." Halb lächelnd redete ich weiter: „Ja, es war keine schöne Erfahrung. Soll ich mich kurzfassen? Ich möchte dir unnötige und unschöne Details ersparen." Sie aber schüttelte den Kopf: „Nein, bitte erzähl mir alles. Alles, was du eben mit mir teilen möchtest. Wenn es für dich nicht zu schlimm ist..." „Ich erzähle die ganze Geschichte gerade erst zum zweiten Mal, verzeih mir also bitte, wenn ich zwischendrin abschweife oder... einfach nichts mehr sagen kann", meine Tränen ließen meine Stimme verdammt hoch werden und ich brauchte wieder einen Moment, um mich zu sammeln. Wieso war das nur so unendlich schwer? „In Ordnung... Ich weiß nicht, wie viel du gelesen hast, aber es waren insgesamt drei Männer, die mich über genau 15 Tage misshandelt haben. Was irgendwo auch ironisch ist, denn ich war 15 damals, aber ich glaube, die wussten das gar nicht. Naja, mein Schicksal eben. Jedenfalls bekam ich erstaunlicherweise gut zu essen, auch wenn ich bei jeder Mahlzeit dachte, dass sie mich jetzt vergiften. Die wirkliche Angst kam immer dann, wenn es Abend wurde, da fing die Tortur an und sie ging bis zum Morgen..." Wieder hielt ich kurz inne und mein Mittelfinger kratzte nervös über den Nagel meines Daumens. Federica legte vorsichtig ihre Hand auf meinen Oberarm und ich zuckte erschrocken zusammen. Es erinnerte mich an damals, die Ereignisse hatte ich gerade einfach so lebhaft vor Augen, sie waren so greifbar, dass ich mir wieder mal schwertat, zwischen Vergangenheit und Gegenwart zu unterscheiden. „Laura, atme bitte!", warf mein Gegenüber irgendwann ein und erst dadurch bemerkte ich, dass ich schon wieder zu gefesselt von all diesen Emotionen war. „Komm her", sie nahm mich behutsam in den Arm, so als hätte sie Angst, ich würde denken, sie könnte mir etwas antun. Doch in ihren Armen fühlte ich mich sicher – nach wie vor.

Irgendwann war ich dann so weit, von meinen schlimmsten Erlebnissen zu berichten. „Sie haben mich vergewaltigt... auf jede erdenkliche Weise. Haben mich geschlagen, getreten und bespuckt. Als ich schon einige Tage da unten war, beschloss einer, ich müsste mal baden... Er ließ mir eine Wanne mit eiskaltem Wasser ein und...", ich schnappte nach Luft.

Wasser. Eiskalt. Wanne. Schmerz. Atem. Husten. Es tat so weh. Wieso tat das so weh. Ich wollte sterben. Entkommen. Den Tod. Wasser. Sauerstoff.

„Hey, du bist hier sicher! Sieh mich an! Atme ein und aus... Ein... und wieder aus." „Es tut mir so leid, ich... ich weiß ja auch nicht, wie das immer noch passieren kann. Das ist verdammte fünf Jahre her!", schrie ich unter Tränen. Die Flashbacks an meine Vergangenheit ließen mich einfach nicht los. Sie waren in letzter Zeit seltener geworden, doch wenn sie da waren, waren sie umso schlimmer. Ich atmete tief durch, so wie Federica es mir vormachte. Fühlte sie sich denn nicht dumm dabei? Ich hasste es, mich wie eine Last zu fühlen. „Ich wäre da fast ertrunken und ich... habe mir gewünscht, einfach zu sterben. Ich habe fest damit gerechnet, es wäre endlich vorbei gewesen..." Das musste mein Gegenüber wohl erstmal sacken lassen. Auch ihr waren mittlerweile wieder die Tränen gekommen. Na immerhin heulte ich nicht als Einzige rum. „Wie bist du dann entkommen?", wollte sie wissen, stets darauf bedacht, nicht zu aufdringlich zu sein, das merkte ich ihr an. „Eine Suchhundestaffel hat mich aufgespürt. Es war ein Haus mitten im Wald, ich habe ehrlich nicht mehr damit gerechnet, dass mich jemand findet, dass mich nach so langer Zeit überhaupt noch jemand sucht..." „Das ist so hart", Federica hatte ihre Lippen aufeinandergepresst, doch das hielt sie nicht davon ab, weitere Tränen zu vergießen. „Es war nicht schön, nein, aber ich habe zum Glück auch nicht alles mitbekommen, ich war ziemlich verletzt und somit immer wieder bewusstlos. Außerdem dissoziierte ich sehr viel. Das passiert mir heute noch manchmal, wenn es gewisse Trigger gibt, das hast du ja selbst an mir erlebt... Ich bin dann total abwesend und bekomme nicht mit, was mit mir passiert. Meine Psychologin hat mir erklärt, dass das das Überleben sichern soll..." Federica schluckte. Ein zweites Mal. Sie war offensichtlich sprachlos. „Ich kann nur nochmal betonen, wie unglaublich leid mir das tut. Niemand hat es verdient, so etwas durchzumachen und du am allerwenigsten. Du bist so ein wundervoller Mensch, vor allem bist du das nach alldem, was du erlebt hast, immer noch und das ist einfach nur bewundernswert. Mich trifft deine Geschichte sehr... Kann ich irgendetwas für dich tun? Dir irgendwie helfen?" Ich dachte nach. Ich konnte mir doch selbst kaum helfen, wie sollte sie das dann schaffen? Mir fiel nur Eines ein, das nach einer Kleinigkeit klang, doch so Großes bewirkte: „Sei bitte einfach nur da."


Fighting the demons from our pasts - Will love be enough?Where stories live. Discover now