Nerins Entscheidung

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Als Marsia und Berowin die Kemenate betraten, lief Nerin kopflos in der großen Kammer hin und her. Sie hatte sich bereits umgezogen- in die Sachen, welche sie zum Ausreiten gern trug. Doch wirkte sie ziellos, kaum fähig sich zu entscheiden.

„Und?", fragte Nerin. „Was wurde besprochen?" Und dann zeigte Nerin auf ein waches und zufriedenes Kind in der Wiege. „Keine Sorge Marsia. Ihr geht es gut. Besser als mir."

Marsia sah nach dem Kind. Dennoch erzählte sie, was geschehen war. „Dein Vater hat die Unterhandlungen abgebrochen und vorerst beendet. Ich verstehe ja nicht viel von diesen Dingen, aber so viel habe auch ich gemerkt: Die Deutschen und die Lutizen waren sich schon vorher einig. Das blieb auch einem Vater nicht unbemerkt. Zum Schluss jedoch hatten sie eine Forderung an deinen Vater, von der ich nicht weiß, ob ich dir darüber berichten sollte. Das sollte lieber dein Vater tun."

Nerin rollte irritiert mit den Augen. „Worum ging es denn?"

„Du sollst vermählt werden!", platzte es aus Berowin heraus.

„Ich? Vermählt? Mit wem? Und weswegen denn?" Nerin wirkte fast versteinert.

Marsia streichelte sanft das Gesicht ihrer kleinen Tochter in der Wiege. Dann wandte sie sich Nerin zu, hielt mit beiden Händen Nerins Arme im festen Griff, als müsse Marsia nun Nerin festhalten, damit sie nicht umfällt. „Mit diesem Boran. Deinem Peiniger. Diesem Bündnis hat wohl König Heinrich und die Lutizen bereits zugestimmt. Sie hatten sogar schon ein Brautgeschenk mitgebracht."

Nerin entwand sich geschickt dem Griff von Marsia, stolperte zur Sitzbank und ließ sich dort hart nieder.

Doch Berowin setzte sich zu seiner Schwester. „Doch keine Sorge. Vater hat Ihnen gesagt, was er davon hält. Auch die Brautgeschenke hatten die Lutizen wieder mitzunehmen."

„Was hat Vater denn gesagt?"

„Das sie zum Teufel gehen sollen!", sprach Berowin.

„Da ist so nicht richtig Berowin.", warf Marsia ein. „Er hat sie verabschiedet, ja- und fast noch höflich, wenn man ihn kennt. Doch hat er auch gesagt, er werde sich darüber beraten müssen und eine Entscheidung irgendwann mitteilen. Das ist nicht dasselbe."

Berowin zog zur Bestätigung die Augenbrauen hoch.

Nerin zog irgendwoher aus ihrem Reitgewand unversehens einen Langdolch hervor und drehte diesen vor den Augen von Marsia und Berowin. Wo sie in dem engen Gewand den Dolch versteckt hatte, fragte sich jedoch keiner von Beiden.

„Ich werde dieses Schwein von Boron töten! Dann braucht Vater nicht mehr zu überlegen oder entscheiden- dann habe ich ihm diese Entscheidung abgenommen.", sprach Nerin entschlossen.

„Beruhige Dich!", ermahnte Marsia. „Und steck die Waffe weg!"

Berowin war entsetzt, wie entschlossen seine Schwester auftrat. Doch tat Nerin, wie Marsia ihr empfohlen hatte und der Dolch verschwand wieder- irgendwo an der Seite in einem Schaft.

„Dein Vater wird schon eine Lösung finden. Bis dahin ist es meine Aufgabe als seine Frau, auch nach ihm zu sehen und ihn zu beruhigen. Und wenn du ausreiten willst, dann warte lieber noch. Die Abgesandten sind noch im Vorhof. Geh erst, wenn sie aus der Stadt sind und unterhalb der Burg zu ihrem Lager ziehen. Nicht dass du ihnen noch vor die Nase läufst!", empfahl Marsia. Dann ging sie, ihren Fürsten suchend und beruhigen, aus der Kammer.

Marsia war ein herzensguter Mensch. Nach dem Ableben der Fürstin war Nerins Vater Berogast viele Jahre allein geblieben. Dann jedoch wählte er sich die junge Marsia. Wenngleich er ihr schon früh mitteilte, sie nie durch Heirat an sich binden zu wollen, so blieb Marsia immer an seiner Seite und hatte eine sanfte Art, das ab und zu hitzige Gemüt des Fürsten durch Verständnis zu mäßigen. Mit der Zeit wurde Marsia am Hof in Lenzen mehr als nur eine Gespielin des Fürsten, sie fand auch einen Platz in den Herzen der Leute- nicht zuletzt bildete sich auch ein Band aus Freundschaft und Vertrauen zu den Kindern des Fürsten aus seiner Ehe. Marsia war es auch erneut, die dem Fürsten im letzten Jahr viel Trost und Hoffnung geben konnte, als Berogast erstgeborener Sohn nach einer Krankheit verstarb und Berogast viel väterlichen Stolz und seinen ausgewählten Nachfolger zu Grabe tragen musste. Zudem schenkte sie dem einem Kind. Für Nerin, aber auch Berowin war Marsia eine sehr gute und verständnisvolle Freundin geworden.

Larno - Wege zur WahrheitWhere stories live. Discover now