Bedenken

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Über dem Lednica- See gefiel es den Regenwolken an diesem Tage des Spätherbstes. Ohne Unterlass und mit wechselnder Intensität fielen die Tropfen hernieder. Und dort, wo er hin gelangte hinterließ der Regen ein Bett aus Schlamm und Nässe.

Die letzte Strecke zur Burg Ostrow im See war über einen Holzdamm zu bewältigen. Auch hier war Vorsicht geboten, denn schmierig glatt wirkte das Holz. Jedermann half, die Pferde über den Brückendamm zu führen. Selbst gute Reiter zogen es vor, den Damm bei Regen nur zu Fuß zu nehmen.

Die kleine Reisegesellschaft wurde nass. Doch hatte man nun das Ziel erreicht.

Selbst an Regentagen werden Gäste in der Burg von vielen Augen beobachtet. Es ist eine willkommene Abwechslung, sich mit weitgereisten Leuten über die Geschehnisse in der Welt auszutauschen und Neuigkeiten zu erfahren.

Miezko Lambert, der Sohn des Herzogs, begleitete Nerin persönlich zur Kemenate und Kammer der Herzogin.

Nach einer kurzen Wartezeit bekam Nerin Einlass.

Nerin kannte diese Räumlichkeiten noch. Sie hatten sich in den Jahren kaum verändert, wie es ihr schien. Seinerzeit hatte Prinzessin Reglindis, die Herzogstochter hier in der großen Kammer mit ihren Hofdamen oft Handarbeiten gemacht, sich im Flechten neuer Frisuren gegenseitig übertroffen oder einfach nur dem Treiben auf dem Innenhof der Hauptburg zugesehen. In Erinnerungen schwelgend sog sie die leicht rauchige Atmosphäre der Kemenate auf, während sie reglos neben der Tür stand und den Fortlauf der Dinge abwartete.

Zwei jüngere Hofdamen, die Nerin jedoch nicht kannte, beobachteten Nerin in ihrem Nichtstun. Die Mädchen tuschelten sich zu, ließen jedoch nicht von ihrer Stickarbeit ab.

Herzogin Emnilda betrat den Raum, nachdem ein kleiner Junge von gut vier Jahren ihr voraus in den Raum eilte. Emnilda war die dritte Gemahlin des Herzogs , den sie im Jahr 987 ehelichte. Reglindis war ihr zweites Kind in dieser Ehe. Die Herzogin war deutlich kleiner, als Nerin. Und vom Körper her auch eher von kräftiger Natur. Sie sah Reglindis sehr ähnlich- die Tochter kam hier zweifellos nach ihrer Mutter.

Hatte die Herzogin noch einen kurzen Blick auf den kleinen Jungen und die zwei Hofdamen, so blickte sie danach zu Nerin herüber. Schien sie im ersten Moment noch etwas unentschlossen oder nachdenklich, so verflogen wohl letzte Zweifel im Angesicht der jungen Frau recht schnell.

Nerin ging kurz fast auf ihre Knie vor Ehrerbietung, als Herzogin Emnilda näher zu ihr kam.

„Ich wollte meinen Ohren fast keinen Glauben schenken- und doch ist es wahr. Nach all den Jahren. Und ihr bringt mir Kunde von meiner Reglindis?"

„Ja Herrin."

„Doch bevor ihr mir berichtet- lasst mich Euch ansehen, edle Nerin." Emnilda erfasst Nerins Gesicht, als müsste sie die junge Frau begutachten. Sie drehte Nerins Kopf mal nach links, dann nach rechts. Ganz beiläufig ergriff die Herzogin Nerins schwarzes Haar und rieb es zwischen den Fingern.

„Mein Gott, was bist du für eine Frau geworden. Und meine Reglindis? Wie ergeht es ihr?" Während die Herzogin fragte, gebot sie Nerin, ihr zu einer Sitzbank am Fenster zu folgen und neben ihr Platz zu nehmen.

Nerin erfreute dieses Wiedersehen. Und auch das Lob aus dem Munde der Herzogin Emnilda war wohltuend. So nahm sie neben ihr Platz.

Mit reichen Worten beschrieb Nerin das Leben von Reglindis am Hof des Markgrafen Hermann. Auch den Umgang des Paares miteinander ließ sie nicht aus, denn jede Mutter möchte auch hiervon erfahren.

Emnilda versicherte Nerin, dass ihr die Tochter fehlen würde- viel zu häufig, wie sie eingestand. Doch habe sie zum Troste noch ihre anderen Kinder- auch den kleinen Otto, der nun ihrer Aufmerksamkeit und fürsorglichen Obhut bedurften.

Zu Nerins Überraschung waren der Herzogin Emnilda keine Details zu der Zeit der Geiselnahme und Haft ihrer Tochter Reglindis mitsamt ihrer Hofdamen bekannt geworden. So schilderte Nerin die unwirklichen Verhältnisse und die Gefahren dieser schlimmen Zeit und auch das Glück, aus dieser Geiselhaft befreit worden zu sein. Hier brachte Nerin auch zum Ausdruck, welch hohes Risiko Larno auf sich genommen hatte und welche Opfer er brachte, um die Menschen auf Burg Slivor zu befreien.

Emnilda blieb nicht verborgen, in welcher Art und Weise Nerin von Larno sprach. Es war mehr als nur Hochachtung vor dem Ritter den Worten zu entnehmen. So fragte die Herzogin irgendwann im Laufe der Schilderungen Nerin direkt nach.

„Gute Nerin, bei allem, was Euch widerfahren ist und ihr zu erleben hattet- kann es sein, dass ich eine gewisse Zuneigung Deinerseits für Herrn Larno von Welna hier erkennen kann?"

Nerin errötete. „Ja, Herrin. Eure Wahrnehmungen täuschen Euch nicht. Die lange Zeit des Beieinander und der Nähe- und wohl auch all die Dinge, welche Larno für Uns Damen und für Eure Tochter bewirkte, ließen mich Larno gut kennen lernen. Und mehr noch: Es war um die Hochzeit Eurer Tochter, da wir Uns gegenseitig die Liebe eingestanden. Doch war es damals nicht an der Zeit, dies auch offen bekannt zu machen. Larno war damals nicht von dem Stande, den sich mein Vater für mich als Verbindung wünschte. Doch nunmehr, da sich die wahren Absichten des König Heinrichs II. auch ihm offenbarten- erst nun war auch er bereit, mit seinen Segen mich ziehen zu lassen und mich zu meinem gewünschten Glück zu geben. Doch der Preis dafür ist hoch- ich werde nie mehr zurückgehen können. Und so hoffe ich, dass mein Begehren vielleicht auch in Larnos Willen noch Gefallen finden kann und die Zeit seine Gefühle von damals nicht veränderte. Mehr bleibt mir nicht, nur diese Hoffnung."

„So will ich gern für Dich vorsprechen beim Herzog, dass auch mein Gemahl sich dafür erweichen kann. Boleslaw hat manchmal seinen eigenen Willen- auch wenn es darum geht, seine Ritter in Verbindungen zu bringen. Ich denke fast, es wird ihm nicht sehr gefallen, dein Vorhaben zu unterstützen. Doch will ich unverhohlen und offen fürsprechen. Für Dich. Und um der Liebe wegen, welche Du für Herrn Larno empfindest. Mein Gemahl, der Herzog, weilt jedoch noch an der östlichen Grenze für Unterhandlungen. Bis er zurück ist und wir seine Entscheidung kennen bist Du hier in Ostrow sehr gern gesehen und kannst Dich mit all den anderen Hofdamen hier aufhalten. Ich lass Dir eine Kammer herrichten und wir finden sicherlich auch angemessene Bekleidung für Dich. Ich werde für Dich sorgen, bis wir Dich mit Herrn Larno mit dem Segen auch meines Herzoges vermählen können."

„Und dafür bin ich mehr als dankbar. Ich wagte kaum, Eure Fürsprache zu erbitten."

„Nach alledem, was Du geschildert hast? Ich denke, es ist meine Aufgabe, etwas von der Schuld, in der Reglindis und viele andere Dir und Larno gegenüber stehen, zurück zu geben. Dies meine ich mit ehrlichem Herzen. Und wir sollten Herrn Ritter Larno von Welna über Dein Erscheinen in Kenntnis setzen- noch bevor er vielleicht andere Kunde erhält, die sein Herz schwer werden lässt." 

Larno - Wege zur WahrheitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt