Tag 1 - der Turm

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Die Reise durch das Portal ist etwas, dass ich so auch noch nie erlebt habe... Es fühlte sich so an, als ob ich mit meinen Füßen noch auf dem Boden stehen würde, aber mein kompletter Körper bis in die Unendlichkeit gestreckt wird. Überall um uns herum waren blaue, violette und rote Farben, die wabernde Wände eines Schlauches oder Tunnel bildeten durch den wir... Gezogen wurden? Oder fielen wir? Es war quasi unmöglich zu bestimmen, wo oben oder unten sein soll, sofern in diesem "Ort" sowas wie Richtungen überhaupt existieren?

Plötzlich war dieser Tunnel vorbei und wir standen in einem dunklen Raum. Durch diesen plötzlichen Wechsel der Helligkeit brauchten meine Augen einen kurzen Augenblick bis sie sich daran gewohnt hatten und ich etwas erkennen konnten. Uns gegenüber, nur wenige Meter entfernt, saß eine dunkle Kreatur, dunkles Fell, mit zwei schwarzen Hörnern auf dem Kopf, spitzen Zähnen und unheilvoll rot-leuchtende Augen... Ein Dämon oder eine andere Kreatur aus den Tiefen der Höllen...In den Händen hielt er einen Stein und untersuchte ihn neugierig. Es handelte sich dabei natürlich um den Stein, den ich kurz zuvor durch das Portal geworfen habe. Dann bemerkte die Kreatur uns, sah uns mit seinen roten Augen an und strecke seine Klauen in unsere Richtung aus...

Und so unerwartet wir in dem Raum erschienen, verschwanden wir auch wieder und wurden wieder durch diesen bunten Tunnel gezogen. Warum wurden wir überhaupt erst an diesen Ort gebracht, wenn das nicht das Ziel des Portals war? Oder war das doch der Ausstiegspunkt, aber das Portal hat eine Störung über die Jahrhunderte davon getragen...?Dies waren auf alle Fälle nicht meine Gedanken zu diesem Zeitpunkt, sondern ergänze ich erst jetzt später, als wir uns zur Nachtruhe niederließen, aber ich möchte nicht zu viel vorgreifen, denn das war nicht unser einziger Zwischenstopp, den wir bei unserer Reise einlegten...

Auf einmal standen wir in einem grünem, dicht besiedeltem Wald. Wieder nur ein paar Schritte von uns entfernt saß eine neue Gestalt. Es handelte sich dabei um einen glatzköpfigen Mann, mit sehr langem, weißem Bart und verschiedene Tattoos in blauer Farbe schmückten seine Arme und seinen Kopf, der im Schneidersitz gegen einen Baum gelehnt ist. In der einen Hand hielt er einen langen Stock, auf der anderen saß ein Rabe mit einem goldenen Stein im Schnabel. Auch sonst umringten ihn weitere Vögel und ein silbergrauer Wolf lag zu ihm zu Füßen. Auch hier überraschten wir die Anwesenden mit unserem Erscheinen und erhielten von dem Tierfreund neugierige und ungläubige Blicke. Er wollte gerade den Mund öffnen und etwas sagen, doch schon verschwanden wir wieder und eine weitere Reise durch den bunten Tunnel begrüßte uns.

Und dann erreichten wir wohl das Ziel unserer Reise, zumindest wurden wir nicht direkt wieder hinfort gezogen. Wir alle brauchten einen Moment, um uns zu sammeln und den Proviant von heute im Magen zu behalten. Sofern es überhaupt noch der gleiche Tag ist? Das Erste, was meine Sinne wieder wahrnehmen konnte, war das sanfte Kitzeln des Grases, das sich im säuselnden Wind hin und her bewegt. Zudem gesellte sich das Rauschen und Brausen von Wellen, die gegen steinige Klippen schlugen, irgendwo unter und die kreischenden und lachenden Möwen über uns. Egal wo wir sind, es sind definitiv nicht mehr die Wüsten, in der wir uns gerade... heute Vormittag... gestern...? Befanden.... Wir erhoben uns auf alle Fälle nach und nach wieder auf unsere Beine und versicherten uns der gegenseitigen Unversehrtheit.

Wie es schon die Geräusche vermuten ließen, befanden wir uns am oberen Ende einer bewachsenen Klippe. Dem Stand der Sonne nach, ging es Richtung Süden mehrere Dutzend Meter hinab, wo spitze Felsen und wütende Wellen auf uns warteten. Ein paar Hundert Meter in nördlicher Richtung entfernt wuchs ein kleines Waldstück und unweit östlich befand sich ein alter Steinturm. Als wir die Umgebung von unserer Position heraus untersuchten, mischte sich ein weiteres Geräusch in die bestehende Geräuschkulisse. Vom Ozean her zog ein dunkler Sturm in unsere Richtung und man sah bereits vereinzelte Blitze darin zucken. Da uns nicht mehr viel Zeit blieb und wir sonst keinen möglichen Unterschlupf sahen, hofften wir, im Turm Zuflucht zu finden.

Der knapp 20 Meter hohe, kreisrunde Turm wirkte recht baufällig und wurde wohl schon länger nicht mehr gewartet, sodass wir uns erst nicht sicher waren, ob er dem anrollendem Unwetter standhalten wird. Mangels anderer Optionen blieb uns allerdings keine große Wahl und so machten wir uns auf dem Weg dahin. Ob es sich hierbei mal um einen Leuchtturm handelte, oder war das nur ein alter, aufgegebener Wachturm? Valyan schickte seinen Begleiter Spooky, seine magisches Eulen-Familiar, los, damit es einen Blick durch die Fenster erhaschen und schon mal vorab etwas auskundschaften kann. Da es keine direkte Gefahr für uns erkennen konnte, gingen wir auf die Tür zu, die zu unserem Glück nur geschlossen, aber nicht verschlossen, war.

Im Erdgeschoss befanden sich nur alte Möbel und einige Holzkisten, die allerdings nur wertlosen alten Plunder oder mittlerweile gammelige Vorräte beinhalteten. Zudem gab es einen kleinen Kamin, in dem wir Feuer machen könnten, sollte es in der Nacht noch kälter werden. Erst jetzt bemerkten wir auch, dass uns allen etwas fröstelt - nun allen, mit Ausnahme von Triti natürlich. Der Gnom, der in Höhlen oder Minen aufgewachsen ist, fühlt sich in diesen Temperaturen sicherlich ganz wohl, ich hingegen vermisse aber tatsächlich etwas die Wärme der Wüste...

Eine Wendeltreppe führte sowohl in den ersten Stock, als auch auf einer überdachten Aussichtsplattform auf der Spitze des Turms. Wir öffneten vorsichtig die Tür zum Raum im ersten Stock, ich "durfte" natürlich wieder mit Schild vorangehen, während sich die anderen - wie immer - hinter mir versteckten. Doch in dem Raum erwartete uns nur ein Skelett hinter seinem Schreibtisch. Und mit Skelett meine ich ausnahmsweise nicht einen erwachten Toten, sondern die regungslosen Überreste. Dem Knochenbau nach zu urteilen, handelte es sich vermutlich um ein männliches Wesen, auch wenn die Rasse nicht zu bestimmen ist. Neben dem Schreibtisch gab es noch ein paar Bücherregale, doch alle Bücher sind in einer fremden Sprache verfasst, die doch sehr den Schriftzeichen aus der Grabstätte ähnelt. Es muss also durchaus einen Zusammenhang zwischen der Ruine und dem Ort geben, an dem wir aktuell sind. Das einzige, was in diesem Raum lesbar war, war das drakonische Wort für "erretten", dass die Person am Arbeitstisch noch aufschreiben konnte.

Venat und Valyan betraten noch die Aussichtsplattform, um die nähere Umgebung zu überblicken. Der Sturm war bereits kurz davor, uns zu erreichen, daher konnten sie nicht mehr so viel erkennen, außer dass sich der Wald mehrere Kilometer Richtung Norden erstreckt, sowie auch die Klippen kein sichtbares Ende nehmen.

So versammelten wir uns wieder im Erdgeschoss, machten ein kleines Lagerfeuer, teilten Wachen ein und harrten so die Nacht über aus. Um meine Wache sinnvoll zu nutzen, schnappte ich mir noch eins der Bücher aus dem ersten Stock und versuchte nach Trial-and-Error Prinzip eine Übersetzungstabelle für die Schriftzeichen anzufertigen. Es würde vermutlich lange dauern, aber irgendwo muss man ja anfangen und ich habe nicht das Gefühl, dass wir so bald von hier wegkommen werden...

In Ignotis - Splitters TagebuchWhere stories live. Discover now