Kapitel 5

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Buffalo Creek, Colorado

„Kennst du den Typen?", fragte Eliza Donny, als sie sich wieder hinter die Bar stellte und ihm eine Cola einschenkte. Der Riese saß ihr gegenüber auf einem Barhocker und betrachtete gespannt das Football Spiel, das im TV über ihr lief.

„Nein, aber ich lag auch die meiste Zeit während unseres letzten gemeinsamen Einsatzes im Krankenhaus in Landstuhl", antwortete er bloß. Eliza kannte die Geschichte bereits. Donny war kurz nach ihrem Eintreffen in Afghanistan angeschossen worden und musste zunächst monatelang im US-Militärkrankenhaus in Deutschland verharren, um dann noch weitere Monate der Physiotherapie zu durchleben. Dennoch hatte seine Schulter nie wieder die gewohnte Beweglichkeit zurückerhalten können, weshalb er letztendlich seiner Karriere und seiner Bruderschaft bei den Marines Lebewohl sagen musste.

Curtis und der Froschmann unterhielten sich indes angeregt und es schien, als hätten sie ihre Umgebung vollkommen vergessen.
„Aber wir kamen öfters mit SEALS in Kontakt, meistens wenn wir deren Ärsche aus brenzligen Situationen retten mussten." Bei diesen Erinnerungen lächelte er auf. Curtis und Donny waren zudem Teil der QRF - Quick Response Force - der schnellen Eingreiftruppe, gewesen.
„Eins kann ich dir aber sagen. Froschmänner sind harte Mistkerle und bei was auch immer er Curtis Hilfe benötigt, das kann nur Ärger bedeuten. Halt dich am Besten so weit von ihm fern, wie du kannst." Er widmete seine Aufmerksamkeit wieder dem Spiel und nippte an seiner Cola. Das Gespräch war somit vorerst beendet.

Eliza jedoch betrachtete ihren Chef und den Fremden genauestens aus dem Augenwinkel. Harte Mistkerle war eine passende Beschreibung, dachte sie. Hollywood hatte sich nach Osama Bin Ladens Tod durch das damals noch genannte SEAL Team 6 genau das zu Nutzen gemacht und zahlreiche Filme, sowie Serien aus dem Boden gestampft, und so das Rampenlicht auf diese Spezialeinheit der Navy geworfen. Natürlich wusste sie, dass die Filmindustrie ein Faible dafür hatte, Wahrheiten zu verdrehen und überspitzt darzustellen, doch hatte sie früher einmal selbst viel Recherche im Bereich des US Militärs betrieben, als ihre eigene Zukunft noch Hoffnung und Zuversicht versprach. Außerdem war ihr eigener Vater Teil dieser Eliteeinheit gewesen, doch das verschwieg sie jedem in ihrem neuen Leben. Je weniger sie aus ihrer Vergangenheit preisgab, desto sicherer war sie.

Curtis stand plötzlich auf und lief zu ihr hinüber. „Ich muss kurz etwas erledigen, aber ich sollte in dreißig Minuten zurück sein. Du und Donny kommt klar, oder?", fragte er. Donny grunzte nur als Antwort und sie nickte bestätigend. Dann gesellte er sich zum Fremden, der bereits am Ausgang auf ihn wartete und beide schritten hinaus.

Eliza schüttelte ihre Verwunderung über das abrupte Verschwinden ihres Chefs ab und konzentrierte sich wieder auf die wöchentliche Inventur, die sie nun übernehmen musste.
Als sie sich zwei Stunden später eine kurze Nikotinpause vor der Bar genehmigte, war Curtis immer noch nicht zurückgekehrt. Er hatte eine kurze Nachricht geschickt, in der er sich für die weitere Verspätung entschuldigte und Eliza dachte sich nichts weiter dabei. Schließlich war Curtis ja der Eigentümer und konnte sich ein Fernbleiben auch mal gönnen, war er sonst ja immer anwesend.

Donny hingegen wirkte von Stunde zu Stunde angespannter. Sie fragte sich, ob er insgeheim wohl eine Ahnung hatte, was vor sich ging, doch fragte sie nicht nach. Immerhin erwartete sie ja von anderen auch eine Wahrung ihrer Privatsphäre. Dennoch musterte sie den Berg heimlich und versuchte, seine Züge zu deuten, wann immer sie konnte. Als sich die Bar jedoch am Abend langsam füllte, da die Football Spiele der Denver Broncos das Highlight der Stadtbewohner darstellten, gab sie ihr Vorhaben auf. Auch Donny schien die Aktivitäten seines Freundes vergessen zu haben, als er empört über den Spielverlauf laut losschimpfte und die gesamte Bar mit einstimmte.

Heute Nacht begleitete Donny Eliza zu ihren Wagen und lief erst zurück zu seiner Wohnung, als sie vom Parkplatz fuhr. Ihn hatte sie also wirklich nicht täuschen können, schoss es ihr durch den Kopf. Ausnahmsweise waren noch etliche Autos auf den Straßen unterwegs und Eliza fuhr ruhig nach Hause.

Heute folgte der dunkle SUV ihr jedoch nicht. Nein, heute parkte er am anderen Ende der Stadt und sein Fahrer notierte pingelig genau die Uhrzeit, an dem das Licht in der heruntergekommenen Absteige ausgeschaltet wurde.

11:33 Uhr, schrieb Jacob Harris gerade nieder und verstaute wieder den Stift. Er würde noch eine Stunde warten und sich dann selbst zu seinem kleinem Apartment begeben, in das er vor drei Wochen gezogen war. Vier Stunden Schlaf würde er sich gönnen, bevor er wieder hier auftauchen und Stellung beziehen müsste. Sobald seine Zielperson dann das Haus verlies, würde er das Haus verwanzen und winzige Kameras verteilen, die alles genauestens aufzeichnen und so könnte er sich bald ein Bild vom Leben dieses Mannes machen.

Technologie war Segen und Fluch zugleich, dachte er, als er am Morgen das nötige Equipment für seine Überwachung zusammenstellte. Er lagerte nichts in seinen eigenem Apartment, sondern hatte sich unter einer weiteren, falschen Identität eine Lagereinheit in einer benachbarten Stadt gemietet, aus der er auf seine Aufnahmen zugriff und sie auswertete. Er besaß zwar ein Smartphone, welches die besten Verschlüsselungen aufwies, die das Darkweb zu bieten hatte, aber dennoch meistens zuhause gelassen wurde. Lediglich für alltägliche Erledigungen, die den Anschein eines normalen Lebens erweckten, begleitete es ihn.

In seinem Lagerraum selbst verwendete er ein Prepaid Klapphandy, mit dem er seinem Klienten Ort und Zeitpunkt mitteilte, an denen er das nächste Update in Form eines braunen Umschlags hinterließ. Manch einer konnte seine übertriebene Vorsicht mit Paranoia verwechseln, doch in seiner Branche konnte die kleinste Nachlässigkeit fatale Folgen mit sich ziehen.

Sobald er das Haus der Zielperson ausreichend verwanzt und sich zurück in seinem Lagerraum davon überzeugt hatte, dass die Technik auch einwandfrei funktionierte, stieg er in den schwarzen Hyundai, den er zur Aufrechterhaltung seines Decklebens verwendete. Für die Außenwelt war Jacob ein frisch geschiedener Junggeselle, der sich in Buffalo Creek von seiner verrückten Ehefrau erholte, die ihn Sitzen gelassen hatte. Er gab sich als aufstrebender Autor aus, der zuhause nicht schreiben konnte und stets unterwegs auf der Suche nach der nötigen Inspiration war. Bloß keinen Argwohn der Nachbarn auf sich ziehen, die sein unregelmäßiges Kommen- und Gehen beobachteten. Er hatte mitangesehen, wie selbst die durchdachtesten und vorsichtigsten Berufskollegen geschnappt wurden, da sie die pure Neugierde ihrer Nachbarn unterschätzt hatten. Diesen Fehler würde er nicht begehen.

Zuhause kramte Eliza den Schuhkarton hervor, den sie hinter einer gelockerten Holzplanke im Wandschrank versteckt hatte. Sie ließ sich aufs Bett fallen und öffnete vorsichtig den Deckel. Behutsam nahm sie Fotos in die Hand, die ihr einzig verbliebenes Eigentum und Zeuge ihres 29-jährigen Lebens waren. Mehr hatte sie nicht mitnehmen können.
Aus irgendeinem Grund hatte das Auftauchen des SEALS sie dazu verleitet, ihr altes Leben zu betrachten. Als sie das Familienfoto hervorkramte, nach dem sie gesucht hatte, betrachtete sie es genauestens, so als würde sie es zum ersten Mal erblicken.

Zwei Paar Augen strahlten sie glücklich an, obwohl der Tag alles andere als fröhlich begonnen hatte. Sie erinnerte sich an diesen Moment, als wären nicht bereits über zehn Jahre vergangen, sondern lediglich Tage.
Ihre Familie hatte ein Barbecue abgehalten, um den Ruhestand ihres Vaters zu feiern, der mit Mitte vierzig aus dem aktiven Dienst ausscheiden und fortan als Ausbildungsleiter der zukünftigen Generation SEALS arbeiten wollte. Am späten Abend zuvor hatte jedoch der Kühlschrank den Geist aufgegeben, und so hatten ihre Eltern am morgen panisch nach Ersatz gesucht und keinerlei Zeit für Vorbereitungen gehabt. Seine Kollegen, beziehungsweise Brüder und deren Familien, griffen ihnen unter die Arme und sorgten für die Verpflegung, die das Barbecue retteten.

Eliza blickte auf ihr glückliches siebzehnjähriges-Ich, das von ihrem Vater umarmt wurde. Sie besaß die gleichen dunkelbraunen Augen, die gleichen hohen Wangen und das gleiche, beinahe schwarze Haar wie ihr Vater. Sie hatten sich so sehr geähnelt und das nicht nur Äußerlich. Von ihm hatte sie außerdem ihren dunklen Humor, aber auch ihre Freundlichkeit geerbt, beides Eigenschaften, die später ihren Untergang besiegelten. Denn seine immense, innere Stärke war ihr vorenthalten geblieben.
Vorsichtig legte sie das Foto zurück in den Karton, das die letzte gemeinsame Aufnahme darstellte und verstaute ihre Erinnerungen wieder fernab aller Augen.

The BartenderWo Geschichten leben. Entdecke jetzt