Kapitel 7

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Als Eliza auf dem Parkplatz im Hinterhof der Bar ankam, stieg sie nicht sofort aus. Hektisch durchwühlte sie ihr Handschuhfach und suchte nach dem Döschen Schmerzmittel, das ihr vor Monaten für Notfälle verschrieben wurde. Bis heute hatte sie das Mittel nur selten einnehmen müssen, waren die Schmerzen meistens erträglich, oder durch Ibuprofen einzudämmen gewesen. Zudem wollte sie es nicht riskieren, eine Abhängigkeit zu entwickeln.

Am Morgen war sie jedoch mit unsäglichen Schmerzen aufgewacht, die sich nichtmal durch herkömmliche Präparate lindern ließen und so seufzte sie erleichtert auf, als sie das Vicodin endlich entdeckte und gleich eine Tablette mit etwas Wasser runterspülte. Vorsorglich verstaute sie das Döschen in ihrer Handtasche und stieg aus dem Wagen.

Während sie den kurzen Marsch zur Bar antrat, hoffte sie, dass das Präparat seine Wirkung schnellstens entfalten und ihr das Arbeiten ermöglichen würde. Sie wollte weder Curtis an einem Samstagabend alleine lassen, noch ihren Chef von ihren schon vor Monaten verheilten Verletzungen erzählen, die ihr Leben bereits lang genug bestimmt hatten. So wusste auch keiner ihrer neuen Bekanntschaften von der langen, schwulstigen Narbe, die nahezu vollständig ihre Wirbelsäule säumte und sich glücklicherweise durch die richtige Kleidung vor aller Augen verstecken ließ.

Eliza wäre verdammt, wenn sie durch die Schmerzen wieder in die verhasste Opferrolle versetzt und sich ihr Leben nur noch um die Narbe drehen würde. Nein, lieber nahm sie das starke Opioid ausnahmsweise mal ein und versuchte angestrengt, sich nichts anmerken zu lassen. Dennoch würde sie beim nächsten Kontrollbesuch in der Neurochirugie in Denver Dr. Scott davon berichten.

Wenig später stellte sie zufrieden fest, dass ihre Schmerzen langsam erträglich wurden und so versuchte sie sich darauf zu konzentrieren, die Bar für den typischen Wochenendbetrieb vorzubereiten. Still dankte sie dem Schicksal dafür, dass Curtis im Lager beschäftigt war und Donny erst am Abend auftauchen würde und so keiner ihr schmerzverzerrtes Gesicht entdecken konnte, das manche Bewegungen dennoch auslösten.

Bevor der Abend anbrach, tauchte James zum ersten Mal seit seinem plötzlichen Verschwinden am Donnerstag auf. Eliza stellte fest, dass er diesmal ohne seinen Laptop aufgetaucht war und auch seine sonst so typische, ernste Miene zuhause gelassen hatte.

Er setzte sich auf den Barhocker ihr gegenüber, obwohl ihm in der fast leeren Bar eine freie Platzwahl zur Verfügung stand.
Er begrüßte sie freundlich und bestellte zugleich ein Bier.
„Wo ist denn deine bessere Hälfte heute?", fragte sie ihn und erntete zugleich einen verwirrten Blick.
„Deinen Laptop meine ich. Ich glaube, ich habe dich hier noch nie ohne ihn gesehen", fügte sie noch hinzu.

Er schmunzelte, bevor er im gleichen ernsten Tonfall antwortete:
„Wir haben unüberbrückbare Differenzen entwickelt und werden in nächster Zeit wohl eine Auszeit voneinander nehmen."
„Ärger im Cyber Paradies, ich verstehe. Wenn du möchtest, kann ich dich mit Curts neuem MacBook bekannt machen, der in seinem Büro Staub ansetzt. Er ist bestimmt total vereinsamt und sehnt sich danach, das jemand auf seinen Tasten klimpert", erwiderte sie trocken.

„Das klingt sehr verlockend, aber heute möchte ich mein Singledasein genießen. Richte ihm jedoch aus, dass er irgendwann schon noch benutzt wird. So wie ich Curtis kenne, dürfte sein uralter PC nicht mehr lange durchhalten."
Ein tadelnder, aber zugleich belustigender Ausdruck traf Eliza. Sie musste sich zusammenreißen, um nicht loszulachen, denn sie genoss das ernste, sarkastische Gespräch und wollte es nicht frühzeitig in eine andere Richtung lenken.

So antwortete sie: „Warum soll ich etwas wegwerfen, das noch funktioniert", und zitierte ihren Chef, der frei nach dieser Philosophie nur etwas Neues anschaffte, wenn das Alte absolut nicht mehr repariert werden konnte. Selbst das Geschenk zu seinem 40. Geburtstag im letzten Jahr, das seinen antiken Windows XP endlich ablösen sollte, stellte hier keine Ausnahme dar.

„Manche Dinge verändern sich wohl nie", antworte James und lächelte. „Als ich ihn kennengelernt habe, hat er immer noch seinen alten iPod rumgeschleppt, obwohl er da bereits ein Smartphone besaß."
Eliza keuchte übertrieben auf. „Was? Er hatte damals schon ein Smartphone?"
„Ja, aber nur, weil er so mit seiner Schwester und Lisa immer in Kontakt bleiben konnte. Sie wollten ihm auch einen Spotify Account erstellen, doch das war dann doch zu viel des Guten. Bis sein iPod den Geist aufgegeben hat und er einsehen musste, dass neue Technologie manchmal echt nützlich sein kann."

Diesmal lachte Eliza auf. „Manchmal frage ich mich, ob Curtis schon mit der Seele eines Rentners geboren wurde."
James wirkte für einen kurzen Augenblick abwesend, so als spielte sich in seinem Kopf gerade die Erinnerung daran ab, in der sein alter Freund dem iPod Lebewohl sagen musste.
„Curt mag zwar kein Händchen für Technologie haben, dafür versteht er es aber, jemanden so lange am Leben zu erhalten, bis ein Arzt sich um die Wunden kümmern kann. Ohne seine medizinischen Kenntnisse wäre ich damals gestorben."

Ein ernster Ausdruck trat auf sein Gesicht und wischte den Schelm der letzten Minuten fort. Eliza wusste, dass Curtis als Feldsanitäter zahlreichen armen Seelen das Leben gerettet hatte, doch hatte er nicht erzählt, dass der SEAL zu ihnen gehörte.
„So habe ich ihn auch kennengelernt. Meine Mission ist vollkommen schief gelaufen und als die Marines der Quick Response Force uns aufgabelten, hatte ich Glück, dass ausgerechnet Curt im selben Helikopter wie ich saß und die Blutung stillen konnte."
Eliza nickte. Sie war durchaus neugierig geworden und hatte so viele Fragen, doch kannte sie den SEAL nicht ausreichend genug, um ihn über seine Kriegserlebnisse auszuquetschen.
Aus Erfahrung wusste sie zudem, wie wichtig es war, die Privatsphäre von Veteranen zu wahren und es ihnen zu überlassen, was sie mit ihr teilen wollten. So war es auch bei ihrem Vater gewesen.

Es legte sich eine unheimliche Stille über die Situation und Eliza suchte fieberhaft nach einer Lösung, um das Gespräch wieder in Gang zu setzen. Leider fiel ihr in diesem Moment nichts ein und sie verfluchte ihr Gehirn, das in den unpassendsten Momenten einfach streikte. Schließlich ergriff James wieder das Wort und durchbrach das Schweigen.

„Wo ist Curtis eigentlich?" Innerlich seufzte Eliza auf bevor sie ihm antwortete.
„Im Lager. Der Lieferant hat unsere Bestellung heute morgen vermasselt und jetzt versucht er verzweifelt, den heutigen Abend zu retten."
Er zog eine Augenbraue in die Höhe, bevor er antwortete: „Ist es so schlimm?"
„Unsere Biervorräte sind beinahe aufgebraucht und heute Morgen kam der Ersatz an. Die zehn neuen Fässer würden uns eigentlich bis Freitag reichen. Leider wurde uns aber zehn alkoholfreie Fässer geliefert. Natürlich fiel das erst vorhin auf."

Eliza zuckte mit den Schultern. „Er gibt den Lieferanten für die Verwechslung Schuld und fordert natürlich, dass uns das richtige Bier geliefert wird. Die behaupten, dass sie alles richtig gemacht haben und sowieso erst am Montag einen Fahrer hierher schicken könnten. Ich glaube aber, dass sein Dinosaurier von einem PC daran schuld ist und er jetzt endlich den Neuen anschließen wird. Wir brauchen mindestens ein Fass heute Abend, sonst können wir um zehn dicht machen. Oder nur noch Schnaps ausschenken."

„Gott behüte, dass dieser Bierskandal die Runde macht und die Menschen aus Angst vor Nüchternheit das Weite suchen. Oder euren starken Whiskey vorgesetzt bekommen und dann ein Massenkoma ausbricht."
Eliza lachte laut auf. Sie spürte, wie sich die Wärme in ihr ausbreitete, die seit Beginn des Gesprächs plötzlich aufgetreten war. Sie prustete so laut los, dass sie schon dachte, die wenigen Gäste würden sie für verrückt halten.
Als sie sich wieder fing, und eine angestrengt, ernste Miene aufsetzte, stürmte Curtis aus dem Lager. Er rannte regelrecht in Richtung Ausgang, und verkündete triumphierend, dass er eine Brauerei aufgespürt hat, die ihm Fässer bereitstellten, solange er sie selbst abhole. Er teilte den beiden noch mit, dass er in einer Stunde wieder zurück sei, bevor er verschwand.

Die Eingangstür schlug forsch zu und als James einen vielsagenden Blick mit Eliza austauschte, löste sich jegliche Selbstbeherrschung wieder in Luft auf.
„So schnell habe ich ihn nicht mal in Afghanistan rennen sehen", presste der SEAL angestrengt hervor und prustete zugleich wieder los.

Eliza wollte gerade mit einstimmen, als ein stechender Schmerz sie regelrecht überfiel. Ihr Rücken fühlte sich an, als würde jemand genüsslich ein brennendes Messer langsam über ihre Wirbelsäule ziehen. Sie wollte schon nach dem Döschen Vicodin in ihrer Handtasche greifen, doch entzog der aufziehende Nebel ihr das Bewusstsein.

Bevor ihr Körper auf dem Boden aufschlug, war sie schon in vollkommener Dunkelheit verloren.

The BartenderWhere stories live. Discover now