Bonuskapitel 4

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Die acht Jahre alte Cleo betrachtete sich im Spiegel. Ihre langen schwarzen Haare waren zu zwei Zöpfen geflochten. Eine Dienerin hatte ihr Haar mit großen rosa Schleifen zusammengebunden. Sie trug dazu ein rosa Kleid, mit einem weiten Rock. Cleo mochte keine Kleider und sie mochte auch die Zöpfe nicht. In den Händen hielt sie eine Schere. Sie hatte einen Entschluss gefasst: Die Zöpfe mussten weg!

Daher schnitt sie sich die Zöpfe mit den fürchterlichen Schleifen einfach ab. Schnipp, schnapp und die Zöpfe waren ab.

Sie lächelte ihr neues Spiegelbild an. Ihre Haare reichten ihr jetzt nur noch knapp über die Ohren und waren unebenmäßig abgeschnitten. Zufrieden verließ sie ihr Zimmer. Sie hatte Lea versprochen, ihr ein Buch vorzulesen.

Cleo konnte noch nicht sehr gut lesen, aber dafür konnte sie sehr gut so tun, als würde sie lesen, während sie sich eine Geschichte passend zu den Bildern in den Büchern ihrer fünf Jahre alten Schwester ausdachte. Lea liebte ihre Geschichten und auch der zehn Jahre alte Fritz hörte ihr gern zu, wenn sie eine Geschichte ‚vorlas'. Fritz konnte gut lesen, aber er las nicht gerne vor. Aber das wollte Lea meistens auch nicht. Sie wollte nicht die Geschichten hören, die tatsächlich in ihren Büchern standen. Sie wollte Cleos Abenteuergeschichten hören.

In Leas Zimmer saß Fritz zusammen mit Lea auf dem Boden. Sie sahen gemeinsam in ein Geschichtslexikon, aus welchem Fritz Vorlas. Etwas, das selten vorkam.

„Der König rief alle volljährigen Hexen und Zauberer auf, sich der Armee anzuschließen, um die Überfälle der Werwölfe und Elfen zurückzuschlagen. Unsere heutige Königin wurde zur Königin gekrönt, nachdem der König und seine Erben im Kampf gegen die Wölfe und Elfen starben. Da sie die Armeen zum Sieg geführt hatte, wählte das Volk sie zur Herrscherin. Ihr besonderes Talent mit dem Schwert und ihre Visionen hatten sie schnell zur Befehlshaberin der Armeen aufsteigen lassen. Einige Hexen und Zauberer, die Ruhmreich aus dem Kampf wiederkehrten erhielten von der neuen Königin Adelstitel...."

„Liest du Lea vor, wie toll unsere Mama ist?", fragte Cleo amüsiert.

„Sie wollte wissen, wie Mama zu Königin wurde. Mama hatte keine Zeit ihr die Frage zu beantworten... Sie ist in einer wichtigen Besprechung." Fritz schwarze Haare waren ihm in die Augen gefallen und er strich sie sich aus dem Gesicht. Er brauchte dringend einen Haarschnitt, doch er mochte es nicht, wenn ihm die Haare geschnitten wurden. „Was ist mit deinen Haaren passiert Cleo? Hast du sie dir abgeschnitten?"

„Ja! Sie haben mich gestört!"

Die kleine Lea sah Cleo mit ihren großen braunen Augen an. „Darfst du das denn? Kannst du meine Haare auch abschneiden?" Sie hielt ihre zwei wesentlich kürzeren Zöpfe hoch. „Genauso wie du!"

„Dann schimpft Mama mit euch beiden!" Fritz schüttelte den Kopf.

„Ich könnte deine Haare auch abschneiden!", schlug Cleo ihm vor und setzte sich neben ihren großen Bruder.

„Nein, danke!" Fritz legte das Lexikon beiseite. „Ich lasse mir die Haare nicht schneiden!"

„Dann lass ich mir meine Haare auch nicht schneiden!", verkündete Lea. „Ich lasse sie gaaaaaaaaanz lang werden! So lang wie .... Zum Mond!"

„Dann werden meine so lang wie bis zum Ende der Welt! Und Cleo verliert, weil sie ihre Haare abgeschnitten hat!" Fritz streckte ihr die Zunge raus. Cleo streckte ihm daraufhin auch die Zunge raus.

Lea kletterte auf Fritz Schoß und zog an Cleos kurzen Haaren. „Jetzt wachsen sie nie, nie mehr!"

„Aua!" Cleo befreite ihr Haar von den Händen ihrer kleinen Schwester. „Das tat weh Lea. Dann lese ich dir auch nichts vor!"

„Dann liest Fritz mir was vor. Aus dem Le.. Les ... Lesikon!"

„Lexikon", korrigierte Fritz sie. „Aber Cleo kann viel spannendere Geschichten erzählen."

„Aber in Cleos Geschichten geht es nicht darum, wie Mama gegen die bösen Elfen und Werwölfe gewonnen hat!"

Fritz nahm das schwere Buch und blätterte darin herum. Leo sah ihm interessiert zu und hielt ihre Finger in die umschlagenden Seiten. „Viel mehr steht über den Krieg hier nicht drin."

Lea zog einen Flunsch. „Das ist doof."

„Wenn du dich bei Cleo entschuldigst, erzählt sie dir vielleicht doch eine Geschichte."

„Na gut." Lea sah zu Cleo, die beleidigt die arme verschränkte. „Tut mir leid, Cleo. Erzählst du mir eine Geschichte?" Lea sprang auf und holte eines ihrer Bilderbücher. „Diese hier!", sagte sie und reichte das dünne, in rotem Leder gebundene Kinderbuch ihrer Schwester hin.

„Na gut..." Dann erzählte Cleo ihren Geschwistern eine Geschichte darüber, wie ein mutiger Zauberer gegen Zentauren kämpfte, um eine Prinzessin zu retten. Die Prinzessin war von den Zentauren entführt worden und der Zauberer musste sich auf einen gefährlichen Weg machen, bis in das Land der Zentauren, um sie dort zu befreien und nach Hause zu bringen. Am Ende der Geschichte heiratete der Zauberer die Prinzessin und wurde König. Lea war von der Geschichte begeistert und wollte eine zweite hören...

Als ihre Mutter beim Abendessen sah, was Cleo mit ihren Haaren gemacht hatte, war sie erschüttert. „Cleo! Deine Haare!" Sie stand von ihrem Platz auf und eilte zu ihrer eigenwilligen Tochter.

Cleo hatte ihre Zöpfe in unterschiedlicher Länge abgeschnitten: Links unter ihrem Ohr und rechts ein gutes Stück über dem Ohr. „Ich möchte keine langen Haare haben, da habe ich sie einfach abgeschnitten." Sie war stolz auf ihr Werk. „Jetzt sind sie schön kurz!"

„Aber so kannst du doch nicht herumlaufen... Ich lasse gleich morgen die Frisörin rufen... Sie soll deine Haare in Ordnung bringen... Eine Prinzessin darf nicht so... unordentlich aussehen!"

„Ich sehe nicht unordentlich aus!" Cleo verschränkte die Arme.

„Doch das tust du. Ich bin sehr enttäuscht, Cleo." Die Königin strich das Kleid ihrer Tochter glatt, dass nach dem Toben mit Fritz verkrumpelt war. „Und was hast du mit deinem Kleid gemacht?"

„Nichts. Ich habe nur gespielt."

„Du bist viel zu wild für eine Prinzessin. Was mache ich nur mit dir?"

Cleos Vater lachte amüsiert. Er hatte dunkelbraune Augen. Cleo und Lea hatten ihre Augenfarbe von ihm geerbt. Fritz hatte die grünen Augen ihrer Mutter. „Unsere Cleo hat nun einmal Feuer. Ein richtiger Wirbelwind", fuhr ihr Vater fort. „Kaum zu bremsen!"

„Was gibt es heute zum Essen?", wollte Lea wissen und baumelte unter dem Tisch mit den Füßen.

„Da lassen wir uns einmal überraschen", antwortete ihr Vater. „Vielleicht gibt es Pferdeäpfel mit Minzsoße?"

„Iiiiiiiiih! Das esse ich nicht!", rief Lea empört.

„Oder Kartoffeln mit Schneckenschleim?", überlegte Fritz.

„Ameisenbrei!" Cleo setzte sich auf ihren Platz am Tisch. „Ameisenbrei und Entengrütze!"

Auch die Königin kehrte auf ihren Platz zurück. Sie schüttelte lachend den Kopf. Kurz darauf brachten die Diener, darunter ein Elf und zwei Werwölfe, das Essen: Einen Braten, Kartoffeln, Möhren und helle Soße.

„Möhren mag ich nicht!", verkündete Lea sofort, die Misstrauisch die nichtmenschlichen Diener betrachtete.


Hexe - Der AufstandWo Geschichten leben. Entdecke jetzt