17. Dezember

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von Alyssa lisbethindistress (letsdanceluna)

PART 2 von 2

Aris entpuppt sich als den coolsten vierjährigen den ich jemals getroffen habe. Sein Zimmer war voller Dinos und Actionfiguren – die meisten von Marvel. Sofort habe ich eine Connection mit ihm gefunden. Luca brauch kein Marvel Wissen um auch nur irgendjemanden um den Finger zu wickeln. Man kann ihn nur lieben und Aris ist ein weiterer Beweis für meine aufgestellte Hypothese.
Aris saß schon in seinem Rollstuhl als wir reingekommen sind – sein T-Rex, Rexi, direkt an seiner Seite. Er rollte zu uns, bevor wir mit beiden Füßen durch die Tür treten konnten, und hielt uns eine Zeichnung hin, an der er die ganze Woche gesessen hatte.
„Und das bin ich", beendet Aris seine Aufzählung. Er zeigt auf einen rothaarigen Jungen mit roter Brille in einem roten Rollstuhl. Aris und ich stehen vor einer großen Bühne auf der Luca mit einem Mikrofon steht. Es ist eine Strichmenschchen Zeichnung, wir haben alle nur drei Finger und mein eines Auge schwebt in der Luft. Noch nie habe ich eine so schöne Zeichnung von jemanden bekommen. Das wird zu Hause sowas von an unseren Kühlschrank gehangen. Als ich dachte ich könnte Aris nicht noch mehr feiern, rollt er zu einen seiner wenigen Schränke im Zimmer und macht eine Handbewegung, dass wir ihm folgen sollen.
„Kommt her", flüstert er.
Ich bücke mich, um auf Augenhöhe mit ihm zu sein. Gedanklich kreuze ich meine Finger, dass meine Strumpfhose dabei nicht reißt.
Aris öffnet die unterste Schublade. Ein Haufen voll Süßigkeiten liegt darin verteilt. Breit grinsend wartet Aris auf eine Reaktion von uns.
Luca stöhnt auf, was mich zum Lachen bringt, da er dabei in seinem Zustand absolut absurd aussieht.
„Psh", zischt Aris mit seinem Zeigefinger vor dem Mund. „Das ist ein Geheimnis."
Im Augenwinkel sehe ich wie Aris Mutter die Hand vor den Mund hält. Sie räuspert sich, dann dreht sie sich um, sodass man ihr Gesicht nicht mehr sehen kann.
„Woher hast du denn die ganzen leckeren Süßigkeiten?", flüstert nun auch Luca. Ich nicke interessiert.
„Olga und ich gehen immer heimlich nach dem Frühstück zum Automaten. Wir bringen dann immer Felix, Saphira und Emilia was mit, weil sie nie mitdürfen."
„Und wer ist Olga?"
„Das ist unsere Schwester. Und wenn sie mir Frühstück bringt, dann machen wir immer einen kleinen Ausflug. Und dann kauft sie mir immer heimlich Süßigkeiten. Und dann verstecke ich die immer hier drin", erzählt er mir lauthals.
Das Räuspern wird zum Husten.
Luca grinst erst mich, dann die Mutter an, die mit Tränen in den Augen uns zuschaut. Aris scheint nicht zu begreifen was los ist. Der Gedanke, dass er es vermutlich gewöhnt ist seine Mama traurig zu sehen zwickt mein Herz. Zu wissen, dass sie in diesem Fall sich ein Lachen und keine Tränen versucht zu unterdrücken, erleichtert mir den Gedanken wenigstens ein Hauch.
„Wollen wir Superhelden spielen?" Abrupt streckt Aris seine Arme mit Iron Man in seiner Hand aus, dabei verrutscht seine Brille die dickere Gläser hat als sein Oberschenkel breit ist.
Während Luca mit Aris spielt, gehe ich zu seiner Mutter.
„Aris denkt immer er wäre auf einer geheimen Mission, wenn er mit Olga zum Automaten geht. Er versteckt beim Zurückkommen die Süßigkeiten dann immer unter seinem T-Shirt, dabei grinst er bis zu beide Ohren und bittet mich kurz wegzugucken, bis er die Süßigkeiten in seiner Schublade versteckt hat."
„Ist das so auffällig?", frage ich überflüssigerweise.
Sie lacht. „Abgesehen davon, dass er den Müll dann immer bei uns in den Mülleimer schmeißt und manchmal einen Schokolade verschmierten Mund hat, wenn ich von der Toilette widerkomme", sie legt ihren Kopf schief, „dann ja."
„Ist ja nicht so als dürfte er bei mir keine Süßigkeiten essen", beantwortet sie meine ungestellte nächste Frage. „Die Kinder haben hier nun mal keine Möglichkeit das Leben eines Kindes führen zu können. Kinder rennen unaufmerksam rum und machen dabei aus Versehen was kaputt, sie kriechen in Sachen rein und bleiben darin stecken, obwohl man sie mehrmals genau davor gewarnt hat... Sowas kann Aris nicht machen und auch wenn er noch nie in der Lage war sowas machen zu können, vermisst er es, da er weiß, wie Kinder eigentlich wirklich drauf sind. Deswegen habe ich mit Olga diesen Plan ausgeheckt." Sie macht eine Verschnaufpause. „Die anderen Kinder finden das auch ganz toll etwas Verbotenes zu machen, auch wenn das verbotene nur Aris ist, der zu einer mit den Eltern abgesprochenen Zeit heimlich in deren Zimmer rollt, um ihnen Süßigkeiten zu bringen." Wieder eine Pause. „Diese Zeit nutzen wir Eltern dann immer, um einmal tief allein durchzuatmen."
Ich nicke. Ich nicke immer, wenn ich nicht weiß, was ich sagen soll. Am liebsten würde ich sie in den Arm nehmen, diesen Drang verwerfe ich allerdings schnell wieder. Was ihr am meisten helfen würde, ist ihren Sohn Lachen zu sehen. Und deshalb sind wir auch hier. Kinder zum Lachen zu bringen.
Wie einstudiert fängt Aris tief aus seinem Bauch heraus an zu lachen. Beide unserer Köpfe drehen sich in Richtung Aris und Luca die gerade versuchen eine umgeschmissene Pflanze wieder hinzustellen.
Die beiden bemerken, dass sie von uns beobachtet werden.
„Luca hat die Pflanze umgeschmissen." Aris zeigt auf Luca der sofort nach Luft schnappt.
„Gar nicht wahr. Das war Hulk."
„Hulk ist nicht echt. Du spielst ihn nur."
„Natürlich ist er echt. Hast du nie Toys Story gesehen?"
Lachend vergräbt Aris sein Gesicht in seinen winzigen Händen.
Ich liebe es Luca mit Kindern zusammen zu sehen. Mein Kopf spult dann immer ein paar Jahre vor und ich stelle mir vor, wie unsere Familie später aussehen wird. Und ich kann es kaum erwarten.
Nach Aris waren wir in noch drei weiteren Zimmern. Jedes Kind hat mir aufs Neue mit deren Geschichte das Herz aus der Brust gerissen und gleich wieder ein neues wachsen lassen, sobald sie uns mit ihren unschuldigen Augen und breitem Lächeln angeschaut haben. Den letzten und Jüngsten, den wir besucht haben, ist gerade mal zwei Jahre alt und musste mehr in seinem Leben durchmachen als ich in meinen zweiunddreißig Jahren. Der kleine ist ganz aus dem Häuschen gewesen, weil er Luca als echten Weihnachtsmann angesehen hat. Die ganze Zeit haben Luca und ich Blicke ausgetauscht, weil wir beide nicht darauf klargekommen sind, wie süß dieser kleine Knirps ist. Besonders als er sich auf Lucas Arm eingekuschelt und seinen Eltern Bye Bye gewunken hatte, weil er lieber mit uns mitwollte. Dann ist aber auch schon die Oberärztin wieder zu uns in den Raum gekommen, um uns mitzuteilen, dass in fünf Minuten die Mittagszeit ist und wir schon mal mit in den großen Raum kommen sollen. Wie bei jedem Kind was wir heute getroffen haben, fiel mir der Abschied schwer. Keine Ahnung wie lange wir ihm auf Wiedersehen gewunken haben, aber es ist zu kurz gewesen. Egal wie lange wäre zu kurz gewesen. Die Zeit hier im Krankenhaus rast unheimlich schnell. Jedenfalls für uns.
Einmal geblinzelt und schon sind wir in dem Gemeinschaftsraum mit so vielen kranken Kindern, dass ich am liebsten gen Himmel schreien würde, wie ungerecht das Leben ist.
Dafür kann man echt nicht über die Dekoration des Raumes lästern. Sie haben sich echt viel Mühe gegeben den Raum so festlich wie möglich zu gestalten. Überall hängen Girlanden mit Lichterketten. Tische mit verschiedenen Bastelstationen stehen wie eine U-Form an den Wänden. Gebastelte Schneeflocken kleben an den großen Fenstern, über den Stuhllehnen hängen Weihnachtsmützen Überzieher und einen großen Weihnachtsbaum, mit Kugeln und Engeln verziert steht mit vielen Geschenken darunter auch startklar.
Nach unserer Zusage wurden wir gefragt, ob wir einen Beitrag spenden wollen, damit dieses Jahr jedes Kind ein Geschenk unter dem Baum zu liegen haben kann. Luca und ich mussten uns nicht einmal angucken, um zu antworten. Es liegen so viele bunt eingepackte Geschenke, mit den verschiedensten Formen unter dem Weihnachtsbaum, dass alle Kinderaugen dort festkleben bleiben.
Eine Glocke ertönt. Die Stimme der Oberärztin versucht die vielfältigen Konversationen zu übertönen.
„Hallo zusammen", ruft die Oberärztin, obwohl mittlerweile Ruhe eingekehrt ist. „Willkommen in unserer kleinen, aber feinen Weihnachtswerkstatt wo wir zusammen basteln und bauen können." Sie nimmt sich einen Moment, um jeden einmal freundlich anzulächeln. Die Kinder hängen gebannt an ihren Lippen. „Und was wäre das bitte für eine Weihnachtswerkstatt ohne den Weihnachtsmann und der Weihnachtsfrau, richtig?"
Die Oberärztin hält sich ihre Hände hinter die Ohren. „Richtig?"
Die Kinder fangen an zu jubeln.
„Ich höre euch nicht", animiert sie die Kinder. „Ich habe gefragt: Richtig?"
Ein Kinderchor erfüllt den Raum, was mich unwillkürlich zum Lächeln bringt.
Die Oberärztin hält beide Daumen nach oben. „Jetzt höre ich euch. Na dann, Weihnachtsmann und Weihnachtsfrau, darf ich euch nach vorne bitten?"
Strahlend nimmt Luca meine Hand und in einem brausenden Applaus laufen wir in die Mitte des Raumes.
Die Kinder kreischen vor Lachen.
„Nein!", ruft ein Kind rein und hält sich sein Bauch fest. „Das sind Luca und Christina!"
Das Gekreische wird noch lauter.
„Was? Hat Luca etwa so einen Bauch?", fragt Luca in seiner zittrigen alten Weihnachtsopa Stimme und tätschelt sich dabei seinen bereits viel zu tiefsitzenden Bauch.
Viele der Kinder zeigen lachend auf Luca. Es dauert eine Weile bis wieder genug Ruhe einkehrt, sodass die Oberärztin wieder zu reden beginnen kann.
Ich glaube es ist nicht übertrieben zu sagen, dass ich hier die beste Zeit verbringe. Die Kinder sind für diesen Alltagswechsel unfassbar dankbar. Wir basteln alle zusammen viel, wir lachen viel, sie erzählen viel und wir bekommen einen Haufen der gebastelten Sachen geschenkt. Luca hat zwei Songs gemeinsam mit den Kindern performt und mein Herz hätte in diesem Moment wirklich nicht voller sein können.
Ein kleines Mädchen kommt nach dem letzten Song zu mir. Wie Saphira trägt sie ein Kopftuch, ein dünner gelber Schlauch steckt in ihrer Nase. Sie zieht mehrmals vorsichtig an meinem Rock, was ich als Aufforderung ansehe zu ihr runterzukommen.
„Na?"
Sie kommt immer näher an mein Gesicht. Kurzzeitig bin ich zu überfordert, um einzuschreiten, ich lasse es einfach geschehen. Ihre aufgeplatzten Lippen streichen knapp an meinem Gesicht entlang, sie halten vor meinem Ohr.
Gespannt lausche ich was die Kleine zu sagen hat.
Diese Frage lasse ich mir nicht zweimal stellen. Ich nicke ihr zu und sehe, wie sich vor meinen Augen ihre Mundwinkel in ein schwaches Lächeln nach oben ziehen.
Ich laufe zu Luca rüber der gerade drei Kinder an seinen Beinen zu hängen hat, das vierte Kind was ihn umzingelt versucht sich sein Weihnachtsmannbart aufzusetzen.
„Du siehst beschäftigt aus", sage ich amüsiert. Ich lehne mich näher an Luca, damit er mir einen Kuss auf die Wange geben kann.
„Was ist los?", sagt Luca nicht ganz bei der Sache, weil die Kinder halb seine Hose runterziehen. Nichtsdestotrotz lässt sich Luca nicht aus der Fassung bringen, lacht und versucht die große rote Hose über seiner Gürtellinie zu behalten.
„Das kleine Mädchen da drüben hat gefragt, ob wir was tanzen könnten."
Die zwei Mädchen und der eine Junge lassen Lucas Bein los. Sechs große Augen schauen uns an.
„Tanzen?", sagt das eine süße Lockenkopf Mädchen.
„Oh ja!", stimmt das andere Mädchen gleich mit ein.
Der Junge schaut in die Runde. „Luca und Christina wollen tanzen!"
Schelmisch grinsend beäuge ich Luca, der seine Stirn in Falten gelegt hat. „Sieht wohl so aus als hättest du keine andere Wahl."
Immer mehr Leute versammeln sich um uns herum.
„Tanzen! Tanzen! Tanzen!", feuern uns auch die Erwachsenen an, die bereits deren Handys gezückt haben.
„Das ist schon über ein Jahr her seitdem ich was getanzt habe", redet sich Luca nervös lachend raus. Er kratzt sich an seinem Nacken, was er immer macht, wenn er nervös ist.
Mit wackelnden Augenbrauen steige ich mit in den Luca-Gesang ein, den mittlerweile alle singen.
„Na gut, na gut."
Die Menge jubelt.
„Was sollen wir tanzen?"
Ich zucke mit den Schultern und drehe mich zu den Kindern, die es sich auf den Boden bequem gemacht haben.
„Was sollen wir tanzen?" Ich genieße diesen Moment ein wenig zu sehr.
„Jive!", ruft eine Mutter rein. Die Menge johlt.
Erwartungsvoll schaue ich Luca an, er allerdings springt auf und ab, währenddessen erwähnt er, dass er doch keine Ahnung mehr hat.
„Ach, du schaffst das. Das ist wie Fahrrad fahren." Ich warte auch keine Antwort ab und nehme die Musikbox dankend an die mir die Oberärztin anbietet. Auf Spotify suche ich I Got Lucky raus, verbinde mein Handy und zähle den Tanz ein.
Was soll ich sagen? Es ist auch für Luca wie Fahrrad fahren. Danach durfte er gleich noch Cha Cha Cha, gefolgt von unserer Rumba tanzen.
„Ihhhh", sagen die Kinder in unison zu dem Stirnkuss Moment. Ich lache gegen Lucas Lippen bevor wir uns zum Abschluss noch einen richtigen Kuss schenken.
Erst im Nachhinein ist mir aufgefallen, wie merkwürdig wir wohl beim Tanzen ausgesehen haben müssen, da ich unsere Kostüme ab einer gewissen Zeit komplett ausgeblendet habe. Kein Wunder, dass selbst manche Eltern gelacht hatten.
Am Ende durften wir die Kinder aufrufen und ihnen deren Geschenke überreichen. Ab da ist es vorbeigewesen. Da ist mein Staudamm gebrochen und die Tränen gelaufen. Diesmal aber nicht vor Mitleid. Ich bin einfach unfassbar dankbar gesund zu sein. Ich bin dankbar, dass meine Familie gesund ist. Ich bin dankbar den besten Verlobten zu haben, zu lieben und geliebt zu werden. Ich bin dankbar für mein Leben. Ich bin dankbar hier eingeladen worden zu sein, um gemeinsam mit den Kindern zu feiern und glücklich zu sein.
Magischer hätte der Tag nicht sein können.
Dachte ich jedenfalls, bis Luca ankommt.
„Was?", frage ich skeptisch und schaue auf seinen Arm runter den er hinter seinem Rücken versteckt.
Er holt einen Mistelzweig hervor und hält ihn direkt über uns. „Es ist kein richtiges Weihnachtsfest ohne einen Kuss unter dem Mistelzweig."
Oh, wie recht er doch hat.
Ich lasse mich von ihm heranziehen und breche die letzten Millimeter zwischen unseren Lippen.
Jetzt könnte der Tag nicht magischer sein

Let's ChristmasWhere stories live. Discover now