4. Dezember

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von Fab geistiola (lets._dance_fanpage)

„Sehr geehrte Fluggäste, aufgrund eines nahenden Schneesturms sind alle Flüge für den Rest des Tages ersatzlos gestrichen. Wir entschuldigen uns für die Unannehmlichkeiten und wünschen ihnen trotzdem noch einen schönen Tag!" Janin legte den Kopf in den Nacken und verdrehte die Augen. Einen schönen Tag? Klar wer verbrachte nicht seinen schönsten Tag an Heiligabend am Flughafen in Köln. Janin hätte sich ihren Tag nicht besser vorstellen können. Sie hatte am Vortag noch einen Dreh gehabt und deswegen jetzt erst auf dem Weg zurück zu ihrer Familie, um mit ihnen Weihnachten zu feiern. Also zumindest war das ihr Plan gewesen, denn stattdessen stand sie jetzt am Flughafen in Köln und würde wohl auch den Rest des Tages hier verbringen. Merry Christmas. So stellte man sich das doch vor. Sie zog gerade ihr Handy aus ihrer Tasche, um ihrer Schwester Bescheid zugeben, dass sie wohl nicht mehr auftauchen würde, denn selbst wenn sie so schnell noch ein Leihauto bekommen würde, würde sie weder pünktlich kommen, noch hatte sie besonders Lust bei einem Schneesturm durch Deutschland zu fahren. Noch bevor sie die Nummer ihrer Schwester eingeben konnte, klingelte ihr Handy. Janin seufzte, denn sie hatte gerade absolut keinen Kopf für irgendwelche Telefonate. Sie kniff die Augen zusammen als könne sie so besser sehen und erkannte, dass Amira sie anrief. Sie hatten gefühlt ewig nicht mehr telefoniert, was vor allem daran lag, dass sie beide ungefähr tausend Sachen zu tun hatten. Sie seufzte nochmal und drückte dann auf den grünen Annehmbutton. Auf die paar Minuten kam es jetzt auch schon nicht mehr an.
„Hey Amira! Was gibts denn?", begrüßte sie ihre ehemalige Lets Dance Kollegin und Klang dabei wenigstens nicht ganz so abgefucked wie sie sich gerade fühlte.
„Janin! Frohe Weihnachten! Wie feierst du denn?", antwortete Amira ihr begeistert. Janin hatte kurz vergessen, dass Weihnachten ja Amiras Lieblingsfeiertag war und sie selbst ihren Geburtstag im September als Weihnachtsfeier gefeiert hatte. Nicht, dass Janin Weihnachten nicht auch mochte, aber ganz so obsessiv wie Amira war sie dann doch nicht. Janin seufzte.
„Am Flughafen", entgegnete sie Amira als würde das absolut alles erklären und Amira sicher keine Fragen mehr danach haben. Am anderen Ende der Leitung war es kurz still.
„Am Flughafen?", wiederholte Amira als wäre sie sich nicht ganz sicher, ob sie das richtig verstanden hatte. Vielleicht war das ja auch der Fall. Janin fände es wohl auch eher seltsam, wenn ihr jemand komplett ohne Kontext offenbarte, dass er Weihnachten am Flughafen verbrachte. Zumindest sofern es sich dabei nicht gerade um den größten Flughafenfan Deutschlands handelte, aber Janin kannte wenig Leute, die eine Fanpage für einen Flughafen eröffnen würden. Besser gesagt: Sie kannte keinen.
„Ja ich hatte gestern noch einen Dreh in Köln und wollte heute zurückfliegen aber wegen diesem Schneesturm sind alle Flüge gestrichen", erklärte sie Amira, denn es war wohl kaum fair sie weiter darüber raten zu lassen, was Janin an Weihnachten am Flughafen machte. Am anderen Ende der Leitung war es schon wieder still als wüsste Amira nicht genau, was sie dazu sagen sollte. Janin hätte da ein paar Vorschläge: Fuck, Wie doof, Schade, Scheiße, Ungünstig, unpraktisch, sie könnte ewig so weitermachen...
„Und kommst du anders nicht weg?", entschied Amira sich hingegen für die lösungsorientierte Variante. Das war natürlich auch eine Option. Wieso Janin darüber nicht nachgedacht hatte, war vermutlich die bessere Frage. Sie zuckte mit den Schultern als könne Amira das durch das Telefon hindurchsehen.
„Keine Ahnung, ich wüsste nicht wie. Wenn schon die Flüge nicht gehen, fährt bestimmt auch kein Zug und Auto will ich bei einem Sturm auch nicht unbedingt fahren. Wenn ich dabei überhaupt pünktlich ankommen würde", entgegnete sie Amira. Für Keine Ahnung hatte sie irgendwie doch ziemlich viel Ahnung darüber welche Transportmöglichkeiten möglich wären und welche nicht. Oder besser gesagt welche nicht möglich waren, denn sollte nicht zufällig der Weihnachtsmann vorbeikommen und sie mit seinem Schlitten mitnehmen fiel ihr so spontan kein Verkehrsmittel ein, mit dem sie hier wegkommen sollte. Amira schwieg schon wieder. Entweder die Verbindung war echt schlecht oder Amira überlegt echt lange, was sie antwortete. Janin tendierte zu letzterem und überlegte, ob sie das vielleicht nicht auch öfter mal machen sollte. Überlegen, bevor sie was sagte. Ersparte ihr einige peinliche Momente.
„Aber du kannst doch nicht Weihnachten am Flughafen verbringen", entgegnete Amira ihr empört. Darüber hatte sie jetzt so lange nachgedacht? Janin hatte sich ja auch nicht bewusst dazu entschieden Weihnachten am Flughafen zu feiern, aber wenn sie nicht noch spontan apparieren, lernen würde, hatte sie wohl keine andere Option.
„Okay, aber was soll ich machen? Ich habe dir eben aufgezählt, wieso ich hier nicht wegkomme", wiederholte sie erneut als hätte Amira vielleicht nur vergessen, dass Janin keine andere Möglichkeit hatte als am Flughafen zu bleiben. Gut, sie konnte in ein Hotel fahren aber so groß war der Unterschied da auch wieder nicht, außer dass sie im Hotel wenigstens ein Bett hatte.
„Du kommst zu uns", beschloss Amira plötzlich. Janin runzelte die Stirn. Was genau sollte ihr das denn bringen?
„Und dann? Fliegt von euch eher ein Flieger, oder was?", fragte Janin nach, auch wenn das ziemlich unwahrscheinlich war, denn Amira wohnte in Köln und Janin befand sich gerade in Köln, das Wetter würde sich also wohl kaum großartig zwischen ihren Standorten unterscheiden. Janin konnte buchstäblich hören, wie Amira ihre Augen verdrehte.
„Nein, aber du feierst mit uns Weihnachten. Das ist zwar nicht das gleiche, aber wenigstens sitzt du dann nicht alleine am Flughafen. Was ist das denn für ein Weihnachten? Das ist fast schon eine Beleidigung für das Fest", redete Amira sich fast schon in Rage als hätte Janin gerade ihre Kinder beleidigt oder so. Was ungefähr das Letzte war, was sie tun würde. Janin sah nachdenklich zu Boden, denn sie war sich nicht wirklich sicher, wie sie die Idee fand.
„Ich weiß nicht, ich will eure Feier nicht stören, ich fahre einfach in ein Hotel oder so", entgegnete sie Amira und nickte überzeugt als könnte die das durch das Telefon hinwegsehen.
„Du störst gar nichts. Je mehr Leute da sind umso besser", behauptete Amira felsenfest, aber Janin war noch immer nicht ganz überzeugt. Gerade an Weihnachten kam es ihr mehr als seltsam vor wie das fünfte Rad am Wagen am Essenstisch einer Familie zu sitzen. „Komm schon Janin, ich akzeptiere ohnehin kein Nein, entweder du kommst hier her oder ich hole dich persönlich ab", versuchte Amira es nochmal als hätte sie gerochen, dass Janin immer noch Probleme mit ihrer Entscheidung hatte. Janin seufzte, denn irgendwas sträubte sich in ihr immer noch dagegen sich einfach bei den Pochers einzuzecken und mit ihnen Weihnachten zu feiern.
„Aber wirklich nur wenn es euch keine Umstände macht oder so. Ich kann mir auch selber, was zu essen mitbringen", gab Janin nach, weil Amira sie ansonsten wohl ohnehin nicht mehr in Ruhe lassen würde.
„Nein, du bringst dir nichts selbst zu essen mit, wir haben genug", entgegnete Amira und klang so streng als würde sie erst gar keinen Widerspruch zulassen. Janin nickte leicht, auch wenn das Amira noch immer nicht durch das Telefon hindurch sehen konnte.
„Okay dann komme ich ohne Essen, soll ich sonst irgendwas mitbringen? Irgendwas?", fragte sie verzweifelt, denn irgendwie war es ihr unangenehm mitten in die Familienfeier zu platzen und dann nicht mal irgendwas beisteuern zu können. Amira seufzte.
„Dich selbst und gute Laune reicht schon", meinte sie. Janin nickte erneut. Wieso nickte sie bitte die ganze Zeit, während sie telefonierte? „Und jetzt beeil dich, sonst haben wir gegessen, bevor du da bist", schob Amira noch hinterher und klang fast schon genervt davon, dass sie so lange mit Janin diskutieren musste.
„Ich bin schon auf dem Weg. Also aus dem Flughafen raus. Ich suche mir ein Taxi", teilte sie Amira mit und sah sich suchend vor dem Eingang um, der gefühlt menschenleer war. Gut, vermutlich wollten alle hier wegkommen.
„Ich habe dir schon eins gerufen, kommt in fünf Minuten", teilte Amira ihr mit. Wann hatte sie das bitte gemacht? Sie hatten schließlich die ganze Zeit miteinander telefoniert.
„Oh...danke", entgegnete sie Amira nur und kam sich selbst ein bisschen bescheuert vor, dass Amira ihr gerade ihr Leben regelte, während sie sich selbst eher, wie ein Sim fühlte, dem man explizit erklären musste, was er tun sollte.
„Kein Problem, bis gleich!", verabschiedete Amira sich von ihr und legte auf, bevor Janin selbst Tschüss sagen konnte. Fassungslos sah sie ihr Handy an. Das war definitiv kein Gespräch, das sie so geplant hatte.

Let's ChristmasWhere stories live. Discover now