1. Weihnachtszeit

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Ich keuchte und weiße Wolken stiegen in den dunklen Himmel auf, während ich die restliche Strecke bis nach Hause strampelte. Sport, insbesondere Fahrrad fahren, war für mich etwas, dass ich tunlichst vermied. Bis auf das wöchentliche Eishockey natürlich. Dean würde mich sonst einen Kopf kürzer machen.

Mir einem finalen Seufzer der Erleichterung brachte ich die letzten Meter bis zu unserem Haus hinter mich und stieg vom Fahhrad. Erleichtert bemerkte ich, dass meine Füße lebten und sich noch nicht endgültig in Eisklötze verwandelt hatten.
Das Wetter war eisig, obwohl noch kein Schnee lag. In meinem Kopf war der Fakt, dass heute der erste Dezember war noch gar nicht richtig angekommen. Die Sommerferien waren doch grade erst vorbei gewesen, oder?

Meine Finger, die nun, wo ich mein Fahrrad ins Warme schob, endlich auftauten und meine Beine, die durch das plötzliche Laufen merkten, dass ich sie doch noch brauchte, waren erste Anzeichen meines Abtauens.

Wohlige Wärme breitete sich aus, als ich das Wohnzimmer betrat und meine Mutter begrüßte, die noch irgendwelche Sendungen ansah.
,,Na, wie war es bei Jonathan?", begrüßte sie mich.
,,Wunderbar romantisch", antwortete ich sarkastisch, weil ich wusste, dass sie darauf abzielte.
Meine Mutter kicherte leise und schüttelte den Kopf.
,,Liz, Liz, du änderst dich wohl nie."
Ich lachte, aber nur halbherzig, da ich es nicht leiden konnte, dass sie den Spitznamen von Jonathan aufgegriffen hatte.

,,Ich muss noch Hausaufgaben machen", entschuldigte ich mich und machte mich auf den Weg in mein Zimmer.
,,Gute Nacht!", rief mir meine Mutter hinter her. ,,Gute Nacht."

Angekommen in meinem Zimmer schmiss ich mich aufs Bett und legte mir die Hand über die Augen, um das Deckenlicht abzublenden.
Wie immer war es gewesen. Eigentlich schön, angenehm. Ich mochte Jonathans Gesellschaft, auch wenn er hin und wieder anstrengend war.
Es war schön gewesen, eigentlich wirklich schön.

Ich musste nur zugeben, dass mir in letzter Zeit andere Dinge im Kopf herumgeisterten. Oft war ich geistesabwesend, hin- und hergerissen von meinen Gedanken und der Realität.
Ich wusste allerdings wohl, dass es an der Entscheidung lag, die ich bald treffen musste. Was wollte ich nach der Schule machen?

Diese Entscheidung wartete bedrohlich am Horizont. Bald war Weihnachten, aber dann war es nicht mehr lange und es kamen die ersten Prüfungen. Und dann, wenn ich mein Abitur in der Tasche hatte...was wollte ich machen?

Beinahe mein ganzes Schulleben war mir nur das Lernen wichtig gewesen. Und jetzt? Was machte ich, wenn das Lernen vorbei war? Klar, man lernte nie aus, aber die Schule war bald vorbei und was sollte ich dann mit meinem Leben anfangen?

Ich drehte mich auf den Bauch, drückte meine rechte Wange ins Kissen und grummelte. Heute Abend würde ich vermutlich nicht weiter kommen mit meinen Überlegungen. Vielleicht sollte ich einfach ins Bett gehen, morgen war schließlich Schule...und dann war Wochenende und ich konnte endlich ausschlafen.

So machte ich mich auf den Weg ins Bad. Zuerst zog ich meinen Schlafanzug an, der heute Streifen hatte und aus einem langärmligen Oberteil und einer dunkelblauen weiten Hose bestand, dann putzte ich mir die Zähne und wusch mein Gesicht.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht zog ich den Haargummi aus dem Dutt und genoss das Gefühl, als meine Haare frei waren. Dann warf ich einen Blick in den Spiegel, der mir zeigte, dass sie nicht nur frei, sondern auch ziemlich durcheinander waren.

Nach ein wenig Kämmen sahen sie bald besser aus und flossen meine Schultern herab bis über meine Hüfte. Meine Haare waren wirklich lang geworden. Ansonsten gab es da nichts Besonderes, sie waren hellbraun, wie immer.
Gähnend flocht ich mir für die Nacht einen lockeren Zopf und begab mich ins Bett.

Und dann sollte normalerweise die Stelle kommen, an der ich einschlief. Sie kam aber nicht.
Ich lag lange wach und starrte die Decke an. Ich fing an im Kopf zu zählen. Von 0 bis 500 und wieder zurück, aber war immer noch nicht dem Einschlafen nahe.

Schließlich gab ich die Hoffnung auf und knipste das kleine Licht neben meinem Bett an. Mit zusammengekniffenen Augen tastete ich nach dem Buch, das neben meinem Bett lag. Ein Berufsberatungsband.
Ich legte meinen Daumen an die Kante des Buchs und schlug es auf.

Langsam blätterte ich durch die Seiten, mal blieb mein Blick an etwas hängen, aber ich tat es immer schnell ab. Zu sozial, zu einfach, zu unpassend, nichts schien wirklich etwas für mich zu sein.
Genau das war auch das Problem.
Egal wie oft ich bis jetzt überlegt hatte, war mir nichts eingefallen.

Ich knipste das Licht nach einer Weile wieder aus und lehnte mich zurück in mein Kissen. Der Schlaf wollte heute nicht kommen, meine Gedanken schweiften umher und landeten mal beim einen, mal beim anderen Thema, bis sie schließlich an Jonathan hängen blieben. Ich dachte daran, wie Weihnachten und die Weihnachtszeit mit ihm werden würde und bei dem Gedanken schlief ich endlich ein.

Hätte ich ahnen können, wie die Weihnachtszeit tatsächlich werden würde, wäre ich vielleicht nicht so friedlich eingeschlafen.

WeihnachtswunderWhere stories live. Discover now