8. Unerwartete Hilfe

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Kalle und Theo hatten schnell aufgeholt und ich spürte schon fast Kalles Hand an meinem Arm, aber nichts passierte.
Kalle lief einfach nur neben mir her, Theo ein Stück hinter uns.
Scheinbar getraute er sich nicht, mich anzufassen und aufzuhalten, was mich einfach nur verwirrte.
Scheinbar wusste er aber auch nicht, was er mir sagen wollte oder konnte es nicht.

Mir fiel es ehrlich gesagt schwer, nicht schneller zu laufen, sondern mein Tempo beizubehalten und ruhig zu wirken.
Seine große Gestalt direkt neben mir machte mich unruhig, er war mir zwar nicht zu nahe, aber ich war sozusagend vorgeschädigt von ihm.
Die Situation war generell sehr merkwürdig.

Plötzlich scherte er ein und blieb direkt vor mir stehen. Erschrocken stoppte ich auch und machte einen Schritt rückwärts.
Feindselig blickte ich auf in seine braunen Augen, die mich letztes Schuljahr so eingeschüchtert hatten.

,,Was willst du, Kalle?", fragte ich kalt und es klang mutiger, als ich mich eigentlich fühlte.

,,Die Frage ist doch eher, was du eben wolltest."
Seine Augen fixierten mich, aber ich musste zugeben, dass er bei weitem nicht mehr die furchterregende Wirkung auf mich hatte wie letztes Jahr.
Ich konnte schlecht leugnen, dass ich den beiden nachgegangen war, da sich am Ende dieses Ganges außer der Stuhlecke nichts anderes befand.

,,Ich wollte nur sichergehen, ob...", ich brach ab.
,,Was ob? Ob ich meinen kleinen Bruder gut behandle?"
,,Zum Beispiel."
Kalle rieb sich über das Nasenbein.
,,Und was hättest du gemacht, wenn nicht? Wärst du dann auf mich losgegangen und hättest mir aus plötzlichem Mut heraus eine verpasst?"
Ich wusste, dass er auf letztes Schuljahr anspielte.
,,Vielleicht."

Ich schlängelte mich an ihm vorbei und wollte weitergehen, da riss ihm wohl der Geduldsfaden und er packte mich am Handgelenk. Wie ein Blitz zuckte die Berührung durch mich und ich schlug zu, obwohl Kalle mich im gleichen Moment wieder losgelassen hatte.
Der Knall hallte an den Wänden des Krankenhauses wieder.

Wie in Schockstarre standen wir uns beide einen Moment gegenüber, ich meine Hand noch erhoben, entsetzt darüber, wie schnell ich reagiert hatte,
Kalles Hand wanderte zu seiner Wange, wo ich getroffen hatte.
Seine Augen funkelten wütend. Ich wusste, dass er leicht reizbar war und wich zurück.

Doch bevor Kalle überhaupt den Arm heben konnte, um irgendetwas zu tun, war Theo eingeschritten, indem er sich vor seinen Bruder gestellt hatte und offensichtlich auf diesen einredete.
Kalle wirkte erst überrascht, dann fing er an sich zu wehren.
Das leise Flüstern war diesmal gut zu verstehen.
,,Du brauchst mir in meinem Verhalten gar nichts vorschreiben...ich wäre doch froh, wenn du dich mal mit deinen eigenen Problemen befassen würdest...Halt dich da raus....ja, das heißt aber nicht, dass es für dich nicht andere Prioritäten gibt."

Viel sagte mir das nicht, aber viel weiter kamen die beiden auch nicht, denn eine Frau in weißem Kittel und mit hochgesteckten goldblonden Haaren trat auf den Gang.
,,Kalle, seid ihr beiden fertig mit der Diskussion?"

Kalle, der mit dem Rücken zu ihr stand und sie so nicht gesehen hatte, fuhr herum.
Bevor er etwas sagen konnte, unterbrach sie ihn allerdings schon.
,,Ja, was hast du denn gemacht?"
Sie kam nahe an sein Gesicht und betrachtete seine Wange, die immernoch ein wenig rot war.

Kalle wollte es gerade abtun, da fing seine Nase an zu bluten.
Er fluchte und versuchte den Strom irgendwie aufzuhalten.
,,Kein Problem, komm mit, wir kümmern uns schnell darum", meinte die Dame in weiß.

Damit nahm sie den widerwilligen Kalle mit und verschwand in einem Behandlungsraum.
Theo reagierte blitzschnell, er fasste mich an der Hand. Ich sah den Jungen, der ungefähr so groß war wie ich erstaunt an.
,,Was?" Theo zeigte auf seine Ohren und ich nickte, fühlte mich aber hochgradig überfordert. Ich war noch nie in näherem Kontakt mit jemandem gewesen, der nicht normal mit mir kommunizieren konnte, selbst normale Kommunikation fiel mir ja schon schwer.

Theo gebärdete etwas, verstand allerdings schnell, dass ich nichts davon verstand.
Er packte meine Hand wieder und zog mich zu einer weißen Tafel an der Flurwand, an der mit Magneten mehrere Zettel festgemacht waren.
In einer Geschwindigkeit als ginge es um sein Leben, schnappte er sich einen der Folienstifte und kritzelte mit dem orangenen Stift an die Tafel.

,,K. will mich überreden, dass ich operiert werde. Hilf mir." Nach kurzer Pause fügte er ein ,,bitte" hinzu.
Ich starrte ihn an. Seine beinahe überirdischen blauen Augen durchbohrten mich bittend.
,,K. will alleine herausfinden, was mit unseren Eltern passiert ist."

,,Mit euren Eltern?", wiederholte ich.
Theo nickte. Ich war verwundert, aber er deutete auf meine Lippen und dann auf seine Ohren, dann seufzte er, als würde ihn diese Kommunikation ebenso anstrengen wie mich.

In diesem Moment kam allerdings die Ärztin wieder. Theo wischte schnell mit seinem Ärmel über die Tafel und die orangene Schrift verschwand.
Die Frau sah ihn nur verwundert an, fragte aber nicht.
Sie gebärdete Theo, dass er mithineinkommen sollte oder zumindest vermutete ich das.

Nachdem Theo, nicht ohne mir noch einen letzten Blick zugeworfen zu haben, durch die Tür verschwunden war, wandte sie sich mir zu.
,,Guten Mittag, ich bin Doktor Braun."
Sie gab mir die Hand und ich ergriff sie.
,,Elizabeth."
,,Was ist denn passiert? Kalle schweigt darüber wie ein Grab."
Ich überlegte einen kurzen Moment.
,,Dann sollte ich es Ihnen vermutlich auch nicht sagen."
,,Sind sie eine Freundin der beiden?"
Ich zögerte. ,,Nicht wirklich."

,,Dann gehen Sie jetzt wahrscheinlich besser. Ich will Sie nicht loswerden, aber wir haben noch eine Menge zu bereden."
,,Kein Problem."

Sie war schon dabei, sich wieder zur Tür zu drehen, da fasste ich Mut.
,,Einen Moment bitte."
,,Ja?" Ihre hellen braunen Augen ruhten auf mir.
,,Ich soll auf Theos Wunsch etwas mit Kalle besprechen. Darf ich?"

Doktor Braun nickte ergeben, winkte mich herein und schloss dann die Tür hinter mir.
Theo, der auf der Liege saß, hob den Kopf und seine Augen leuchteten hoffnungsvoll auf, als er mich sah.
Kalle, der auf einem Stuhl neben ihm saß und ein Tuch an seine Nase drückte, wandte erst den Kopf ab, blickte dann aber fragend zu mir.

Nun stand ich hier, wusste nicht, was ich sagen oder tun sollte.
Was hatte ich mir gedacht?
Dann atmete ich einmal ein.

,,Ich will dir helfen, Kalle."

WeihnachtswunderWhere stories live. Discover now