11. Das Restaurant am Berg

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Warum musste ich mich immer in Sachen einmischen, die mich nichts angingen?
Das fragte ich mich mittlerweile immer häufiger, aber den bisherigen Höhepunkt erreichte es am Donnerstagnachmittag.

Dort hatte ich nämlich meine Verabredung mit Jonathan abgesagt und kraxelte stattdessen wenige Meter hinter Kalle den rutschigen Schotterweg zu dem Restaurant hoch, das seinen Namen von eben dieser Lage bezog.
,,Am Berg" hing auf einem Schild über dem Eingang und Kalle besah es beinahe andächtig, soweit ich das von hinten beurteilen konnte.

,,Ich will ja nicht unhöflich sein...", begann ich. Dabei wäre ich sehr gerne unfreundlich gewesen und hätte Kalle gesagt, dass ich weder an diesem Restaurant noch an seiner Gesellschaft etwas fand.

,,Ja?", wollte Kalle wissen.
,,Ist es nicht ein ungünstiger Zeitpunkt, um in ein Restaurant zu gehen?"
,,Nein, in dem Fall nicht", erwiderte er kurz angebunden.

Das musste mir wohl genügen.
Ich ärgerte mich langsam sowieso schwarz.
Warum genau hatte ich angeboten zu helfen? Wegen Theo.
Was machte ich? Machte mit Kalle Bergwandertouren.

Wieso genau hatte ich helfen wollen?
Das war eine gute Frage.
Außerdem nervte mich die ganze Umsetzung, da ich dauernd Jonathan absagen musste, was mir zwar irgendwie ganz lieb war, da mir unser Beisammensein in Hinsicht darauf, dass ich mich heimlich mit Kalle traf, sowieso sehr unangenehm war, aber trotzdem vermisste ich ihn.

Wir betraten das Restaurant. Ich war mir nicht sicher, ob ich hier schonmal gewesen war oder nicht.
Der Innenbereich des Restaurants war gemütlich eingerichtet, wenn auch ein wenig altmodisch. Balken, die die Decke stützten, verliefen mitten durch den Raum und an dem einen Ende des Raums war eine kleine Leiter nach oben zu sehen.

Die Tische waren nicht sonderlich reich besetzt, hier und da saßen vereinzelt ein paar wenige Leute. Kalle hatte allerdings nicht vor, sich hinzusetzen und hielt sich, wie es aussah, nur ungern damit auf, zu klopfen, bevor er den abgegrenzten Bereich am hinteren Ende des Raums betrat.

,,Kalle?" Ein Mann sah erstaunt vom Schreibtisch auf, als er hereinkam.
Er hatte eine Halbglatze und dunkle, fast schwarze Augen. Seine Kleidung, die aus einer Jeans kombiniert mit einem Hemd bestand, wirkte ebenso zerknittert wie seine Stirn, die er in tiefe Falten gelegt hatte.

Jetzt, da wir hereinkamen, hatte er aufgesehen und war aufgestanden.
,,Bist du das? Du bist groß geworden."

,,Ja", antwortete Kalle ruhig.
Er wirkte, als würde er etwas Unsichtbares, das suchte ihn zu übermannen, abwehren.
,,Herr Karenski, so leid es mir tut, ich bin hier, um Ihnen ein paar Fragen zu stellen, die mich schon lange beschäftigen."

Der Mann, der offensichtlich Karenski hieß, ließ sich zurück in den Stuhl fallen, als hätte ihn plötzlich alle Kraft verlassen.
,,Es betrifft den Unfall meiner Eltern."
Herr Karenski nickte.
,,Warum solltest du sonst nach so vielen Jahren wieder her kommen."
Er rieb sich die Schläfen und ließ einen Seufzer entweichen.

,,Setzt euch doch."
,,Danke, ich würde lieber stehen bleiben", schlug Kalle sein Angebot aus.
Ich nahm es jedoch gern an und platzierte mich auf einem Stuhl im hinteren Bereich des Zimmers.
Dort schlug ich die Beine übereinander und warf einen Blick zum Fenster hinaus, um zu überspielen wie fehl am Platze ich mir wieder einmal vorkam.
Morgen würde ich mich mit Jonathan treffen. Morgen würde ich ihm alles erzählen. Morgen...

Der Beginn der Unterhaltung von Karenski und Kalle störte mich in meinen Überlegungen.
,,Meine erste Frage an Sie wäre, wann Sie damals meine Eltern zum letzten Mal gesehen haben."

Herr Karenski seufzte.
,,Natürlich. Das Schlimmste zuerst."
,,Wie meinen?" Kalle zog eine Augenbraue hoch.
,,Ich habe deine Eltern unmittelbar vor dem Unfall noch getroffen, weil die beiden den Unfall, wie du sicherlich weißt, auf dem Rückweg vom Restaurant hatten."
Kalle nickte, blieb aber ansonsten stumm.
,,Ich hab mich noch mit deinem Vater darüber unterhalten, ob wir das Menü wirklich ändern sollen, ich weiß es noch wie heute."
,,Erzählen Sie weiter, was ist noch passiert?"

Herr Karenski, der sich nicht besonders wohl in seiner Haut zu fühlen schien, überlegte kurz.
,,Ich habe die beiden irgendwann verabschiedet, weil deine Mutter meinte, eure Babysitterin sei nur bis um 17 Uhr da, dann sind die beiden gegangen."

Kalle sah angestrengt aus, seine emotionslose Miene aufrecht zu erhalten.
,,Wirkte mein Vater irgendwie anders als sonst? Irgendwie vernebelt oder Ähnliches?"

,,Nein, nicht soweit ich mich erinnern könnte. Da fällt mir ein, ich habe deinen Vater vorher noch ein paar Proben des neuen Desserts kosten lassen."

Kalles Miene verfinsterte sich.
,,Und dieses Dessert war ganz zufällig mit Alkohol versetzt?"

Herr Karenski stöhnte.
,,Meine Zeit, Kalle, das ist beinahe sieben Jahre her..."
,,Sechs", unterbrach Kalle ihn.
,,Bitte?"
,,Sechs Jahre."

,,Wie dem auch sei...wenn du möchtest, kann ich mal sehen, ob ich das Rezept noch finde, aber das kann ich jetzt nicht tuen. Komm doch am Wochenende wieder, wie wärs?"

Kalles linke Hand ballte sich zur Faust und ich spürte förmlich, wie er um Fassung rang.
,,Am Samstag komm ich wieder und dann können Sie mir gefälligst etwas zeigen, was entweder ihre Schuld beweist oder meines Vaters Unschuld! Sonst werde ich dafür sorgen, dass dies ihr letztes erfolgreiches Jahr mit diesem Restaurant war!"
Kalles Augen funkelten vor Zorn, doch Herr Karenski zeigte sich überraschenderweise unbeeindruckt.

Ächzend drückte er sich, mit scheinbar steifen Gliedern, aus dem Stuhl hoch und bewegte sich zur Tür.
,,Nur zu. Das letzte Jahr ist es ohnehin."
Dann, nicht ohne ein letztes, wehmütiges Lächeln, verließ er das Büro und ließ mich und Kalle hier zurück.
Kalle blieb noch einige Momente wie in Schockstarre am gleichen Platz stehen, an dem er schon die ganze Zeit gestanden hatte.
Nachdem er sich scheinbar wieder etwas zusammengerissen hatte, drehte er sich um und kam auf mich zu.

Erst sah es aus, als wollte er sich in den Stuhl neben mir fallen lassen, doch er überlegte es sich wohl anders, denn er verlor die Beherrschung und schlug mit der Hand gegen die Wand.
Er fluchte und es regnete kleine Partikel von Putz und Staub von der Wand.

Obwohl ich Kalle gerade sehr gut verstehen konnte, war das trotzdem ein Schock, da ich mich nun wieder mehr unsicher und Kalle ausgesetzt fühlte als zuvor.

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⏰ Last updated: May 20, 2023 ⏰

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