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Seit einigen Tagen regnet es pausenlos in unserem Dorf. Daher sagte ich das Training mit den Kindern ab und verschanzte mich in meine Oase, um die Uniformen weiter zu bearbeiten.

Mir war wichtig, diese bequem zu gestalten, da die Kriegsgewänder unseres Stammes - wie bereits erwähnt - sehr unbehaglich sind.

Vielleicht fällt es unseren Kriegern gar nicht auf, aber die Fetzen, welche sie witzigerweise als Kleidung bezeichnen, sind viel zu knapp. Selbstverständlich gibt es bei Angriffen wichtigeres zu beachten, wie das eigene Aussehen, aber ganz ehrlich?

Mich würde es durchaus stören, wenn meine linke Brust plötzlich aus meinem Gewand hüpfen würde.

Bisher hatte ich das noch nie erwähnt, doch ich kleidete mich ein wenig differenzierter wie die anderen Na'vi. Ich präferiere es, ein längeres Oberteil zu tragen.

Nicht, dass ich mich unwohl in meinem Körper fühle - eher mag ich das Gefühl von Stoff auf meiner Haut. Ich geniesse das designen eines neuen Gewands, selbst wenn dieser mal nicht für mich bestimmt ist.

Was auch wieder bestätigt, dass ich so viel anderes lieber tue, wie zu Jagen oder zu kämpfen.

Die Ruhe, welche bei meinen Freizeitbeschäftigungen einbegriffen ist, lenkt mich ab und bringt mich zum vergessen. Vergessen, was ich durchlebe.

Und auch wenn ich mir oft, durch die Dornen der Pflanzen die Hände aufschürfe, mache ich begeistert weiter. Entspannt zerstricke ich die Stoffteile und betrachte mein Gesamtstück. Ich könnte die Ärmel noch weiter ausarbeiten.

"Mle! Komm' her, hilf' mir!" Erklingt die Stimme meines Vaters, welcher schnaufend die Treppe aufsteigt. Verwirrt blicke ich auf und weite meine Augen, als ich erkenne, dass er meine Mutter in seinen Armen trägt.
Blitzartig sinkt mir das Herz in die Hose.

"Was ist passiert?!" Entgegne ich erschüttert, stehe hastig auf und breite einen Teppich auf unseren Holzboden aus. Sanft legt er meine Mutter darauf und lässt somit meinen Blick über den Körper meiner Mutter fahren.

"Ich weiss nicht- sie sackte plötzlich in sich zusammen und reagierte nicht mehr auf meine Fragen. Sie atmet aber ich- Ich weiss nicht-"

"Mom? Hey Mom, ich checke mal kurz was los ist, okay?" Unterbreche ich meinen Vater und spreche somit meine Mutter direkt an, auch wenn sie nicht reagiert. So mache ich das immer. Auch bewusstlose Na'vi spüren unsere Berührungen und hören die Worte, welche wir von uns geben.

Fokussiert fahre ich mit meinen Händen über ihren Bauch und ihre Brust, während ich meine Augen schliesse. Ich hatte schon immer eine spezielle Bindung zu meiner Mutter.

Öfters als Kleinkind konnte ich spüren, wie sie Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen hatte. Heute, aber, fühle ich etwas in ihrer Brust.

Ein schweres, drückendes Gefühl. "Dad, bringe mir Minze und Ingwer." Fordere ich ihn auf, woraufhin er wie gelähmt, dasitzt. "Dad!" Wiederhole ich mich und bin dieses Mal erfolgreich.

Leise murmele ich heilende Worte und reibe währenddessen die Ingwerwurzel über ihre Brust. Mit der anderen Hand schnappe ich mir ein wenig Minze und streiche ihr unter die Nase, Ohren und den Kiefer.

Was ist bloss los? Ich kann ihre Schmerzen spüren, aber irgendwie schaffe ich es nicht, sie von diesen zu befreien. Mit zitternden Händen wiederhole ich die Vorgänge, was allerdings keinen Erfolg bringt.

Ihre Augenlider liegen aufeinander und bewegen sich nicht. Ihr ganzer Körper bewegt sich nicht. Unsicher lasse ich meine Augen erneut über ihre Statur fahren.

Irgendetwas muss ich machen können. Langsam packt mich die Panik und veranlasst mich dazu, ihren Kopf mit einem Kissen zu stützen. Sie reagiert nicht auf meine Versuche.

Hektisch denke ich nach und durchgehe alle möglichen Auswege.

"Dad, bringe mir bitte Wasser und ein wenig Eukalyptus!" Sage ich und wende hebe das Kinn meiner Mutter an, um ihre Atemwege zu überstrecken.
Verdammt, was rede ich da? Eukalyptus könnte zwar Krämpfe lösen, aber woher soll ich wissen, ob sie einen Krampfanfall hat?

Mle, denk nach. Was musst du tun? Stell dir vor, das wäre jeder andere Na'vi, nur nicht deine Mutter.

Deine Mutter.

Reiss dich zusammen.

Schnell drehe ich meine Mutter zur Seite und reibe Wasser sowie Eukalyptus auf ihren Rücken. Anschliessend lege ich sie wieder auf den Rücken und entferne das Kissen unter ihrem Kopf.

Ich habe keine Ahnung was ich hier tue.

Schwer schluckend greife ich ihr erneut unter den Unterkiefer und hoffe auf ein Aufschnaufen ihrerseits. Nur um zu bemerken, dass sich ihre Brust nicht mehr hebt.

Das Aufschluchzen meines Vaters lässt mich meinen Kopf schütteln und Tränen in meine Augen steigen. Nein, das kann nicht sein.

Sie, sie hat keine Verletzungen. Ich kann keine Schrammen oder Hämatome erkennen. Die Tränen blenden meine Sicht, weshalb ich schnaufend versuche, diese mit meinem Handrücken zu entfernen.

Doch dies ergibt sich als unmöglich, als sich ihr Körper schlaff gegen meinen legt.

Nein. Nein, nein, nein. Das stimmt nicht. Das kann nicht sein. Grob rüttele ich an ihren Schultern und erreiche damit genauso wenig, wie mein Vater, welcher verbal zu Eywa betet und die Mutter erbittet, die meine zurück zu bringen.

Verspätet beginne ich mit der Beatmung und fordere meinen Vater auf, die Herzdruckmassage durchzuführen. Abwechselnd kämpfen wir um das Wiederbeleben meiner Mutter und werden immer hektischer, verzweifelter.

Stundenlang sitzen wir schwitzend da und massieren ihre Brust, in der Hoffnung, sie lebhaft vorzufinden.
Die Tränen auf meinen Wangen waren mittlerweile eingetrocknet.

Mein Vater war gerade an der Beatmung dran, als er sich ermüdet zurückzog und in mein beängstigstes Gesicht blickte.

"Was tust du da? Dad mach' weiter! Wir verlieren sie!" Rufe ich fassungslos aus und schubse ihn beiseite, um die Wiederbelebung fortzuführen.

"Mle." Ertönt Dads Stimme neben mir, welche ich aber gekonnt ignoriere und meine Handflächen auf die Brust meiner Mutter presse. "Liebes, es bringt nichts mehr. Du- du musst aufhören."

Schwach mache ich weiter und schüttele die Arme meines Vaters ab, als er diese um mich legt und somit versucht, mich von ihr weg zu stoßen.
Erst als ein Knacksen erklingt und ich erschrocken auf die Brust meiner leblosen Mutter sehe, schlage ich mir die Hand auf den Mund.

Ich hab ihr eine Rippe gebrochen.
Das- das wollte ich nicht.
Aber sie lebt- sie lebt nicht mehr.

"Kind, komm' her." Wispert Mein Vater mit brüchiger Stimme und zieht mich in seine Arme. Kraftlos lehne ich mich an ihn und kralle mich an seinen Schultern fest.

Mom ist tot.

Und es ist meine Schuld.

AVATAR - What is this weird feeling? (Neteyam×oc)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt