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"Du denkst also, ich verschwinde jetzt einfach?" Erklingt seine Stimme dezent hinter mir, während ich mir nervös durch die Locken fahre.

"Ich will, dass du verschwindest." Entgegne ich und gebe mein Bestes, die nähernden Schritte hinter mir auszublenden.

"Vor einigen Minuten wolltest du was anderes." Meint er und stellt sich rechts neben mich, was ihm die Sicht auf mich erleichtert und meine Augen zu ihm fahren lässt. Auf seinem Gesicht zeichnet sich Verwirrung ab und bringt mich dazu, den Kopf leicht zu neigen.

"Neteyam. Das war eine einmalige Sache. Wir dürfen - Wir werden das nie wieder machen." Erkläre ich deutlich und sehe, wie er falsch auflacht und die Handflächen zusammenpresst.

"War ja klar. Willst du mich verarschen?!" Ruft er aufgebracht aus und tretet mir einen Schritt näher, woraufhin ich mich zurückziehe. Kopfschüttelnd, sehe ich ihm in die Augen und halte mich am Waschbecken fest, da meine Beine noch immer schwach sind.

Nickend schluckt er hörbar und presst anschließend die Lippen zu einer Linie.

"Nimm' das nicht falsch auf-" Fange ich an, werde aber von seiner verletzten Stimme unterbrochen.
"Ich soll es nicht falsch aufnehmen? Hörst du eigentlich, was du da von dir gibst?!"

"Neteyam-"

"Nein! Du benutzt mich jedes Mal, aufs Neue! Du wickelst mich um den Finger und forderst mich dann wieder auf, zu gehen?" Kommt es im Flüsterton von ihm, während er meine Hände packt und diese an seine Brust legt. Hektisch sucht er meinen Blick, als ich mit jedem Mittel versuche, mich aus seinem Griff zu befreien.

"Ich benutze dich nicht! Du tauchst bei mir auf und denkst, nach dem Tod meiner Mutter wäre alles wie zuvor! Dabei waren wir auch damals nichts!" Spreche ich meine Gedanken aus, was ihn dazu veranlasst, meine Hände von seiner Brust zu nehmen und drohend den Finger zu heben.

"Wie bitte?! Lüg' mich nicht an! Nichts? Dass ich nicht lache." Erwidert er und atmet schwer, weshalb ich die Augen schliesse und versuche die vorherige Situation zu verarbeiten.

"Geh'."

"Das kannst du vergessen."

Nach langem Augenkontakt, entschliesse ich mich dazu, ihn auszublenden und meine Oase aufzuräumen. So wie ich ihn kenne, würde ihn das zwar nicht zum Gehen, aber wenigstens zur Stille auffordern.
Tja, vielleicht kenne ich ihn nicht gut genug.

"Hab' ich dir weh getan? Du bist vorher direkt aufgestanden und ich sehe, wie deine Beine zittern." Sagt er standhaft und fährt fort, als ich nicht antworte. "Mle, bitte antworte mir."

"Nein, hast du nicht." Hauche ich ihm zu und habe kurz Angst, er würde mich nicht hören. Doch als er erleichtert ausatmet, löst sich meine Sorge in Luft auf.

Es wärmt zwar mein Herz, dass er sich um mein Wohlbefinden schert - doch ich sollte nicht so fühlen. Und dies scheint er nur erschwert verstehen zu können.

Was bin ich denn für eine Tochter? Erst Wochen nach dem Tod meiner Mutter, lasse ich ihn wieder an mich ran?
Was würde sie wohl von mir denken?

"Aber- irgendwas muss ich doch falsch gemacht haben, oder?" Entfährt es ihm verunsichert, ja beinahe besorgt, als er mich bei den Schultern packt und sich auf meine Augenhöhe lehnt. Unwissend verziehe ich die Augenbrauen und gebe ein fragwürdiges 'nein?' von mir, was ihn auf die Unterlippe beissen lässt.

"Du hast nichts falsch gemacht, Neteyam. Wie kommst du denn darauf?"

"Wie ich darauf komme?! Provozierst du mich etwa absichtlich? Wenn ja, dann funktioniert das einwandfrei." Antwortet er und lässt mich den Kopf erneut schütteln. "Mle, hörst du denn nicht, was ich dir damit sagen will? Mle, verdammt. Ich sehe dich. Bitte antworte mir."

Überfordert öffne ich den Mund, nur um ihn wieder zu schliessen und beschämt zu Boden zu blicken.
Ich kann ihm keine falschen Hoffnungen geben - aber ich liebe ihn.

Ich sollte nicht so fühlen und er sollte deshalb auch nicht darüber Bescheid wissen. Die nächsten Worte, bringe ich nur mit bebender Stimme über mich.
"Neteyam, geh'."

"Oh."

Zögernd nimmt er die Hände von mir und hebt seinen Kopf, verstehend.
"Ich- ich dachte- wir-" Gibt er stotternd von sich und lässt mich beinahe die Worte zurücknehmen, als ich Tränen in seinen Augen erblicke. "Du fühlst nicht das Gleiche."

"Neteyam. Guck' mich an." Versuche ich ihn aufzufordern, was er aber, die Tränen weg blinzelnd, umgeht und sich von mir entfernt.

Verdammt. Was hab ich getan?

"Ich- ich kann nicht. Ich muss gehen." Stammelt er vor sich hin und schnieft einmal kurz, bevor er an mir vorbeiläuft.

Mein ganzer Körper sehnt sich danach, ihm nachzugehen. Mich bei ihm zu entschuldigen, die Wahrheit zu sagen.

Doch ich kann nicht. Ich traue mich nicht. Während sich Tränen in meinen Augen bilden, durchgehe ich die ganze Konversation.

Und merke, wie viel Lügen ich ihm präsentiert hatte. Wie viel Lügen ich mir eingeredet hatte.
Schnappartig atme ich auf und falle auf die Knie.

Es ist mir alles zu viel.

Die Auseinandersetzung zwischen mir und den Sullys und die darauffolgende Einsamkeit.
Der Tod meiner Mutter und die vielen Arten, mit denen ich verhindern wollte, meine Gedanken in diese Richtung zu lenken.
Das Aufeinandertreffen Neteyams und meinerseits, was mich beinahe auf die Kippe brachte. Das anschliessende Abendmahl mit seiner Familie, als wäre nichts geschehen.

Sein plötzliches Auftreten, die Nähe, welche wir teilten - die unbeschreibliche Zeit, welche wir miteinander verbrachten.

Ich vermisse ihn. Und ich fühle mich miserabel, da er mir seine Gefühle gestanden hatte und ich ihm in die Fresse log, als würde ich nicht das Gleiche - oder sogar mehr fühlen.

Weinend sitze ich da und schluchze unkontrolliert, während ich versuche, leise zu sein und meinen Vater nicht zu mir zu locken. Würde er mich in diesem Zustand sehen, würde er sich selber dafür die Schuld geben, was mich umso mehr Selbsthass verspüren lassen würde.

Aber irgendwie hoffe ich doch, ihn in meine Oase stürmen zu sehen, denn das würde die stetige Einsamkeit meiner Selbst ein wenig minimieren.

Dann würde ich, zum ersten Mal seit vielen Wochen, den Abend nicht alleine in der Dunkelheit verbringen.

Dann würde ich nicht in die Leere starren und mich fragen, wieso ich damals gezögert hatte - wieso ich sie nicht retten konnte.

Dann würde ich, vielleicht, zur Ruhe kommen - oder sogar schlafen können.

AVATAR - What is this weird feeling? (Neteyam×oc)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt