2. Die mit Abstand amüsanteste Taxifahrt meines Lebens

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Der Taxifahrer lenkt unser Fahrzeug auf einen Highway und dreht die Musik von Zucchero, der vor etwa zwei Liedern Eros Ramazotti abgelöst hat, etwas leiser.

Fast finde ich es ein wenig schade, denn auch wenn die Situation zunächst total absurd auf mich wirkte, so passte es einfach zu meinem persönlichen Neustart, selbst wenn wir nur in Texas und nicht in Italien sind.

„Was machen Sie in Waller?", fragt der Mann auf einmal unvermittelt und als ich aufschaue, betrachten mich seine braunen Augen interessiert im Rückspiegel. „Urlaub? Freeport ist besser für Urlaub. Das ist am Meer."

Ich schüttle den Kopf und lache. „Oh nein, ich ... ich fange demnächst einen neuen Job in Prairie View an und das Motel in Waller war in der Nähe."

Seine Augenbrauen heben sich wissend. „Ah, verstehe." Er erhebt sich ein wenig auf seinem Sitz, damit er mich besser durch den Rückspiegel mustern kann.

Sollte er nicht besser auf die Fahrbahn achten? Zwar ist um diese Zeit nicht viel los, aber dennoch könnte ein gelegentlicher Blick nach vorn bei der Orientierung helfen.

„Was für eine Job?"

„Äh ... an der Prairie View A&M University", gebe ich zurück und schaue wieder aus dem Fenster auf die dunkle, ebene Gegend draußen.

Vielleicht kann man hier sogar die Milchstraße erkennen, wenn man einen Ort findet, der nicht ganz so stark beleuchtet ist. In Seattle war das irgendwie nie möglich, weil es dort fast immer bedeckt ist.

„Sie sind Lehrer?"

Ich schüttle den Kopf. „Zum Glück nicht. Ich werde dort im Sekretariat arbeiten. Schriftverkehr, die Homepage betreuen, Terminkoordination ... sowas eben."

Er lacht und seine Finger trommeln auf dem Lenkrad herum. „Ah, besser! Keine Eltern. Arme Lehrer, müssen immer viel mit Eltern sprechen."

Ich schmunzle, wage es jedoch nicht, ihm zu widersprechen, dass seine Theorie vermutlich nur für Grundschullehrer gilt. Und vielleicht noch die Mittelstufe, wenn es besonders hartnäckige Erziehungsberechtigte sind.

„Ihre Frau kommt auch?"

Verwundert runzle ich die Stirn und begegne seinem Blick erneut im Rückspiegel.

Seine Augen sind auf meinen Schoß gerichtet, in dem die Finger meiner rechten Hand an dem schlichten, goldenen Ring an meiner Linken herumspielen.

Eine Gewohnheit, die ich mir noch abgewöhnen muss.

Gedankenverloren ziehe ich das Schmuckstück von meinem Finger und halte es zwischen Daumen und Zeigefinger.

„Nein, ich ... bin geschieden."

Der Taxifahrer gibt ein nachdenkliches „Hm" von sich und ich zähle in meinem Kopf bis drei, bis er anfängt nachzufragen.

Eins ...

Zwei ...

„Ist manchmal besser", sagt er und ich hebe überrascht die Augenbrauen.

Damit habe ich irgendwie nicht gerechnet.

Dieses Mal ist sein Blick auf die Straße gerichtet, während er weiterspricht. „Sie sind noch jung, sie können sich neu verlieben."

Er klingt wie ein alter Mann und vor meinem inneren Auge sehe ich ihn auf einmal als solchen.

Er sitzt auf einer Treppe in einer dieser romantischen, altertümlichen Gassen. Seine Haut ist tief gebräunt und ledrig von der italienischen Sonne, Lachfalten zieren sein Gesicht, doch seine braunen Augen funkeln noch mit diesem jugendlichen Charme, während er den jungen Menschen von seinen Abenteuern aus früheren Zeiten erzählt und ihnen Ratschläge über die Liebe und das Leben gibt.

Ich seufze, schiebe den Ring in meine Hosentasche und stütze meinen Kopf auf meiner Hand ab, während ich wieder nach draußen sehe. „Es gibt noch mehr als sich zu verlieben", murmle ich mehr zu mir selbst.

Und wie ich mir das Temperament alter, europäischer Männer vorstelle, wechselt auch seine Stimmung so abrupt, dass ich befürchte, er fährt das Taxi gleich in den Straßengraben. Seine rechte Hand wedelt aufgebracht mit dieser typischen italienischen Handbewegung herum und er ruft: „No, no, no! Liebe ist das Wichtigste! Amore! Jeder braucht Amore! Sie werden noch sehen."

Ich pruste los und schüttle ungläubig den Kopf.

Das ist mit Abstand die amüsanteste Taxifahrt meines Lebens.

Er stimmt in mein Lachen mit ein, seine dunklen Augen nun wieder im Rückspiegel auf mich gerichtet. „Lachen ist auch gut!", ruft er. „Lachen und Amore!"

Plötzlich schnappt er überrascht nach Luft, setzt den Blinker und erwischt gerade so noch die Ausfahrt, die wir beinahe verpasst hätten.

Kichernd halte ich mich an der Rückenlehne des Beifahrersitzes fest, während er fest auf die Bremse tritt, damit wir nicht aus der Kurve fliegen.

Etwas später kommen wir vor einem Gebäude zum Stehen und er dreht sich breit grinsend zu mir nach hinten. „Willkommen im neuen Zuhause."

Ich schiele auf das Taxameter und gebe ihm den Betrag plus zwanzig Dollar Trinkgeld, weil er mir meine Ankunft in Texas so herzlich wie nur irgendmöglich gestaltet hat. „Vielen Dank", verabschiede ich mich kurz darauf, nachdem er mir meinen Koffer gereicht und den Kofferraum geschlossen hat.

„Mit Vergnügen." Er reicht mir die Hand und drückt fest zu, während seine dunklen Augen mich wieder mit diesem jugendlichen Charme anfunkeln. „Wenn Sie Taxi brauchen, rufen Sie an."

Ich lächle und nicke dankbar. „Mache ich. Schönen Feierabend."

„Danke!", ruft er mir nach, als ich auf die Eingangstür zusteuere und das Motel betrete.

Der Empfangstresen ist nicht besetzt und so drücke ich einmal kurz auf den altmodischen Klingelknopf, der dort thront.

Nachdem das Ping! ertönt, erscheint ein älterer Mann in einer grauen Weste mit einem ungebügelten, weißen Hemd darunter aus einem schmalen Durchgang, der in einen Hinterraum zu führen scheint. „Ja?"

„Guten Abend", begrüße ich ihn höflich. „Mein Name ist Adam Carpenter, ich habe ein Zimmer reserviert."

Er zieht die buschigen Augenbrauen zusammen und mustert mich skeptisch. „Wir haben heute keine Reservierungen."

Verdattert starre ich ihn an und ziehe mein Handy mit der Reservierung darauf hervor. „Ist das hier nicht das Sleep Inn in Waller?"

Er hustet trocken und schüttelt den Kopf. „Nein, Sie sind hier im Summit Inn in Hempstead. Das Sleep Inn ist drüben in Waller."

Ich drehe meinen Kopf zu der gläsernen Tür, durch die ich gerade gekommen bin und sehe noch die Lichter des Taxis, die gerade angehen. „Aber der Taxifahrer–"

Der alte Mann deutet mit dem Daumen nach draußen auf das sich entfernende Fahrzeug. „Sie sind mit ihm gekommen?"

Ich nicke nur.

Er lacht heiser. „Oh Mann, dieses Taxi bringt Sie überall hin, nur nicht dorthin, wo Sie wollen."

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