28. Die Entscheidung für die richtige Pastasorte

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Eine Überraschung wird es in der Tat, denn während ich auf dem Beifahrersitz sitze – heute bin ich schließlich kein Fahrgast, also sitze ich neben Valentino und halte weiterhin seine Hand – und aus dem Radio „1985" von Bo Burnham klingt, lenkt er das Taxi auf den Parkplatz eines Supermarktes.

Kurz erinnere ich mich an meinen ersten Tag hier in Texas, als ich Valentino mit diesem Jeffrey zwischen den Regalen erspäht hatte, doch glücklicherweise ist dies hier nicht derselbe Supermarkt.

„Was wird das jetzt?", erkundige ich mich kichernd.

Valentino stellt den Motor ab und grinst mich an. „Wir kaufen ein. Du hast Hunger, wir kaufen Essen und dann kochen wir. Du hast eine Küche, ja?"

Lachend nicke ich. „Ja, ich habe eine kleine Küche in meiner Wohnung bei den Foremans."

„Fantastico!", ruft er und klettert bereits aus dem Taxi. „Komm!"

Im Supermarkt folge ich Valentino, der gelassen den Einkaufswagen durch die Gänge schiebt und gelegentlich Produkte aus den Regalen nimmt, prüfend betrachtet und wieder zurückstellt. „Was magst du, Adam?", möchte er von mir wissen und fast rutscht mir ein „Dich" heraus.

„Äh." Ich kratze mir grübelnd den Nacken. „Pasta?"

„Ah, Pasta ist immer gut." Freudestrahlend flitzt er los, nimmt richtig Anschwung und stellt sich auf eine Strebe des Einkaufswagens, um damit den Gang entlangzusausen.

Kichernd renne ich ihm hinterher und kurz bevor das Gefährt zum Stehen kommt, packe ich links und recht von ihm den Griff und schiebe ihn weiter an.

„Stopp, stopp, stopp!" kreischt Valentino lachend, als wir beinahe an den Nudeln vorbeirauschen. „Welche Pasta?"

Atemlos lasse ich den Wagen los und beäuge das riesige Regal. „Keine Ahnung. Du bist doch der Italiener."

„Welche Sauce machen wir? Dann wissen wir welche Sauce, welche Pasta." Wieder fuchteln seine Hände so italienisch herum, es ist zu niedlich.

Ich lasse meinen Blick über die Pastauswahl wandern und lege nachdenklich meine Finger ans Kinn. „Ich mag ja lieber lange Nudeln, denke ich."

„Ah, also Spaghetti oder Fettuccine oder Tagliatelle oder Linguine", zählt er sofort auf. „Wir können machen Spaghetti Carbonara!"

Grübelnd ziehe ich die Augenbrauen zusammen. „Ist das diese Sauce mit Sahne und Speck?"

Er nickt eifrig mit dem Kopf. „Si, si! Und uova ... eh ... Eier!"

Angeekelt verziehe ich das Gesicht. „Können wir was anderes machen? Irgendwie finde ich diese Konstellation gruselig."

Er lacht und zuckt mit den Schultern. „Richtige Carbonara musst du essen in Italia. Am besten bei meine Mamma. Aber wir können machen Fettuccine Alfredo. Magst du Parmigiano?"

„Käse? Ich liebe Käse!", gebe ich zurück. „Aber ... ist nicht Mariella deine Mutter?"

Valentino, der gerade die passende Pastasorte aus dem Regal sucht, blickt mich verwirrt über seine Schulter an. „Cosa?"

„Äh ... Mariella? An der Tankstelle. Mit dem Espresso. Ist sie nicht deine Mutter?"

Lachend fasst er sich an die Stirn und schüttelt den Kopf. „No, no, no, Adam. Meine Mamma ist in Italia mit meine Papà und meine famiglia. Mariella ist wie ..." Seine Hand schüttelt die Nudelpackung, weil er vermutlich gerade wieder diese Bewegung machen will. „Sostituzione Mamma."

„Eine Ersatzmutter?", versuche ich mich an einer Übersetzung.

Er nickt begeistert. „Si! Sie macht gute caffè und ist eine liebe Frau, aber meine Mamma ist die Beste."

Bei der Erwähnung seiner Mutter leuchten seine Augen mit einer Warmherzigkeit, dass ich ihn am liebsten in den Arm nehmen würde.

Wieder sehe ich ihn in der warmen, italienischen Sonne vor mir, wie er sich an einen großen Tisch mit lauter wild durcheinander redenden Menschen setzt, der im Schatten von Obstbäumen steht. Neben ihm sitzt eine elegante Frau mit den gleichen braunen Augen wie er, der er einen Kuss auf die Wange drückt.

„Adam? Parmigiano?", reißt Valentino mich aus meinen Gedanken.

„Was?" Ich schüttle meinen Kopf und lächle ihn an. „Käse? Ja, gerne."

Er klettert wieder auf den Einkaufswagen und nickt mir auffordernd zu. „Schiebst du wieder?"

Mit dem breitesten Grinsen stelle ich mich hinter ihn und lege meine Hände an den Griff. „Dann einmal eine Taxifahrt für Mr. Fiore", kündige ich lautstark an, bevor ich ihn kraftvoll durch die Gänge des Supermarkts schiebe.

•••

„Das ist viel schöner als eine Motel." Anerkennend pfeift Valentino durch die Zähne, als wir unsere Einkäufe in meine Einliegerwohnung bei den Foremans bringen und er sich neugierig umsieht.

Ich stelle meine Tüte auf der Küchenzeile ab und suche unauffällig den Raum nach eventuell herumliegenden Dingen ab, die es unordentlich wirken lassen könnten.

Zwar habe ich heute früh nach unserem Telefonat zur Sicherheit hektisch aufgeräumt, aber gerade wenn man nervös ist und sich von seiner besten Seite zeigen will, liegt ausgerechnet dann eine alte Socke oder Schlimmeres herum, als wollte einen das Schicksal absichtlich blamieren.

„Es ist nicht besonders groß, aber für mich reicht es und die Foremans sind total nett. Ein bisschen wie eine Ersatzfamilie für mich." Ich reihe die Zutaten, die wir besorgt haben, alle nebeneinander auf und sehe fragend zu Valentino. „Und was machen wir jetzt zuerst?"

„Hast du eine große Topf? Wir brauchen Wasser für die Fettuccine und eine Pfanne", erklärt er und leert auch den Inhalt seiner Tüte aus.

Zum Vorschein kommen allerlei Gemüse für Salat und eine Packung Gelato – Valentino war ganz aus dem Häuschen, als er das Eis im Gefrierschrank des Supermarkts entdeckte.

Ich fördere alle Utensilien aus dem Küchenschrank zutage und fülle selbständig den großen Topf mit Wasser, während er sich ein Messer und ein Schneidbrett heraussucht.

„Hast du Musik?", möchte er wissen und greift sich den Salatkopf.

Eilig flitze ich in das kleine Schlafzimmer, suche meine dort platzierte Bluetoothbox und scrolle nebenbei in meinem Handy nach einer geeigneten Playlist.

Da ich inzwischen so viele verschiedene Genres in seinem Taxi gehört habe, bin ich etwas überfordert mit dem, was ich ihm wohl anbieten könnte.

Ich stelle die Box auf den Kühlschrank und genau in diesem Moment klingelt mein Handy.

Eves Bild erscheint auf dem Display und mein Blick zuckt schuldbewusst zu Valentino.

Neugierig beugt er sich vor und schielt auf das Gerät in meiner Hand. „Ah, die Ex-Frau", stellt er grinsend fest. „Eve?"

Ich bin total verblüfft, dass er sich ihren Namen gemerkt hat.

„Ja, aber ich muss auch nicht–", stottere ich herum.

„Doch, doch." Er winkt ab. „Sagst du hallo von mir. Ich mache hier die Salat."

Zögerlich drücke ich den grünen Button und beantworte den Anruf mit meinem üblichen „Hey Eve."

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