24. Die Blamage auf der Mailbox

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Es ist Samstagmorgen und ich jogge, wie an jedem Samstag, seit ich bei den Foremans wohne, meine große Runde, bei der ich auf dem Rückweg beim Bäcker anhalte und frische Brötchen für die ganze Familie mitnehme.

Als ich das zum ersten Mal tat, ist Mrs. Foreman außer sich gewesen vor Freude und Empörung. Normalerweise frühstücke ich in meiner kleinen Einliegerwohnung, doch der Samstagmorgen ist zu einer Art Familienritual geworden, auch wenn ich nur ihr Mieter bin.

Die Regelmäßigkeit hat dafür gesorgt, dass ich nun tatsächlich jemand bin, der gut joggen kann. Ich habe mich sogar für einem Halbmarathon in Houston angemeldet. Heute allerdings scheinen mein Kopf und mein Körper nicht ganz im Einklang zu sein, denn ich bin schon mehrfach gestolpert und einmal sogar falsch abgebogen, was mir normalerweise nicht passiert.

Natürlich kenne ich den Grund dafür.

Valentino Fiore.

Valentino Fiore, den ich doch wirklich geküsst habe, damals an diesem Abend und noch einiges mehr ...

Valentino Fiore, der mir danach seine Nummer hinterlassen hat und denken muss, dass ich ihn nie wiedersehen wollte.

Valentino Fiore, dessen Nummer sich nun dank seines attraktiven Ex-Freunds in meinen Kontakten befindet.

Und was mache ich mit dieser Information?

Bisher nichts. Außer mir den Kopf zu zerbrechen.

Rufe ich ihn an? Was, wenn er gerade arbeitet oder noch im Bett liegt? Er hat nach gestern vielleicht einen ordentlichen Kater.

Schreibe ich ihm? Was soll ich ihm schreiben?

Hey Valentino, hier ist Adam, der Typ, der dich vor ein paar Wochen mit in sein Motelzimmer genommen hat und dann eingeschlafen ist. Bock auf ein Treffen?

Es ist verzwickt.

Und was es so verzwickt macht, ist mein Hang dazu, es zu sehr zu zergrübeln.

Valentino mit seiner italienischen Leichtigkeit würde wahrscheinlich einfach die Nummer wählen und „He, wollen wir eine Caffé Crema trinken" in seinem witzigen Akzent sagen.

Es wäre leichter gewesen, wenn Anthony ihm meine Nummer gegeben hätte.

Abrupt bleibe ich stehen und starre entschlossen geradeaus.

Es muss absonderlich aussehen, wie ein joggender Mann mitten in einem Vorort ohne erkennbaren Grund stehenbleibt und vor sich hinstarrt.

„Schluss damit, Adam", sage ich laut zu mir selbst und zerre mein Handy aus der schmalen Gürteltasche um meinen Bauch. „Tu es jetzt einfach!"

Ohne weiter zu überlegen, drücke ich auf den Anrufbutton und halte mir das Handy ans Ohr.

Das laute, schnelle Pochen meines Herzens übertönt beinahe das Klingeln am anderen Ende und ich halte die Luft an, um es auf diese Weise irgendwie zu beruhigen.

„Ciao", tönt es auf einmal von der anderen Seite und ich lasse vor Schreck fast das Telefon fallen. „Hier ist Valentino und ich kann nicht an die Telefon gehen. Spreche nach den Piep und ich rufe zurück. Ciao!"

Beim Klang seiner Stimme muss ich unwillkürlich lächeln, denn selbst aus einer banalen Ansage wie dieser kann ich seine sonst so präsente Fröhlichkeit heraushören.

Viel zu spät realisiere ich, dass es in der Tat einen Piepton gab und stammle unbeholfen los: „Äh ... ja ... hey! Hier ist ... ähm ... hier ist Adam. Ich ... ich wollte einfach nur–"

Was wollte ich? Ihm sagen, dass er der Grund dafür ist, dass ich glaube, eigentlich schwul zu sein? Hat das wohl etwas auf einer Mailboxnachricht verloren?

Und so schnell, wie der Mut gekommen war, ist er jetzt wieder verschwunden.

„Ich wollte einfach nur hey sagen", druckse ich herum. „Also ... hey."

Eilig beende ich den Anruf und schlage mir mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ich bin so ein Idiot", zische ich.

•••

„Hast du mir ein Schokocroissant mitgebracht, Adam?", fragt eine aufgedrehte Tia mich wenig später, als ich mit zwei randvollen Bäckereitüten in die Küche der Foremans komme.

Ich grinse sie breit an und halte ihr die Tüten entgegen. „Irgendwo darin ist eins versteckt. Vielleicht hilfst du deiner Grandma beim Tischdecken, dann kannst du schneller danach suchen."

Fröhlich lachend entreißt sie mir die Tüten und flitzt damit durch die Küche, vorbei am Kinderstuhl, in dem ihr kleiner Bruder Jamal jr. sitzt.

„Sie sind ein Schatz, Adam", sagt Mrs. Foreman mit einem glücklichen Strahlen zu mir. „Kaffee?"

Ich nicke lächelnd, zeige aber an mir nach unten. „Sehr gern, aber ich würde lieber erst duschen, sonst möchte gleich niemand neben mir sitzen."

„Adam stinkt", ruft Tia aus dem Schrank, wo sie bereits auf der Suche nach Tellern ist und Jamal jr. lacht lauthals los.

„Tia, so sagt man das aber nicht!", wird sie von ihrer Großmutter ermahnt, doch ich winke nur grinsend ab.

„Sie sagt nur die Wahrheit. Fangen Sie ruhig schon ohne mich an, ich komme dann runter, wenn ich soweit bin." Ich gebe Jamal jr. ein High Five und mache mich auf den Weg in meine Wohnung.

Oben suche ich mir saubere Klamotten aus dem Schrank und werfe einen letzten Blick auf mein Handy, ehe ich es auf dem Rand des Waschbeckens ablege, in die Badewanne hinter den Duschvorhang steige und das warme Wasser aufdrehe.

Seit meinem peinlichen Anruf bei Valentino ist nun fast eine Stunde vergangen und ich schäme mich noch immer maßlos über mein Gestammel.

Vielleicht habe ich in meiner Verzweiflung sogar gegoogelt, ob man Mailboxnachrichten irgendwie zurückrufen oder löschen kann, doch die Antworten waren mir vorher fast schon schmerzhaft bewusst.

Ich kann also nur hoffen, dass Valentino seine Mailbox nie abhört oder aber dass er sein Handy auf mysteriöse Weise verloren und deshalb keinen Zugang zu seinen Nachrichten hat.

Oder ich lebe einfach damit, dass ich ein Trottel bin und mich bis auf die Knochen blamiert habe.

Das heiße Wasser löst zwar die leichten Verspannungen in meinen Muskeln, kann aber irgendwie die Anspannung in meinem Kopf nicht erreichen. Egal, wie sehr ich mich anstrenge, meine Gedanken auf etwas anderes zu richten, wandern sie ständig zurück zu Valentino und ob er meine Nachricht gehört hat.

Was, wenn er sie gehört, aber beschlossen hat, mich zu ignorieren?

Dieser Gedanke löst einen dumpfen Schmerz in meiner Brust aus und ist viel schlimmer, als die Scham über meine gestammelten Worte.

Rhythmische Vibrationen holen mich auf einmal zurück in die Wirklichkeit und viel zu spät wird mir klar: Das ist mein Handy, das ich aus irgendeinem unerfindlichen Grund lautlos gestellt habe und gerade einen Anruf erhält!

Hektisch reiße ich den Duschvorhang zur Seite, angle nach dem Gerät, das droht, ins Waschbecken zu rutschen und verliere dabei selbst den Halt.

Mit einem überraschten Schrei rutsche ich in die Badewanne, halte das Handy zwischen meinen seifigen Fingern und krächze ein hilfloses „Hallo?" hinein.

Richtungswechsel | ✓Where stories live. Discover now