7. Die Tankstelle mitten im Nirgendwo

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Zurück in meinem Motelzimmer überlege ich, ob ich zuerst essen oder duschen soll. Mein Magen gewinnt gegen den Wunsch nach Sauberkeit.

Ich packe also meine Einkäufe aus, stelle fest, dass ich blöderweise über keinerlei Besteck verfüge und lege mir so kurzerhand etwas Käse auf eine Scheibe Toast. Es wird auch ohne Butter gehen, aber ich sollte mir vielleicht vor dem nächsten Einkauf Gedanken darüber machen, was ich noch alles gebrauchen könnte.

Kauend öffne ich also eine Notiz in meinem Handy und tippe drauf los.

Besteck (besonders Messer und Löffel)
Sneakers
Laufsachen

Grübelnd tippe ich mir ans Kinn. Alles andere wird mir wahrscheinlich erst wieder dann einfallen, wenn ich es brauche. Oder unter der Dusche.

Ich ziehe also unverzüglich meine staubigen Sachen aus und dusche zum zweiten Mal an diesem Vormittag.

Als ich wenig später zum wiederholten Mal an der Rezeption stehe, ist wieder die unfreundliche Dame von heute früh da. Skeptisch beäugt sie mich über den Rand ihrer Brille. „Ja?"

„Wären Sie so nett und würden mir ein Taxi bestellen?" Ich schenke ihr mein freundlichstes Lächeln.

Als würde das irgendwas helfen, dass mir der Taxifahrergott jetzt gnädiger gestimmt ist.

Andererseits ist die Wahrscheinlichkeit, wieder einen unfreundlichen oder verpeilten Fahrer zu erwischen nach meinen letzten beiden Glücksgriffen doch schon erheblich gesunken.

Oder ich erwische jetzt einen, der unfreundlich und verpeilt ist. Das wäre natürlich denkbar schlecht.

Schnell schicke ich ein Stoßgebet zum Himmel, während die Dame am Empfang eine Nummer wählt und ein Taxi bestellt.

Kurz erwäge ich noch, sie darüber zu informieren, nicht den Channelview Fair Taxi Service zu nehmen, aber nachher hat sie eine besondere Absprache über dauerhafte Zusammenarbeit mit denen und dann bin ich der unausstehliche Gast, der andere schlecht macht.

Ich sollte langsam mal aufhören, mir immer so viele Gedanken zu machen.

„Ist in zehn Minuten da", informiert sie mich und geht ohne ein Wort der Verabschiedung in den hinteren Raum.

„Danke", rufe ich noch unbeholfen hinterher, ehe ich nach draußen gehe, um in der Sonne auf meine nächste Taxierfahrung zu warten.

Es dauert keine fünf Minuten, als aus der Ferne eine Staubwolke signalisiert, dass sich ein Fahrzeug nähert und wenig später saust ein Taxi an mir vorbei die Einfahrt entlang und kommt mit quietschenden Reifen zum Stehen.

Was hat man dem denn versprochen, dass er so hierher rast?

Die Fahrertür öffnet sich und zu meinem Entsetzen ist es der italienische Mann, der beim letzten Mal zwar super freundlich war, aber einen zweifelhaften Ruf hat.

„He", ruft er freudig, als er sich umblickt und mich an der Einfahrt entdeckt. „Sie wollen Taxi?"

Ich muss mir ein hysterisches Lachen verkneifen und gehe langsam auf ihn zu, während ich nur nicke und ihn anlächle. „Hallo", begrüße ich ihn, als ich an seinem Fahrzeug ankomme. „Ich müsste zu einem Einkaufszentrum oder irgendwohin, wo man einkaufen kann."

Er lehnt mit dem Rücken an der Fahrertür und blickt hinab auf meine staubigen Sneakers. „Sie brauchen neue Schuhe, eh?"

Ich folge seinem Blick und lache kurz auf. „Ja, in der Tat. Und vielleicht noch ein paar andere Sachen. Und ... wissen Sie vielleicht, wo ich eine Mietwagenfirma finde?"

Er lacht mich an, die kleinen Fältchen um seine braunen Augen jetzt wieder zu sehen, und nickt gelassen. „Erst Shopping. Nur Schuhe?"

Ich zucke mit den Schultern und blicke ratlos in Richtung meines Motelzimmers. „Und noch ein paar andere Dinge. Darum wäre ein Einkaufszentrum wirklich die beste Idee. Ich glaube, es gibt eins in–"

Er winkt ab und klettert ins Auto, winkt hektisch mit den Armen und ruft: „Ich weiß schon. Kommen Sie, kommen Sie!"

Zögerlich öffne ich die Tür hinter ihm und krabble auf die Rückbank, um wieder auf der gegenüberliegenden Seite Platz zu nehmen. So kann ich gut sehen, wohin er fährt, bin aber weiterhin Fahrgast.

Irgendwie fühlt es sich komisch an, in einem Taxi auf der Beifahrerseite einzusteigen, wenn man der einzige Fahrgast ist.

Oder ist das nur bei mir so?

Als mein Gurt einrastet, saust er bereits auf die Straße, aus dem Radio dringt heute „Love Fool" von The Cardigans.

Unwillkürlich muss ich schmunzeln, denn irgendwie habe ich wieder mit Eros Ramazotti oder einem anderen italienischen Künstler gerechnet.

„Sie brauchen Auto oder Wohnung?" Die langen Finger des Mannes trommeln im Takt der Musik auf dem Lenkrad herum.

„Hm", mache ich nachdenklich. „Eher beides, schätze ich."

Er nickt verständnisvoll und hebt plötzlich seinen Zeigefinger. „Aber erst ... Caffè!"

Verblüfft reiße ich die Augen auf und sein verschmitzter Blick begegnet meinem im Rückspiegel.

Diese Situation erscheint mir schon wieder so absurd, aber, um ehrlich zu sein, genieße ich sie aus vollen Zügen.

Und selbst wenn er den Ruf hat, die gewünschten Ziele nicht zu erreichen, so ist mir der lustige Mann auf dem Fahrersitz von allen Leuten, die mir hier bisher begegnet sind, doch der Liebste von allen.

Er strahlt eine solche Lebensfreude und Leichtigkeit aus, wie man sie heute kaum noch irgendwo findet.

„Kaffee klingt großartig", erwidere ich mit dem breitesten Grinsen. Ich ziehe mein Handy hervor und öffne meine Einkaufsnotiz.

Kaffee

notiere ich mir zusätzlich.

Da sich in meinem Motelzimmer keine Kaffeemaschine befindet und ich nicht einmal weiß, ob es einen Wasserkocher gibt, werde ich mich wohl mit löslichem Pulver zufriedengeben müssen.

Auch

Wasserkocher

schreibe ich dazu. Spätestens, wenn ich eine Wohnung gefunden habe, werde ich einen benötigen, also kann ich gut und gern jetzt schon einen besorgen.

Mir rutscht beinahe das Telefon aus der Hand, als das Auto abrupt zum Stehen kommt.

Ich hebe den Kopf und blicke mich um.

Weit und breit ist weder ein Einkaufszentrum noch andere Shoppingmöglichkeiten zu sehen.

Natürlich nicht.

Stattdessen stehen wir an einer Tankstelle mitten im Nirgendwo.

Irgendwie dachte ich, mein Motel wäre schon in einer verlassenen Gegend, aber hier ist wirklich noch weniger als nichts.

Nur Straße, Prärie und eben diese Tankstelle, an der sich außer dem Taxi, in dem wir sitzen, rein gar nichts zu befinden scheint.

Der Fahrer drückt zweimal kräftig auf die Hupe und klettert aus dem Auto.

Eine ältere, untersetzte Frau mit einer Schürze kommt aus dem kleinen Tankstellenhäuschen gelaufen und begrüßt den Mann überschwänglich.

Während er sich zu ihr herunterbeugt und wild gestikulierend etwas erzählt, legt sie ihre Hände an seine Wangen und küsst ihn auf jede Seite. Beide lachen herzlich und als er auf mich zeigt und mit seiner Hand eine heranwinkende Bewegung macht, öffne ich zögerlich die Tür und winke der Frau verlegen zu.

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