9. Kapitel

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Das erste Mal in meinem Leben bin ich meinem alten Religionslehrer dankbar. Ich hätte es niemals für möglich gehalten, aber auf einmal ergeben all die Gruppenarbeiten Sinn, die er uns hat machen lassen, anstatt vernünftigen Unterricht vorzubereiten.

Denn dank einer dieser lästigen Gruppenarbeiten weiß ich, dass die Hexenverfolgung erst einige Jahre später ihren Höhepunkt erreicht hat. Schaudernd denke ich daran, wie grausam die Menschen diese armen Frauen damals verbrannt haben und wie knapp ich genau dieser Zeit entkommen bin. Mit meinem Erscheinen, meinem Wissen und der allgemeinen Tatsache, dass ich aus der Zukunft stamme, hätte ich eine grandiose Kandidatin für den Scheiterhaufen abgegeben.

Seufzend blicke ich in die fragenden Gesichter von Adam und Maria, die mir am Küchentisch gegenüber sitzen. Es fühlt sich ein bisschen wie ein Verhör an und ich wappne mich innerlich vor den Fragen, die sie mir nun stellen werden. Sie haben jedes Recht dazu, mich auszuquetschen, das weiß ich. Und trotzdem bin ich mir unsicher, wie viel Wahrheit ich ihnen sagen kann, ohne mich selbst in Gefahr zu bringen.

Sie könnten mich für verrückt halten, mir nicht glauben oder denken, ich lüge sie an. Oder ich werde der Auslöser für die Hexenverfolgung sein. Obwohl... irgendwie schätze ich die beiden nicht so ein, als dass sie mir etwas antun würden. Dafür haben sie schon zu viel für mich getan und mir geholfen, obwohl sie es nicht hätten tun müssen. Ich sollte ihnen vertrauen, mir bleibt gar nicht viel anderes übrig. Denn nur so können sie mir am Ende vielleicht wirklich helfen.

„Irgendwer muss den Anfang machen." Maria sieht abwechselnd zwischen Adam und mir hin und her. Sie scheint zu merken, dass wir beide nicht wissen, wo wir anfangen sollen. Aber sie spürt, dass dringender Redebedarf besteht. Und auch sie wollte ursprünglich von mir Antworten haben, weswegen es irgendwie selbstverständlich ist, dass sie hier mit uns am Tisch sitzt.

Ich habe nervös unter dem Tisch die Beine übereinandergeschlagen. Da ich es nicht gewohnt bin, ein Kleid zu tragen, kleben meine Beine unangenehm zusammen, weil sich kein Stoff dazwischen befindet. Ich vermisse meine Hose mehr, als ich jemals gedacht hätte.

Adam lehnt sich auf seinem Stuhl zurück und ich bin froh, dass er inzwischen wieder eine Hose und ein Oberteil anhat. Ich könnte keinen klaren Gedanken fassen, wenn ich weiter auf seinen durchtrainierten Oberkörper starren müsste. Er ist nicht übertrieben muskulös, wie diese ganzen Idioten aus meiner Zeit, die jeden Tag Stunden in einem Fitnessstudio verbringen und am Ende breit wie ein Schrank und unnatürlich aufgepumpt wirken.

Nein, bei Adam zeichnen sich die Muskeln schwach unter seiner Haut ab, er hat ein breites Kreuz, welches durch seine körperliche Arbeit hier in dieser Zeit entstanden ist. Und damit finde ich ihn einfach nur heiß. Alles in mir hat sich danach gesehnt, seine Bauchmuskeln zu berühren und zu spüren, wie fest sie sich unter meinen Fingern anfühlen. Ob seine Haut so weich ist, wie sie wirkt und ob meine Berührung vielleicht eine Gänsehaut auf eben dieser ausgelöst hätte.

Tief atme ich durch, um diese Gedanken zu vertreiben. Auf mich wartet ein ernsthaftes Gespräch, was ausschlaggebend für meine Zukunft hier sein wird. Da ist es definitiv nicht förderlich, wenn ich mir meinen Gesprächspartner nackt vorstelle.

Entschlossen reiße ich den Blick von Adams Oberkörper los und sehe stattdessen Maria an. Ihre warmen Augen liegen beruhigend auf mir und ich ziehe aus ihnen die Kraft, endlich das Gespräch zu beginnen, bevor die ganze Situation noch unangenehmer wird.

„Ich weiß nicht, wie ich es erklären soll, ohne dass ihr mich für verrückt haltet... Aber ich stamme nicht von hier. Nicht aus dieser Zeit. Mein Geburtsjahr ist 1994. Ich bin gestern Abend irgendwie hier gelandet. Eigentlich lebe ich im Jahr 2023." Bevor ich es mir anders überlegen kann, sprudelt die ganze Wahrheit aus mir heraus.

Black TimeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt