X. Capitano

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Spätestens am Morgen danach bereue ich meinen Vorschlag. Mein eigener, pochender Schädel reißt mich aus einem unruhigen Schlaf und ich brauche ein paar Minuten, ehe ich es überhaupt fertigbringe, meine Augen zu öffnen. Ächzend richte ich mich auf, wobei ich nur um Haaresbreite den Balken verfehle, der mir in meinem jetzigen Zustand mit Sicherheit den Rest geben würde.

Ich blinzle in das viel zu helle Tageslicht und stöhne leise vor mich hin. Fahrig greife ich nach meiner Wasserflasche, die neben dem Bett steht und trinke wie ein Verdurstender. Gegen den abartigen Geschmack in meinem Mund hilft das allerdings nur wenig. Ich seufze langgezogen und reibe mir die schmerzende Stirn. War wohl doch zu viel Weinbrand gestern.

Lasse und ich haben definitiv keine halben Sachen gemacht. Später ist Rikard auch noch zu uns gestoßen und dann ging der Spaß erst richtig los. Milde überrascht stelle ich fest, dass ich nicht einmal weiß, wie ich anschließend nach Hause gekommen bin. Ich erinnere mich nur daran, dass ich wenig geschlafen und obendrein auch noch von Ingrid und ihrem bescheuerten Olaf geträumt habe. Insgesamt war meine Nacht also eher mies.

Schwerfällig steige ich aus dem Bett und schlurfe zur Tür, doch auf halbem Weg stolpere ich über einen weichen, flauschigen Gegenstand. Alfred, mein Teddy, liegt mitten im Zimmer und hat offenbar ebenfalls eine harte Zeit hinter sich. Die Naht an seinem Rücken ist aufgeplatzt, sodass seine Eingeweide hervorlugen. Trotz meines Brummschädels brauche ich nicht lange, um einen Tatverdächtigen zu ermitteln.

König Harald, dieses Biest, vergreift sich schließlich an allem, was nicht bei Drei auf dem Baum ist. Jetzt hat es also Alfred getroffen. Ich nehme den Bären mit nach unten in der Hoffnung, dass Oma ihn nähen kann. Im Gegensatz zu mir weiß sie nämlich mit Nadel und Faden umzugehen. Meine Großmutter sitzt am Küchentisch, über ein Kreuzworträtsel gebeugt und mit ihrer Brille auf der Nasenspitze.

Sie trägt einen Pullover, dessen Muster und Struktur einer Tischdecke ähneln, während ihre Füße in moosgrünen Pantoffeln stecken. Ihr Rätsel scheint ziemlich knifflig zu sein, denn sie bemerkt mich erst, als ich meinen Stuhl scharrend zurückschiebe, um mich anschließend seufzend darauf fallen zu lassen.

„Wurde aber auch Zeit, dass du aufstehst", bemerkt Oma scharfzüngig und mustert mich über den Rand ihrer Brille hinweg. „Du siehst ja aus wie ein toter Troll!" Sekunden später rümpft sie die Nase. „Ehrlich gesagt, du riechst auch so. Falls du heute planst, das Haus zu verlassen, empfehle ich dir, vorher zu duschen."

„Danke für den Tipp", brumme ich und greife nach dem Teller mit Skolebrød, der in der Mitte des Tisches steht. Die dampfende Tasse Ingwertee direkt vor meiner Nase ignoriere ich hingegen geflissentlich.

„Trink das!", sagt Oma scharf, während ich mir die mit Vanillecreme gefüllten Hefebrötchen einverleibe. „Ingwer weckt die Lebensgeister und hilft garantiert gegen deinen Kater."

„Glaub ich nicht", gebe ich schmatzend zurück, doch sie lässt nicht locker, weswegen ich das Zeug widerwillig runterkippe – nicht ohne mich dabei zu schütteln.

„Jonatan, bitte!", kommt es missbilligend von meiner Großmutter. „Was soll denn dieses Theater? Du führst dich auf wie eine kleine Prinzessin!"

Prompt will ich etwas darauf erwidern, doch im selben Moment klopft es plötzlich an der Haustür. „Erwartest du jemanden?", frage ich stattdessen, weil sich eher selten Besucher hierher verirren. Nur der Postbote schaut gelegentlich bei Oma nach dem Rechten.

„Nicht, dass ich wüsste", erwidert sie, schiebt ihr Kreuzworträtsel unwirsch beiseite und steht auf. „Vielleicht ist es einer von deinen Freunden."

„Ganz bestimmt nicht." Diese Möglichkeit scheidet sofort aus. Lasse und Rikard haben gestern noch mehr gesoffen als ich, ihre Kater dürften also um einiges heftiger ausfallen. Höchstwahrscheinlich liegen sie beide in ihren Betten oder unter einer Brücke und schlafen ihren Rausch aus. Dabei muss zumindest Rikard heute eigentlich arbeiten.

Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt