XIX. Fallrückzieher

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Am nächsten Morgen wache ich auf, weil ich ein unangenehmes Druckgefühl in der Brust spüre. Mein erster Gedanke ist, dass ich vielleicht durch den Stress der vergangenen Wochen einen Herzinfarkt erlitten habe, doch zu meiner Erleichterung ist es nur König Harald, der es sich ausgerechnet auf meinem Oberkörper bequem gemacht hat.

Seine langen Schnurrhaare kitzeln mich im Gesicht und ein Blick in seine gelben Augen genügt, um zu erkennen, dass er sein Ziel erreicht hat: Mich auf möglichst rüpelhafte Art und Weise zu wecken. Eins ist sicher – wir beide werden in diesem Leben definitiv keine Freunde mehr. Vorsichtig, um nicht gekratzt oder gar gebissen zu werden, scheuche ich den Kater weg und greife nach meinem Handy.

Ich habe eine Vielzahl neuer Nachrichten erhalten, wirklich interessant sind jedoch nur die Links, die Lasse und Rikard abwechselnd in unseren Gruppenchat geschickt haben. Wenig begeistert stelle ich fest, dass jeder einzelne zu einem anderen peinlichen Artikel über mich führt – meine Begegnung mit Laura Wornum hat offensichtlich längst die Runde gemacht. Kopfschüttelnd überfliege ich die Schlagzeilen, wobei ich mir wieder einmal nicht sicher bin, ob ich lachen oder weinen soll.

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Schnaubend lege ich das Handy wieder weg und schwinge die Beine aus dem Bett. Ich frage mich, wann diese nervigen Pressefuzzis endlich aufhören werden, sich an meiner Geschichte aufzugeilen. Jetzt, da sie wissen, wo ich mich aufhalte, wird es vermutlich nicht lange dauern, bis ich auch hier in Knarvik keinen Fuß mehr vor die Tür setzen kann, ohne dass mir irgendwelche Vollidioten ihre Kameras ins Gesicht halten. Keine besonders rosigen Aussichten.

Maximal genervt trotte ich runter in die Küche. Oma ist gerade damit beschäftigt, die Futternäpfe der Katzen zu spülen. Vorher hat sie mir offenbar Frühstück gemacht, denn auf meinem Platz stehen eine Schüssel mit ungesüßtem Porridge sowie eine dampfende Tasse Kaffee – selbstverständlich ohne Zucker. Na ja, immer noch besser als Ingwertee.

„Guten Morgen, Jonatan", begrüßt mich meine Großmutter, als ich zur Tür hereinkomme. „Dein Vater hat vorhin angerufen. Er sagte, du hast dich einer Reporterin gegenüber ziemlich unanständig benommen."

Ich gebe ein ungehaltenes Brummen von mir. „Hat sie nicht anders verdient, die blöde Kuh", antworte ich und ärgere mich gleichzeitig über Papa, der früher selber oft durch sein schlechtes Benehmen aufgefallen ist. Einmal musste er sogar eine Geldstrafe zahlen, weil er einen Journalisten während einer Live-Übertragung als „TV-Spasti" bezeichnet hat.

„Hüte deine Zunge, mein Lieber!", werde ich prompt von Oma ermahnt, die unter ihrem Dach keine Beleidigungen duldet. „Die Dame hat schließlich auch nur ihren Job gemacht."

„Der leider hauptsächlich darin besteht, die Privatsphäre anderer Menschen zu verletzen", entgegne ich miesepetrig und fange an, mein Porridge in mich reinzuschaufeln. Es schmeckt nicht, aber die Tatsache, dass ich bereits drei Kilo abgenommen habe, gibt mir die nötige Motivation, um meine Diät fortzusetzen.

Zum Glück erwidert Oma nichts auf meine giftige Bemerkung, sondern fährt schweigend damit fort, die Näpfe zu säubern. Mir ist das nur recht so. Laura Wornums Überfall hat mich schon genug Nerven gekostet.

Darüber zu reden, während ich esse, macht es nicht besser, im Gegenteil. Schweigend vertilge ich mein Frühstück, trinke meinen Kaffee und beobachte dabei Königin Gunnhild und ihre Kitten, die in einem großen Körbchen unter der Fensterbank liegen.

Mittlerweile haben die Kleinen ihre Augen geöffnet, geben die ersten Töne von sich und unternehmen unbeholfene Versuche, sich zu bewegen. Letzteres klappt noch nicht so gut, aber laut Oma ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Kätzchen richtig mobil werden.

Selbstverständlich hat sie es sich nicht nehmen lassen, ihnen majestätische Namen zu geben. Deshalb heißen sie jetzt König Erik, König Håkon und Königin Margarethe. Nur das vierte und kleinste Kitten hat noch keinen Namen bekommen.

Oma hat dafür keine richtige Erklärung parat. „Ich weiß auch nicht", meint sie und hebt die Hände zu einer hilflosen Geste. „Irgendwie passt zu ihr kein Adelstitel. Es fühlt sich nicht richtig an, ihr einen zu geben, verstehst du?"

„Hm, schon", erwidere ich, stehe vom Tisch auf und hocke mich neben das Körbchen, um die namenlose Katze aus der Nähe zu betrachten. Mit halb geöffneten, babyblauen Augen schaut sie mich an und strampelt zaghaft mit ihren Pfötchen, die im Vergleich zu ihrem schmächtigen Körper viel zu groß wirken.

Schmunzelnd erinnere ich mich daran, wie Oma das Kätzchen hinter dem Koffer hervorgeholt hat, aus dem es zuvor rausgekullert ist. Vielleicht spüre ich genau aus diesem kuriosen Grund eine Verbindung zu der Kleinen.

Lasse und Rikard sind nämlich der festen Überzeugung, dass ich als Baby vom Wickeltisch gefallen bin. Damit erklären sie sich meine angebliche Intelligenzminderung. Ich hingegen glaube eher, meine begrenzten intellektuellen Fähigkeiten sind darauf zurückzuführen, dass Bjørn-Inge Castberg mein Vater ist.

Vorsichtig streichle ich das flaumige Fell des Katzenbabys. „Darf ich ihr einen Namen geben?", wende ich mich an Oma, die mein plötzliches Interesse an ihren Tieren mit Erstaunen zur Kenntnis nimmt.

„Klar, wenn du möchtest", antwortet sie und legt fragend den Kopf schief. „Hast du denn schon eine Idee?"

Erneut betrachte ich das Kätzchen und dabei kommt mir ein Wort in den Sinn, das sie perfekt beschreibt, obwohl ich es erst in dieser Sekunde erfunden habe. „Smögier", sage ich laut, ohne meinen Blick von ihr abzuwenden. „Ich finde, sie sollte Smögier heißen."

„Smögier?", wiederholt Oma stirnrunzelnd und lässt den Napf sinken, den sie gerade spült. „Das ist doch überhaupt kein Name."

„Aber sie sieht genauso aus", beharre ich, woraufhin sie ihre Arbeit unterbricht und näher kommt, um sich selbst ein Bild zu machen.

„Du hast recht", meint sie schließlich, nachdem sie Smögier ausgiebig gemustert hat. „Dieses Wort ... dieser Name passt perfekt zu ihr. Sie sieht wirklich so aus."

„Sag ich doch!" Ich will noch etwas hinzufügen, aber just in diesem Moment klopft es an der Haustür. „Lass mal, ich geh schon", biete ich an und schlendere in den Flur. Bestimmt ist es Gigi oder mein Vater, der mich wegen des Vorfalls mit Laura Wornum zur Rede stellen möchte.

Doch als ich die Tür öffne, steht zu meiner großen Überraschung Ingrid davor. „Was machst du denn hier?", rutscht es mir heraus, weil sie so ziemlich die Letzte ist, mit der ich gerechnet hätte.

Gleichzeitig freue ich mich natürlich über ihren unerwarteten Besuch, auch wenn ich nicht die leiseste Ahnung habe, wie es dazu gekommen ist.

„Hey", sagt sie und streicht sich verlegen eine Haarsträhne hinters Ohr. „Tut mir leid, dass ich so spontan hier antanze, aber ... hast du vielleicht Lust auf einen Spaziergang? Ich würde gerne mit dir reden."

„Ja ... natürlich", stammle ich überwältigt und kann mein Glück kaum fassen. Sie will tatsächlich mit mir reden. Freiwillig. „Von mir aus können wir sofort los!"

„Vielleicht möchtest du dich vorher noch umziehen?", schlägt Ingrid vor, während ein kleines Schmunzeln über ihr Gesicht huscht. Es ist das erste Mal seit meiner Rückkehr, dass ich sie lächeln sehe.

Verdutzt schaue ich an mir runter und stelle fest, dass ich nur eine kurze Trainingshose sowie ein ausgeleiertes Donald-Duck-Shirt trage. Nicht unbedingt mein coolstes Outfit. „Du hast Recht", antworte ich peinlich berührt. „Ich beeile mich, okay?"

„Musst du nicht", winkt sie sofort ab. „Mach dir meinetwegen keinen Stress. Ich warte einfach hier, bist du fertig bist."


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWhere stories live. Discover now