XII. Halbzeit

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Gigis plötzliches Auftauchen bleibt nicht ohne Folgen. Nachdem er mir die Augen geöffnet und erklärt hat, dass meine Karriere vielleicht noch zu retten ist, wenn ich mich zusammenreiße, besuche ich am darauffolgenden Tag das Fitnessstudio, in dem Rikard als Trainer arbeitet. Wie immer begleitet mich die Sorge, eventuell erkannt zu werden, weshalb ich einfach darauf hoffe, dass mich keiner beachten wird.

Die meisten Menschen werden hoffentlich mit sich selbst und ihrem jeweiligen Workout beschäftigt sein. Dank Rikard, der offenbar gute Beziehungen zur Chefetage hat, muss ich mich nicht einmal anmelden, sondern darf sozusagen als Gast im Studio trainieren. Lange währt die Freude darüber jedoch nicht, denn meine miserable Form macht sich bereits nach dem Warm-up bemerkbar.

Für Rikard, der mein Training netterweise beaufsichtigt, ist das natürlich ein gefundenes Fressen. „Was würde wohl Paciullo sagen, wenn er dich jetzt sehen könnte?", stichelt er und feixt dabei bis über beide Ohren. „Wahrscheinlich wäre er enttäuscht, dass seine Tochter sich ausgerechnet so einen Körperklaus geangelt hat."

„Hör mir bloß auf mit denen", schnaufe ich, während ich mich auf dem Laufband verausgabe. „Ich hätte diese Carlotta niemals anrühren dürfen. Dann wäre das alles nicht passiert."

„Ach, mach dir nichts draus", meint Rikard, der meine schlechte Kondition mit einem belustigten Grinsen zur Kenntnis nimmt. „Ein echter Wikinger sticht auch ins verbotene Meer!"

„Halt's Maul!", zische ich sofort und sehe mich hektisch nach allen Seiten um. Zum Glück sind außer uns nur wenige Leute anwesend, von denen die meisten auch noch Kopfhörer tragen. Unwahrscheinlich also, dass jemand unser Gespräch mitbekommen hat.

Das Training entwickelt sich für mich allmählich zu einer regelrechten Tortur. Nicht nur, weil sich mein ungesunder Lebensstil der letzten Wochen rächt, sondern auch wegen Rikards dummen Sprüchen, mit denen er mich fortwährend triezt. Am liebsten würde ich ihm einen Maulkorb verpassen oder mich an der Rezeption über ihn beschweren. Stattdessen schalte ich auf Durchzug und versuche, ihn einfach zu ignorieren.

So richtig will mir das aber nicht gelingen. Meine Geduld wird besonders auf die Probe gestellt, als ich mein Workout mit einigen Klimmzügen abschließen möchte und dabei eine ausgesprochen lächerliche Figur mache. Nach gerade einmal zehn Wiederholungen spüre ich bereits, wie meine Kräfte schwinden. Für Rikard ist das natürlich ein Anlass, sich erneut über mich lustig zu machen.

„Ach Jonny, du enttäuschst mich", sagt er mit der Miene eines Mathelehrers, der soeben einen Stapel schlechter Klausuren korrigiert hat. „Du bist 'n richtiger Lauch geworden. Wenn jetzt auch noch deine Karriere im Arsch ist, wird dich garantiert keine mehr haben wollen."

„Wer dich als Freund hat, braucht keine Feinde mehr", stoße ich durch zusammengebissene Zähne hervor und lasse mich fallen, weil meine Armmuskeln förmlich brennen.

„Davon hast du doch schon genug", frotzelt er und reicht mir gnädigerweise meine Wasserflasche, die ich vorhin bereits zum zweiten Mal aufgefüllt habe.

Während ich gierig trinke, bemerke ich einen Typen, der mit uns im selben Raum trainiert, jedoch so sehr in seine Übungen vertieft ist, dass er uns keines Blickes würdigt. Entweder starrt er stur geradeaus oder er schließt vor lauter Anstrengung die Augen. Dabei gibt er keinen einzigen Ton von sich, nicht einmal ein Schnaufen oder ein Ächzen.

Diese absolute Geräuschlosigkeit ist vermutlich der Grund, weshalb ich seine Anwesenheit erst jetzt wahrnehme. Als ich das Gesicht des Jungen sehe, verschlucke ich mich, huste und lasse die Flasche fallen. Immerhin bleibt uns eine nasse Sauerei erspart, da ich sie zuvor bis auf den letzten Tropfen geleert habe.

„Hey, atmen nicht vergessen", sagt Rikard und klopft mir hilfsbereit auf den Rücken. Es fühlt sich an, als würde mir ein Bär mit seiner Pranke eins überbraten.

Ich brauche ein paar Minuten, bis ich mich von meinem Hustenanfall erholt habe. Rikards Schläge auf meinen Rücken sind nicht besonders hilfreich, im Gegenteil: Sie sorgen lediglich dafür, dass ich spüre, wie meine Rippen vibrieren. Sicherheitshalber rücke ich von ihm ab und ringe mühsam nach Luft.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich bereits die nächste idiotische Headline: Skandal-Profi Castberg erstickt in Fitnessstudio: Das tragische Ende einer verkorksten Karriere.

„Na, geht's?", fragt Rikard, sobald ich wieder einigermaßen klarkomme und mustert mich mit einem schiefen Grinsen. Findet er es jetzt auch noch lustig, dass ich beinahe an einer Hustenattacke krepiert wäre?

„Passt schon", röchle ich und räuspere mich mehrfach, ehe ich mich zu ihm rüber beuge, damit ich nicht so laut sprechen muss. „Siehst du diesen komischen Vogel dahinten?"

„Meinst du den da?" Ungeniert deutet er auf den jungen Mann, der gerade an einer Rudermaschine trainiert und uns mittlerweile bemerkt zu haben scheint. Jedenfalls linst er immer wieder misstrauisch zu uns rüber.

„Zeig nicht auf ihn!", zische ich und schubse Rikards Hand unwirsch beiseite. „Das ist Olaf, Mann!"

„Olaf?", entgegnet er stirnrunzelnd und in voller Lautstärke. „Kenne ich nicht. Wer soll das denn sein, du Eierkopf?"

„Na, Ingrids Neuer natürlich!" Mich regt es total auf, dass er offenbar keine Ahnung hat, während es in meinem Inneren brodelt und ich diesen Olaf am liebsten sofort zur Rede stellen würde. Wieso muss der auch ausgerechnet hier trainieren?

„Sag das doch gleich", meint Rikard, bei dem endlich der Groschen gefallen ist. „Lasse hat mir davon erzählt. Bist du dir sicher, dass du ihn nicht verwechselst?"

„Ganz sicher." Bisher bin ich Olaf zwar nur ein Mal begegnet, aber trotz der Entfernung habe ich mir sein Gesicht genau eingeprägt. Ein Irrtum ist de facto ausgeschlossen.

Ingrids Freund ist derweil nicht entgangen, dass wir über ihn reden. Scheinbar gefällt ihm das nicht, denn er steht langsam auf, nimmt seine Kopfhörer ab und schlendert gemächlich auf uns zu. Er ist etwas kleiner als ich, hat rotblonde Haare und ein spitzes Kinn, das er durch einen Dreitagebart zu kaschieren versucht – mit mäßigem Erfolg. Seinem athletischen Körperbau nach zu urteilen, ist er Dauergast im Fitnessstudio.

„Hi", sagt er gedehnt und mustert uns herablassend. „Gibt's ein Problem?" Die Art und Weise, wie er spricht, erweckt den Eindruck, dass er sich für etwas Besseres hält. Mir ist er jetzt schon unsympathisch.

„Ja", antworte ich unfreundlich und mache einen Schritt auf ihn zu. „Du bist doch Olaf, oder?" Normalerweise bin ich fremden Menschen gegenüber nicht so aggressiv, aber bei diesem Typen fällt es mir echt schwer, mich zurückzuhalten.

Argwöhnisch kneift er die Augenbrauen zusammen. „Wer will das wissen?", fragt er und klingt dabei so arrogant, dass ich ihm am liebsten direkt eine knallen würde.

Prompt setze ich zu einer Antwort an, doch jemand anderes kommt mir zuvor. „Jonny?", ertönt eine vertraute Stimme hinter mir, die ich zuletzt vor einigen Jahren gehört habe. Sie klingt noch genauso angenehm wie früher. Erschrocken wirble ich herum und da steht sie. Nur wenige Meter von mir entfernt, die blauen Augen vor Überraschung weit aufgerissen. Ingrid.


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteWhere stories live. Discover now