XVI. Assist

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„Ganz einfach", erwidert Oma ungerührt, spaziert seelenruhig an ihm vorbei und setzt sich zu Gigi und mir an den Tisch. „Jonny wollte nicht, dass ich euch davon erzähle. Er ist seit etwa einem Monat hier. Möchtet ihr was trinken?"

„Nein, möchten wir nicht!", faucht Papa, ohne meine Mutter zu beachten, die nach wie vor neben mir steht und schützend ihren Arm um meine Schultern gelegt hat. „Ich fasse es einfach nicht. Die Presse spielt verrückt, niemand weiß, wo der Junge steckt und er macht sich hier im Dorf ein schönes Leben!"

Irgendwie finde ich es befremdlich, dass er über mich spricht, als wäre ich gar nicht anwesend. Nervös räuspere ich mich. „Tut mir leid, dass ich mich nicht bei euch gemeldet habe", murmle ich mit gesenktem Kopf. „Ich brauchte einfach 'ne Auszeit."

Mama tätschelt beruhigend meine Schulter, Papa hingegen schnalzt ungehalten mit der Zunge. „Auszeit, dass ich nicht lache!", knurrt er, während er in der Küche auf und ab tigert. „Du wolltest dich vor den Konsequenzen drücken, das ist alles! Was hast du dir eigentlich dabei gedacht, die Tochter deines Trainers anzurühren?"

„Muss ich das jetzt erklären?", frage ich widerstrebend, weil die Situation an sich schon unangenehm genug ist. Abgesehen davon habe ich mir nicht wirklich etwas dabei gedacht – ich war ja schließlich betrunken.

„Natürlich nicht, Jonny", sagt Oma und schenkt mir ein aufmunterndes Lächeln. „Was zwischen dir und diesem Mädchen gelaufen ist, geht niemanden etwas an. Auch deinen Vater nicht."

„Mutter, würdest du bitte aufhören, ihm ständig den Rücken zu stärken?", sagt Papa gereizt und wirft ihr einen mahnenden Blick zu. „Jonatan hat Mist gebaut und ich erwarte, dass er dafür geradesteht!"

„Herrgott, Inge, beruhige dich", seufzt Oma, die im Gegensatz zu ihrem Sohn vollkommen gelassen bleibt. „Was kann Jonny denn dafür, dass irgendjemand ihn gefilmt und bloßgestellt hat? Außerdem habe ich dich früher bei all deinen Dummheiten in Schutz genommen. Warum sollte ich für ihn nicht dasselbe tun?"

„Bei mir war das was ganz anderes!", behauptet Papa wie aus der Pistole geschossen. „Er soll endlich erwachsen werden und Verantwortung übernehmen. Solange er die Füße unter meinem Tisch trägt ..."

„Tut er aber nicht!", fällt sie ihm ins Wort, diesmal schon deutlich schärfer. „Wenn überhaupt, trägt er sie unter meinem Tisch. Das hier ist nämlich mein Haus und es gelten meine Regeln. Haben wir uns da verstanden?"

Obwohl ich gerade definitiv andere Sorgen habe, komme ich nicht umhin, meine Großmutter für ihre ruhige, konsequente Haltung zu bewundern. Von Papas jähzornigem Verhalten zeigt sie sich nicht im Geringsten beeindruckt. Ihm wiederum ist anzusehen, dass es ihm überhaupt nicht gefällt, vor versammelter Mannschaft in die Schranken gewiesen zu werden – noch dazu von seiner ehemals Erziehungsberechtigten, die ihm kaum bis zur Brust reicht.

Wider Erwarten ist sein Respekt vor ihr allerdings groß genug, dass er es nicht wagt, zu protestieren. Stattdessen sucht er sich kurzerhand ein anderes Opfer, an dem er seinen aufgestauten Frust und Ärger rauslassen kann. Wenig überraschend fällt Papas Wahl auf mich.

„Na schön", sagt er mit zusammengebissenen Zähnen. „Dann erzähl mir doch mal, wie du dir deine Zukunft vorstellst. Willst du dich weiter hier verstecken und darauf warten, dass sich das Problem von alleine löst? Oder hast du vielleicht einen anderen Plan?"

„Bis jetzt noch nicht", gebe ich zu und komme mir dabei vor wie der letzte Depp. „Ich brauche einfach noch ein bisschen Zeit, um nachzudenken, Papa."

„Zeit, um nachzudenken", wiederholt er spöttisch. „Na, wenn das so ist, schlage ich vor, du denkst darüber nach, wie du dein Geld verdienen möchtest, falls deine Karriere nicht mehr zu retten ist. Eins sage ich dir, dein Luxusleben kannst du dir dann abschminken! Bäume fällen und tote Fische ausnehmen sind keine Arbeiten, mit denen du reich wirst."

„Es reicht, Inge!", meldet sich meine Mutter unerwartet zu Wort. „Jonny ist alt genug, um seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Die hast du genauso zu akzeptieren wie ich. Anstatt ihn runterzumachen, solltest du ihn lieber unterstützen!"

„Ach, ich soll ihn dabei unterstützen, dass er sich von der Welt abschottet, um sich in aller Ruhe einen Speckgürtel anzufressen?", feuert Papa zurück, dem mein neues Gewicht offensichtlich ein Dorn im Auge ist.

Mama und Oma erwidern gleichzeitig etwas darauf und innerhalb von Sekunden entbrennt eine hitzige Diskussion, der ich jedoch nicht so richtig folgen kann, weil alle durcheinander reden.

Seufzend stütze ich den Kopf in die Hände und wünsche mich spontan an einen anderen Ort. Unter das laute Stimmengewirr mischt sich das Klirren einer Flasche.

Gigi, der bisher nur wenig zum Gespräch beigetragen hat, wird es scheinbar langsam zu bunt. „Tutti stupidi qui", meint er kopfschüttelnd, während er sich großzügig Aquavit nachschenkt. „Alle bescheuert hier."

Ich nicke zustimmend, weil ich ihm beim besten Willen nicht widersprechen kann. Tatsächlich fühle ich mich gerade ebenfalls, als wäre ich in einem Irrenhaus gelandet. Meine Eltern und Oma diskutieren immer noch miteinander, wobei Papa mit seinen Ansichten ziemlich alleine dazustehen scheint. Mittlerweile sind seine eigenen früheren Vergehen zum Hauptthema des Streitgesprächs geworden und Oma reibt ihm diese nur zu gerne unter die Nase.

„Darf ich dich daran erinnern, dass du mit Zwanzig auch mal suspendiert wurdest, weil du einen Fan mit einer Wodkaflasche beworfen hast?", stichelt sie und grinst spöttisch mit ihren dritten Zähnen.

„Nur, weil er vorher meine Reifen zerstochen hat", rechtfertigt sich mein Vater, dessen Gesichtsfarbe entfernt an rohes Walfleisch erinnert.

„Du glaubst, dass er es war", korrigiert Mama ihn prompt. „Soweit ich weiß, gibt's bis heute keine Beweise dafür."

Papa sieht aus, als würde er jeden Moment platzen. „Gerda, diese Diskussion hatten wir schon hundertmal!", stößt er wütend hervor. „Bitte fang nicht schon wieder damit an!" Immerhin hat er „Bitte" gesagt.

Geräuschvoll leert Gigi sein Glas und fängt meinen Blick auf. Anscheinend kapiert er, dass ich verzweifelt bin, denn er räuspert sich lautstark, woraufhin ihn alle erwartungsvoll ansehen. „Allora", sagt er mit seiner tiefen Stimme in die Runde. „Ich glaube, das führt hier zu nichts. Inge, Gerda – wahrscheinlich wäre es besser, wenn ihr jetzt geht. Macht euch um Jonny keine Sorgen. Ich habe ein Auge auf ihn."

Auch wenn mir Letzteres nicht unbedingt gefällt, bin ich meinem Berater sehr dankbar für seinen Einsatz. In stressigen Situationen ist er stets Derjenige, der die Ruhe bewahrt und letzten Endes ein Machtwort spricht, trotz seines eigenen italienischen Hitzkopfs. Zu meiner Erleichterung zeigt seine Ansage Wirkung: Die drei Streithammel schweigen und scheinen sich stumm darauf zu einigen, dass es das Beste wäre, auf ihn zu hören.

„Meinetwegen", brummt Papa schließlich achselzuckend. „Dann gehen wir halt. Vielleicht schaffst du es ja, dafür zu sorgen, dass unser Sohn zur Vernunft kommt und sich wieder gesünder ernährt. Sag Bescheid, wenn's soweit ist."

„Du kannst dich auf mich verlassen", entgegnet Gigi pflichtbewusst und nickt ihm zu, ehe er meine Eltern an Oma vorbei zur Tür geleitet. Wenn ich ihren Gesichtsausdruck richtig deute, ist sie froh darüber, dass er ihr diese Aufgabe freiwillig abgenommen hat.

Mein Vater ist schon fast im Flur, als mir plötzlich etwas einfällt. „Papa, warte!", rufe ich, woraufhin er stehen bleibt und sich nochmal umdreht. „Wer hat dir eigentlich gesagt, dass ich hier bin?" Hoffentlich waren es nicht Lasse oder Rikard, obwohl ich mir das kaum ernsthaft vorstellen kann. Keiner der beiden würde mich jemals verraten – nicht einmal im besoffenen Zustand.

„Ich habe einen anonymen Anruf bekommen", antwortet er mit unbewegter Miene. „Irgendein Typ war dran, der mir erzählt hat, dass du dich angeblich in Bergen rumtreibst. Erst dachte ich, dass er mich nur verarscht, aber er konnte mir sogar beschreiben, was du anhattest. Am Ende musste ich nur noch Eins und Eins zusammenzählen."

„Wow." So viel Kombinationsgabe hätte ich meinem Vater gar nicht zugetraut. Insgeheim bin ich nämlich schon lange überzeugt davon, dass er durch die vielen Kopfbälle, die er im Laufe seiner Karriere ausführen musste, einen Teil seines Verstandes eingebüßt hat.

„Ja, wow!", bellt er und hebt zum Abschied mahnend den Zeigefinger. „Reiß dich gefälligst am Riemen, mein Freund! Wenn wir uns das nächste Mal sehen, erwarte ich, dass du mindestens fünf Kilo abgespeckt und dir einen guten Plan überlegt hast!"


Vom Fußballer, der über seine Bälle stolperteDonde viven las historias. Descúbrelo ahora