9.

138 10 1
                                    

9.


„Ich hoffe, der Aufenthalt in unserem Hotel war zu Ihrer Zufriedenheit?", fragte der Rezeptionist.

„Alles bestens", brummte Felix. Kein Wunder, dass der Typ ihm das nicht glaubte und schon zum zweiten Mal, nur mit geänderten Worten, nachgefragt hatte. Es stimmte ja: Es war alles bestens gewesen. Er wäre gerne noch ein paar Tage geblieben. Sie wickelten die Bezahlung ab, aber Felix war nicht ganz bei der Sache. Nach dem Duschen heute Morgen war ihm eingefallen, dass er etwas vergessen hatte. Er hatte Alice nach ihrer Nummer fragen wollen. Es war ihm zwischendurch mal in den Sinn gekommen, aber dann hatte er es wieder vergessen. Und heute Morgen hätte er sicher daran gedacht, wenn sie sich ordentlich verabschiedet hätten. Aber sie war ja einfach abgehauen, vielleicht sogar schon mitten in der Nacht. Schon seltsam. Er schaute zu dem Hotelmitarbeiter, der gerade das Kartenlesegerät vorbereitete. Es war ein junger Mann, geschätzt Mitte zwanzig. Als Felix ihn am zweiten Tag seines Aufenthalts nach den Saunazeiten gefragt hatte, war klar geworden, dass er Felix kannte. Hacki vermutlich. So was konnte unangenehm werden. Aber der Typ war zurückhaltend, wie man es von jemandem, der in einem Fünf-Sterne-Hotel arbeitete, erwartete. Felix fiel ein, dass er auch an dem Abend Dienst geschoben hatte, als er mit Alice ins Hotel zurückgekommen war. Er hatte sie gesehen. Und sich wohl seinen Teil gedacht. Vielleicht wusste er was. Einen Versuch war es wert. Felix räusperte sich. „Eine Freundin reist heute auch ab. Kann ich... ich weiß nicht, ihr ne Nachricht hinterlassen oder so?"

Der Rezeptionist lächelte freundlich. „Natürlich. Wie heißt sie denn?"

„Äh... Alice."

Der Mann verzog die Augenbrauen. „Und der Nachname? Die Zimmernummer?"

Felix kam sich auf einmal richtiggehend dumm vor. Er wusste nichts, gar nichts. Er hatte sich wirklich zum Affen gemacht. Nicht nur jetzt, sondern auch in dieser ganzen Begegnung mit Alice. Wie bescheuert, dieses Spielchen. Jetzt wusste er noch nicht mal ihren vollen Namen. Und offensichtlich hatte sie ja auch keinen Wert darauf gelegt, dass da irgendwas zwischen ihnen ausgetauscht wurde. Von dem, was im Bett passiert war, mal abgesehen. „Ist egal, ich erreich sie auch anders", log er den Typ vor sich an ohne zu zögern.

„Natürlich." Die Quittung war endlich fertig, die Zimmerkarte zurückgegeben.

„Oh, ich sehe gerade: Da ist noch ein Umschlag für Sie." Der Hotelmitarbeiter schob einen einfachen weißen Brief über die Theke.

Wollte der Typ ihn jetzt verarschen? Felix musste sich ein Grinsen verkneifen. Das konnte nur von Alice sein. „Danke", sagte er, verabschiedete sich und rollte mit seinem Koffer nach draußen.

Er öffnete den Brief erst, als er im Mercedes saß. Auf dem Umschlag selbst stand nur sein voller Name, in einer ordentlichen Schrift. Eine Frauenhandschrift, eindeutig. Darin war ein Stück Papier, exakt so groß wie der Umschlag selbst. Da stand eine Handynummer. Und dann: „Ich bin sicher, du kommst noch drauf." Felix lächelte. Gerade wollte er den Brief zurück in den Umschlag stecken, als er etwas durchschimmern sah. Da war noch was auf der Rückseite. Er drehte das Papier um und sah eine Zeichnung. Einfach, nicht sehr kunstvoll, aber deutlich zu erkennen: Eine Gabel, ein Pluszeichen und dann ein Mann, genau so groß wie die Gabel. Felix schaute genauer hin und meinte fast, sich selbst wiederzuerkennen. Eine Art Karikatur. Und ja, das Männchen hatte einen Nasenring, wie er. Und eine völlig übertrieben große Uhr. Er musste grinsen. Er hatte ihre Nummer. Dann konnten sie ihn Kontakt bleiben. Der Gedanke gefiel ihm. Aber was die Zeichnung nun sollte, erschloss sich ihm nicht ganz. Hatte es was damit zu tun, dass sie zusammen gegessen hatten? Das ergab keinen Sinn. Egal, er würde schon noch dahinter kommen.

Auf halber Strecke gönnte er sich eine längere Rast als das übliche Neben-die-Fahrbahn-Pissen. Er tankte, fuhr dann die Ecke des Parkplatzes an, wo hauptsächlich LKWs standen, und holte sich im Shop einen gar nicht mal so üblen Kaffee und einen Wrap. Besser als die Leberkässemmel, die ihn angelacht hatten, aber gesund war das Ganze sicher auch nicht. Er schlang den Wrap im Stehen neben dem Auto runter und zündete sich zu seinem Kaffee dann eine Zigarette an. Sie schmeckte widerlich. Er sollte aufhören. Das war geplant für diesen Sommer. Aber er glaubte selbst nicht so wirklich an sein Durchhaltevermögen, was das betraf. Er stellte den Kaffeebecher auf dem Autodach ab und zückte sein Smartphone. Julian hatte ihm geschrieben, aber das hatte Zeit. Tommi drängelte, wie üblich, weil er den Termin für die Hack-Aufnahme verschieben wollte. Um eine Stunde. Er hatte ihm drei Sprachnachrichten geschickt, von denen die erste aus zwei, die zweite aus einem und die dritte aus fünf Wörtern bestand. Vermutlich hätte Felix sich aufgeregt oder wäre genervt gewesen unter anderen Umständen. Aber gerade jetzt, wo er aus dem Urlaub kam, blieb er entspannt. Er lachte, auch wenn das irre wirken musste, so alleine, wie er dastand, aber den Spaß würde er sich gönnen. Er startete die Sprachaufnahme, atmete geräuschvoll ein und aus, räusperte sich dann, zog an der Zigarette, blies den Rauch knapp am Mikro vorbei und sagte dann nur schnell: „Yo. Passt."

Er lachte noch mal über seinen Scherz und stellte sich vor, wie Tommi die Nachricht abhörte.

Als er den Kaffee ausgetrunken und die Zigarette ausgedrückt hatte, reckte er sich. Er sollte noch ein paar Schritte laufen. Aber vorher nahm er den Umschlag vom Beifahrersitz und speicherte die Nummer unter Alice Namen. Er überlegte, ihr eine WhatsApp zu schreiben. Aber das hatte Zeit. Er schaute sich noch einmal die Zeichnung an und machte ein Foto davon. Das schickte er dann ein paar Kontakten, die ihm vielleicht würden helfen können. Kumpels, die er zu Slam-Zeiten schon gekannt hatte, seinen Geschwistern. „Irgendeine Idee, was das hier bedeuten könnte?" Er würde sich beim Rätseln Hilfe holen. Das war sicher erlaubt, schließlich hatten Alice und er keine Regeln abgesprochen.

Der einzige, der sofort antwortete, war sein Kumpel Elvis: „Digga, alles okay bei dir? Wer schickt dir den son kranken Scheiß? Will der dich abstechen?"

Felix hätte sich fast verschluckt, weil er ein aufsteigendes, albernes Prusten unterdrücken musste. Bitte was? „Digga, das wäre die bekloppteste Morddrohung ever. Was meinst du denn? Dass mich wer mit ner Gabel aufspießen will?"

„Kein Plan. Haste Beef mit Aquaman oder so?", fragte Elvis.

„Kenn ick nicht. Das ist keine Drohung, nur ein Hinweis."

„Machste Schnitzeljagd jetzt oder was?"

„So was in der Art."

Felix steckte das iPhone weg. Er war zum Rand des Rastplatzes gelaufen, wo ein Feld begann. Keine Alpen mehr in Sicht. Heute Abend dann wieder Berlin. Ein bisschen Sehnsucht danach hatte er auch schon. Er schüttelte den Kopf über Elvis Idee. Als ob. Morddrohung. Wobei. Er kannte Alice nicht. Sie ihn ja angeblich schon. Vielleicht hatte er sich daneben benommen, als sie sich zum ersten Mal begegnet waren. Oder sie kannten sich doch nicht und sie war irgendein psychisch kranker Fan, der sich eine Beziehung mit ihm einbildete. Sollte es alles schon gegeben haben. Es war ja wirklich seltsam, dass er sich nicht an sie erinnerte. Aber er hatte ihr geglaubt, dass es eben so war, dass sie sich kannten. Was, wenn das alles gar kein Zufall gewesen war? Was, wenn sie ihm hinterherspioniert hatte, das Hotel absichtlich ausgesucht hatte, die Begegnungen geplant und herbeigeführt hatte?

Oh Mann! Felix schüttelte den Kopf über sich selbst. Was für ein Schwachsinn. Nur weil Elvis komische Ideen hatte. Vermutlich schaute der in letzter Zeit zu viele Psychothriller. Alice würde ihn garantiert nicht mit einer riesigen Gabel erstechen.

*

Who the Fuck is Alice?Место, где живут истории. Откройте их для себя