Kapitel 50

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Wincent
So hatte ich mir unser erstes Weihnachten wieder zusammen nicht vorgestellt. Alle zusammen sitzen wir bei mir zuhause, wobei Maya hier eigentlich auch schon fast wohnt. Zumindest wenn ich da bin, schläft sie auch immer bei mir. Das meine ich wortwörtlich. Sie schläft viel. Auch jetzt hat sie große Mühe, wach zu bleiben. Das merken natürlich auch unsere Familien, die sich dann relativ zeitig auf die Socken machen. „Geh schonmal hoch ins Bett, ich räume noch ein bisschen auf." Sie nickt nur, während ich ihr die Gläser aus der Hand nehme, bevor sie sich umdreht und langsam hochgeht. Es zerreißt mir jedesmal aufs Neue das Herz, zu sehen, wie es ihr immer und immer schlechter geht. Während ich aufräume, kreisen meine Gedanken ununterbrochen um sie und wie schlecht es ihr heute wieder ging. Wie immer hat sie versucht, es ihr nicht so extrem anmerken zu lassen, aber jeder konnte ihr ansehen, wie schlimm es ist. Oben gehe ich als erstes kurz ins Schlafzimmer, wo Maya sich schon in ihre Decke gekuschelt hat und schläft. Sie ist blass und vor allem an ihrem Gesicht erkennt man sehr gut, dass sie fast nur noch aus Haut und Knochen besteht. Trotzdem sehe ich, wenn ich sie ansehe, immer noch so viel mehr. All die Erinnerungen, in denen sie lacht und vor sich hin grinst. Es ist viel zu lange her, dass ich sie hab wirklich lachen hören. Ab und zu lächelt sie leicht, aber auch das ist oft eher gezwungen.

Ich erwache erst, als ich eine Träne meine Wange runterlaufen spüre. Schnell wische ich sie weg und gehe kurz ins Bad, bevor ich mich auch ins Bett lege. Mehr als meinen Arm um sie zu legen traue ich mich nicht, auch wenn ich sie gerne einfach fest an mich drücken und niemals mehr loslassen würde. Sie schläft ausnahmsweise mal ruhig durch, zumindest merke ich nichts. Mein Körper freut sich über den Schlaf, trotzdem wache ich recht früh auf und nutze diese Zeit für eine ausgiebige Runde Sport in meinem kleinen, hauseigenen Gym. Ich powere mich einfach aus, was definitiv nötig war. Vor Schweiß triefend schleiche ich mich nochmal schnell ins Schlafzimmer, um mir ein paar frische Klamotten zu schnappen, bevor ich kurz unter die Dusche springe. In der Zeit wacht auch Maya mal auf und kuschelt sich sofort in meine Arme, als ich aus dem Bad komme. „Morgen" murmelt sie gegen meine Brust. „Morgen." Ich hauche ihr einen Kuss auf die Stirn. „Willst du was essen?" „Hm nein, hab keinen Appetit." „Wenigstens ne Kleinigkeit? Bitte." „Okay." Außerdem muss ich definitiv was essen. Maya zwingt sich wenigstens ein bisschen Apfel runter und trinkt ihren Tee, bevor sie sich nochmal hinlegt. „Ich muss noch ein bisschen arbeiten, dann komme ich zu dir, versprochen" flüstere ich und drücke ihr noch einen Kuss auf die Stirn, bevor ich in mein Arbeitszimmer gehe. Ne Stunde beschäftige ich mich wirklich mit meinen Mails, dann widme ich mich wieder anderen Dingen. Seit Wochen versuche ich, irgendetwas zu finden, was meiner Freundin hilft. Maya muss das einfach schaffen... ich kann und will sie nicht ein zweites Mal verlieren.
„Ich dachte, du kommst zu mir." Ich zucke leicht zusammen, als Maya hinter mir auftaucht. Blitzschnell klappe ich meinen Laptop zu, aber natürlich hat sie schon gesehen, auf welchen Seiten ich mich hier rumtreibe. „Wincent" seufzt sie und setzt sich auf meinen Schoß. „Ich kann nicht einfach daneben sitzen und zusehen, wie es dir immer schlechter geht... und es geht dir immer schlechter." „Ja, mir geht's immer schlechter... aber das Meiste davon ist mehr Gerede als alles andere." „Und was soll ich deiner Meinung nach jetzt machen? Zusehen und beten, dass ein Wunder passiert? Das kann ich nicht." „Ich hab das alles schonmal durchgemacht. Ich will einfach nicht, dass du dich kaputt machst." „Mach ich nicht-" „Doch, Wincent, du machst dich kaputt. Aber du hast nicht in der Hand, ob ich wieder gesund werde oder ob ich sterbe. So sehr ich mir eine Zukunft mit dir wünsche, ich bin so unglaublich müde. Ich kann nicht mehr lange." „Sag das nicht, bitte." „Aber es ist die Wahrheit." „Ich kann das nicht akzeptieren. Tut mir leid, aber ich werde weiter dafür kämpfen, dass wir eine Zukunft haben." Maya streicht mir durch die Haare und lehnt ihre Stirn gegen meine. „Win-" „Nein, ich weiß, was du sagen willst, aber bitte verstehe, dass ich das alles nicht durchstehe, wenn ich das Gefühl habe nichts zu tun. Du bist die Liebe meines Lebens, nur dank dir weiß ich überhaupt, wie sich Liebe anfühlt. Ohne dich, weiß ich doch gar nicht, wie das geht." Sie hat mir beigebracht zu lieben.

„Wollen wir an den Strand fahren? Ein bisschen spazieren und abschalten." „Es ist extrem kalt draußen und du musst dich ausruhen." „Tu ich, ich will an den Strand, bitte. Und gegen Kälte gibt es was ganz cooles, nennt sich Anziehsachen. Vor allem die Hoodies von meinem Freund sind super warm." „Okay, dann los." Sie steht langsam auf und geht mit mir runter. Wir packen uns also warm ein, vor allem Maya, bevor wir zum Strand fahren und hier einen kleinen Spaziergang machen. Mittendrin bleibt Maya stehen und sieht zu mir hoch. Sie hat sich so tief in ihrem Schal eingekuschelt und die Mütze so weit runtergezogen, dass ich gerade mal so ihre Nasenspitze und ihre Augen erkennen kann. „Ist dir kalt? Sollen wir zurück?" „Ein bisschen, aber nein, noch nicht." Sie lehnt sich an mich und sieht aufs Meer raus. Sofort schlinge ich meine Arme um sie.

Vielleicht im nächsten LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt