An der Seite des Stiers

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Jisungs Pov:

Fünfzehn Minuten später endete die recht ereignislose Suche nach dem Grab vor einer Mauer, die lediglich aus aufgeschichteten Lehmziegeln bestand.

„Vermutlich ist dahinter die Grabkammer", nuschelte Yeosang undeutlich durch seine Maske. Hier unten trugen wir immer Atemschutzmasken, um den feinen Staub und möglicherweise ungesunde Pilzsporen nicht einzuatmen.

„Sehr wahrscheinlich, junger Freund." Unser Professor und großes Vorbild trat zu der aufgetürmten Wand und prüfte die Festigkeit der Lehmziegel. Offenbar waren sie nicht so eng zusammengefügt, dass wir wieder umkehren mussten, um besseres Werkzeug zu holen.

„Wir werden einen der Steine vorsichtig nach innen schieben und dann die anderen herauslösen, alles klar?"

Yeosang und ich bestätigten die Vorgehensweise und dann hörten wir ein dumpfes Geräusch, als der Ziegel innen auf den Boden traf. Anschließend machten wir uns daran, die restlichen Steine zu lockern und irgendwann hatten wir ein relativ großes Loch freigelegt, sodass wir ins Innere der Grabkammer sehen konnten.

Für einen Moment stockte mir wirklich der Atem. Der folgende Raum war lang und an den Wänden und Stützsäulen standen mehrere lebensgroße Statuen. Dazwischen zierten in Stein gehauene Symbole und bildliche Darstellungen die Seitenwände. Als ich meine Taschenlampe dann geradeaus richtete, konnten wir im hinteren Bereich den schweren, steinernen Sarkophag erkennen, der majestätisch von zwei weiteren Statuen flankiert wurde.

Daraufhin beeilten wir uns fast noch mehr, das Loch zu vergrößern und schlussendlich drückten wir einen Teil der Mauer einfach nach innen, als wir uns sicher waren, damit nichts zu zerstören.

Wir betraten ehrfürchtig die Grabkammer und sahen uns fasziniert um. In den Wänden rund um den Sarkophag waren mehrere Nischen in den Stein gehauen und dort lagerten allerlei Tonkrüge, sowie Schalen mit vertrockneten und kaum noch zu identifizierenden Nahrungsmitteln. Mehrere Tierskulpturen aus Ton und Holz, in denen teilweise sicher deren Mumien zu finden waren, säumten die letzte Ruhestätte des Ägypters und schließlich traten wir an den reich verzierten Sarg.

Ich hatte auch kurz die Hieroglyphen unter die Lupe genommen, doch mein Professor war sicherlich schon viel weiter beim Übersetzen, weshalb ich ihm die Freude überließ, uns aufzuklären, was dort geschrieben stand. Im besten Fall würden wir aus diesen Schriftzeugnissen sogar den Namen des Toten erfahren, der hier hoffentlich immer noch friedlich ruhte.

„Laut dem, was ich jetzt auf die Schnelle übersetzen konnte, handelt es sich bei diesem Mann um den König Choi San. Offenbar war er ein durchaus fähiger Herrscher, der seinem Volk Wohlstand und Frieden brachte. Er wurde hoch geschätzt und verehrt, was die zahllosen Grabbeigaben, die um seinen Sarkophag verteilt sind, glaubhaft belegen", informierte Herr Shin uns und legte dann seine behandschuhte Hand auf den Deckel des steinernen Grabmals. „Auch der Kalkstein hier ist sehr hochwertig und gut verarbeitet. Seht ihr die reliefartigen Darstellungen auf der Außenseite? Das ist wirklich ein erhaltenes Meisterwerk." So aufgeregt und begeistert zugleich, hatte ich den Mann mit dem weißen, schütteren Haar und den großen, braunen Knopfaugen noch nie gesehen, doch irgendwie war seine Freude ansteckend und ich lächelte.

„Na dann sollten wir den anderen von dem Fund berichten und die Kammer absichern lassen. Sie wollen die Mumie doch sicher fachmännisch begutachten und alles für einen Transport des Sarkophags vorbereiten, oder Professor?"

Der ältere Mann nickte zustimmend und sah sich noch einmal ehrfürchtig um, er hob seine Hände, reckte die Handflächen nach oben und sagte feierlich: „Das Tal der Könige ist wahrhaftig der Ort, an dem die größten Herrscher begraben liegen und ihre letzte Ruhe finden. Als würde man hier durch ein Tor in der Zeit sehen können und einen kleinen Blick auf ein früheres Leben erhaschen."

God-king of Egypt | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt