Der neugierige Großwesir

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Jisungs Pov:

Unbehaglich begegnete ich dem Blick des Sprechenden.

„Das hat natürlich nicht nur mein Interesse geweckt... auch der Pharao möchte gerne mehr über die Person erfahren, die eine solche Unverfrorenheit besitzt."

Das klang ganz und gar nicht gut für mich. Nicht nur, dass selbst der Pharao von mir wusste, sondern auch, dass ich mir seinen Zorn zugezogen hatte. Soweit mir bekannt war, kam es einer Straftat gleich, die heilige Stadt der Toten ohne driftigen Grund zu betreten – erst recht, wenn es sich um das Grabmal eines Herrschers handelte. Man konnte mich vermutlich leicht beschuldigen, den Pharao berauben zu wollen oder seine Ruhestätte der Ewigkeit zu entweihen. Mit anderen Worten hatte ich nicht die besten Voraussetzungen, um lebend davonzukommen, geschweige denn würde man mir glauben, ich sei aus überlebenstechnischen Gründen dort gewesen.

Dennoch setzte ich mich gerade hin und nahm mir fest vor, keinen Millimeter von meiner Geschichte abzuweichen und so vehement auf meine Unschuld zu beharren, wie ich konnte. Denn aufzugeben, war keine Möglichkeit. Ich wollte leben.

Nach den Worten des Großwesirs hing einen Moment lang die Stille über dem Tisch, so als würden die zwei Männer hoffen, dass ich einknickte und um Gnade bat, doch ich erwiderte stumm den Blick und wartete darauf, dass man mir weitere Fragen stellte. Und tatsächlich ließ sich der Mann mit den grünen Augen dazu herab, meine Geschichte auf Herz und Nieren zu testen.

„Du sagst also, du kommst aus Kerma." Wieder betrachtete er mich, so als würden ihn diese Worte nicht überzeugen. Und ich verstand es, denn weder sah ich aus wie ein Nubier, noch kannte ich deren Gepflogenheiten – zumindest nicht alle. Deshalb entschied ich mich dazu, meine Geschichte etwas komplexer zu gestalten und vielleicht meine Wissenslücken erklären zu können.

„Das stimmt, ich habe über zehn Jahre dort gelebt." Ich hoffte, dass ich meinen Gegenüber neugierig machen konnte und er den Köder schluckte.

„Nur zehn Jahre... wo hast du davor gelebt?"

Es hatte tatsächlich funktioniert, jetzt musste ich nur noch glaubwürdig erscheinen.

„Meine Familie stammt ursprünglich aus Mesopotamien. Meine Eltern waren wohlhabende Getreidehändler." Einen Augenblick lang stockte ich, bevor ich mich dazu durchringen konnte, weiterzusprechen. „Nachdem sowohl meine Eltern als auch mein älterer Bruder bei einem Brand unseres Hauses umkamen, bin ich zu meiner Tante und meinem Onkel nach Kerma gezogen."

Mein Herz krampfte sich schmerzhaft zusammen, als ich diesmal die Wahrheit erzählte und kaum ein Wort verändern musste. Es war schlimm, sich nun auch daran zu erinnern, die Worte aussprechen zu müssen, die mir nach all den Jahren noch immer Schmerzen bereiteten, aber vielleicht würden sie mir gerade jetzt dabei helfen, am Leben zu bleiben. Die Emotionen in mir vermischten sich, sie flossen ineinander über und hastig schluckte ich die Tränen und die Trauer herab.

Offenbar schien das auch mein Gegenüber zu bemerken, denn seine Haltung wirkte nun weniger drohend und seine nächsten Worte kamen beinahe freundlich über seine Lippen. „Das erklärt dein exotisches Aussehen und vielleicht auch deine Unvorsicht. Dennoch musst du mir erklären, wie du hierher – in unser Land – gekommen bist und noch viel wichtiger, was hattest du in der Grabanlage der Königsfamilie verloren?"

Schon wieder trafen die stechend grünen Augen auf meine und ich musste anerkennen, dass dieser junge Mann ein großes Talent für seinen Job zu haben schien. Auch wenn er nicht älter aussah als ich, stellte er messerscharfe Fragen, ließ sich nicht aus dem Konzept bringen und repräsentierte souverän seinen Status.

„Kannst du endlich aufhören, meinen Gefangenen zu befragen?", knurrte Changbin jetzt und verschaffte mir damit eine entscheidende Denkpause. Die dunklen Augen des breitschultrigen Mannes glommen nun ebenfalls unheilvoll und ich fragte mich schon, wann der Punkt kam, an dem dieses Gespräch eskalierte.

God-king of Egypt | MinsungWo Geschichten leben. Entdecke jetzt