Kapitel 7

11 0 0
                                    

Emma lässt sich neben mir auf das Sofa fallen und tippt auf dem Handy herum und zeigt mir nach einigen Minuten ein paar gleich aussehende Posts, auf denen mein Medaillon zu sehen ist mit dem gleichen Text darunter.
Ich seufze, das kann doch alles nicht wahr sein.
„Ich bekomme es nie wieder."
„Er schreibt doch er gibt es der Besitzerin zurück, wenn sie weiß, was auf der Rückseite eingraviert ist."
Ich greife nach meinem Smartphone und gebe den Namen ein, den Emma eingegeben hat und bekomme fünf Treffer. Wie finde ich heraus, welches sein echtes Profil ist?
„Hilfst du mir, den richtigen Account zu finden?"
„Ich habe ihn schon gefunden."
Ich werfe ihr einen überraschten und verwunderten Blick zu. Wie hat sie das so schnell geschafft?
„Die Seiten, die von Fans erstellt wurden, habe ich daran erkannt, dass sie selten posten und wenn, sind die Bilder und Videos schon älter. Außerdem hätte Alice nie einen Post von so einer Seite in ihre Story eingebaut. Ich habe auch auf die Uhrzeit geschaut. Das richtige Profil ist natürlich das, das das Foto als erstes gepostet hat.", erklärt sie sachlich. „Du bist doch die Journalistin von uns beiden."
Wenn es um Prominente geht, kennt sich Emma viel besser aus als ich. Mich interessiert der Klatsch und Tratsch über die Reichen und Schönen nicht sonderlich. Nach meinem Studium habe ich mich nicht mehr mit der Welt der Stars befasst. Natürlich bekomme ich das Wichtigste aus den Nachrichten mit, aber ich lese keine Klatschzeitschriften, in denen noch ausführlicher darüber berichtet wird. Denn das, was dort steht, ist meist übertrieben oder die Tatsachen werden völlig verdreht.
Ich gehe auf das Profil von Alex Black, das mit den 930 Tausend Followern, welches Emma auf ihrem Handy offen hat. Er hat das Bild vor sechs Stunden gepostet und schon 100 Kommentare erhalten.
„Man, was die für einen Mist schreiben."
Ich gebe ihr mit einem zustimmenden Laut recht. Ich lese solche Sachen wie: Ich liebe A. B, gehe die Sterne am Himmel zählen, dann weiß du, wie oft ich an dich denke oder Musik kann man nicht hören, man muss sie fühlen. Aber am besten finde ich die Antwort: Ich weiß es nicht.
Armer Alex, wenn er sich das alles durchlesen muss. Es könnte aber auch gut sein, dass das sein Manager oder jemand anderes übernimmt. Viele berühmte Personen haben Angestellte, die sich um ihre Social-Media-Accounts kümmern.
„Aber du weißt, was hinten auf dem Medaillon eingraviert ist?"
„Natürlich", gebe ich entrüstet von mir.
„Und warum zögerst du und schreibst ihm nicht, was dort steht? Vielleicht ist er noch im Land und bringt es vorbei."
Sie hat recht. Er könnte noch in England sein, denn schließlich hat er heute ein Fotoshooting hier in London.
Vicky. M: Auf dem Medaillon steht: Vive! Ama! Ride!
Tippe ich einen Kommentar unter seinen Post. Ich hätte ihm eigentlich eine direkt Nachricht schreiben wollen, aber das geht nicht, weil er die Funktion ausgeschaltet hat, was ich verstehen kann, bei den ganzen Kommentaren, die er heute schon bekommen hat.
„Was bedeutet: Vive! Ama! Ride!
„Das ist lateinisch und heißt übersetzt: LEBE! LIEBE! LACHE!" Ich lege mein Handy auf den Tisch und lehne mich zurück.
„Großmutter sagte, es bedeutet, das Leben mit all seinen Facetten zu genießen. Viel zu lachen und lieben und geliebt zu werden", erkläre ich kurz auf ihren verwirrten Blick hin.
„Eins der drei Dinge fehlt in deinem Leben komplett und ein weiteres erfüllst du nur zum Teil, das ist dir doch klar, oder?
„Ja." Ich will nicht über dieses Thema sprechen, das macht mein Tonfall mehr als deutlich.
Ich wusste, was sie meinte. Ich liebe zwar meine Familie und meine Freunde und werde auch von ihnen geliebt. Aber einen Mann lasse ich nicht an mich heran. Ich habe in den letzten zehn Jahren niemanden kennengelernt, der mich wieder an die Liebe glauben ließ. Ich weiß nicht, ob ein Kerl je mein Vertrauen gewinnen könnte, sodass ich ihm mein Herz schenken würde, nach dem man mich angelogen, betrogen und es mir gebrochen hatte.Vielleicht wäre ich nie mehr in der Lage, einen Typen bedingungslos zu lieben, nach der Sache mit Felix und Jessi. Ich kann erst das Leben mit allen Höhen und Tiefen genießen, wenn ich nicht immer auf Nummer sichergehe und mich hinter Kontaktlinsen, einer Perücke und einer Tonne Make-up verstecke.
Mein Handy, das auf den Couchtisch liegt, fängt an zu blinken. Ich nehme es zur Hand und sehe drauf. Ich habe eine Nachricht von Alex oder einem Angestellten von ihm bekommen.
Alex Black: Ich dachte mir schon, dass das Medaillon dir gehört. +1 213 5183340 ruf mich an oder schreib mir. Die Nummer bitte nicht weitergeben.
Er hat mich trotz des alten Profilbildes erkannt. Auf dem Foto sind meine Haare etwas kürzer und der gerade Pony verdeckt meine Augen halb.
„Er hat dir seine Nummer gegeben", quiekt Emma mir direkt ins Ohr, die mit mir auf mein Handy guckt.
„Es kann auch die Nummer von seinem Manager sein." Als Berühmtheit wird er mir, einer Person, die er nicht kennt, kaum seine private Nummer geben.
„Ich glaube, wenn du anrufst, wird er am anderen Ende der Leitung sein."
„Das weißt du nicht", entgegne ich.
„Ich kann Menschen gut einschätzen. Ich denke, er mag dich."
„Ach, Emma, hör auf damit."
„Alexander Black küsst nicht beinahe eine Frau, die er kaum kennt oder hilft ihr ins Auto, wenn er sie nicht mögen würde."
„Du kennst ihn doch gar nicht."
„Sieh doch nach, was man über ihn schreibt." Sie sieht mich herausfordernd an.
„Werde ich irgendwann mal machen." Ich habe wirklich vor ihn zu googeln, denn Emmas Äußerung gerade und die Worte von Alice machen mich neugierig.
„Ruf ihn an und frag ihn, ob er dir das Medaillon vorbeibringt."
Ich wähle seine Nummer und halte mir das Handy ans Ohr. Hi, ich kann im Moment nicht ans Telefon gehen. Also hinterlass mir eine Nachricht oder ruf später noch einmal an.
„Es springt sofort die Mailbox an."
„Schreib ihm einfach. Er ist bestimmt noch beim Fotoshooting oder schon in der Luft und kann deshalb nicht ran gehen."
Emma zur Liebe und weil ich das Erbstück unbedingt wieder haben will, speichere ich seine Nummer ab, um ihm eine WhatsApp-Nachricht schreiben zu können. Hallo Alex, danke, dass du ein Foto mit dem Medaillon gepostet hast. LG Victoria
Wenn er wirklich vorhatte, mir mein Schmuckstück wiederzugeben, würde er sich sicherlich bei mir melden.
„Bleibst du heute hier?"
„Würde ich liebend gern, vor allem jetzt, da du seine Nummer hast, aber meine Eltern haben sich für morgen angekündigt und ich muss noch aufräumen. Und ach ja, auch noch etwas backen. Du kennst doch meine Mutter, alles muss sauber sein und wenn ich sage, alles meine ich wirklich alles."
Bei ihren Worten muss ich grinsen. Emmas Mutter hat einen kleinen Putzfimmel und ihr Dad isst sehr gerne etwas selbst gebackenes, das sieht man ihm aber auch an.
„Du hast ja diese Probleme nicht. Deine Eltern kommen ja selten zusammen zu Besuch", sagt sie und erhebt sich.
Leider hat sie recht. Meine Eltern tauchten sehr selten gemeinsam auf. Neun Monate nach meinem Unfall reichte mein Vater die Scheidung ein, was ich ihm nicht einmal übel nehmen konnte. Mum hatte sich große Vorwürfe gemacht. Sie sagte, sie hätte mich mit dem Auto ins Freibad fahren müssen, da sie gewusst hatte, dass mir die Hitze sehr zusetzte. Das Wetter war nicht an dem Unfall schuld, sondern ich und das wusste sie auch. Ich hätte mich mehr auf den Verkehr konzentrieren sollen und das hatte ich ihr mehrfach versucht, begreiflich zu machen, aber sie gab sich trotzdem die Schuld. Dad kam mit all dem nicht klar. Er konnte seiner Frau, die immer dünner wurde, nicht helfen, mit ihren Schuldgefühlen fertig zu werden und seiner Tochter auch nicht, die ihrem früheren Leben hinterhertrauerte. Irgendwann wurde es ihm zu viel und er ging. Während die Scheidung noch lief, fing er bei einer kleinen Anwaltskanzlei in Manchester an und zog auch dorthin. Wahrscheinlich war das das Beste, was er zum damaligen Zeitpunkt hatte tun können.
Mein Vater überlies Mum das Haus, aber das tat er nur wegen mir. Denn wo sollte sie mit zwei Kindern hin, von denen das eine im Rollstuhl saß. Seit der Trennung arbeitet Mum wieder Vollzeit als Arzthelferin.
Einmal musste Mum mir aus der Dusche helfen und dabei war sie mit mir gestürzt. Bei diesem Sturz verstauchte ich mir das linke Handgelenk. Das war nur deshalb passiert, weil sie das Gleichgewicht nicht halten konnte. Sie aß damals kaum noch etwas und deswegen hatte sie ab und an Schwächeanfälle gehabt. Doch durch diesen kleinen Zwischenfall erkannte sie, dass es so nicht weitergehen konnte. Sie begab sich in Therapie und als ich aus der Reha kam, ging es ihr schon besser. Meine Großmutter war ihr in dieser Zeit eine große Hilfe und das, obwohl sie die Mutter meines Dads war, der seine Familie verlassen hatte.
„Das mit deinen Eltern ist nicht deine Schuld." Emma kann meinen Gesichtsausdruck einfach zu gut deuten.
„Irgendwie schon."
Sie schüttelt energisch den Kopf. „Ich geh dann jetzt, denn die Bahn kommt gleich." Meine beste Freundin beugt sich zu mir runter und umarmt mich fest zum Abschied.
„Sei nett zu Alex!", ruft sie mir noch zu, bevor die Haustür ins Schloss fällt.
Ich stehe auf, stecke das Handy ein, setze mich in den Rollstuhl und fahre ins Arbeitszimmer. Dort nehme ich den Laptop vom Schreibtisch und begebe mich mit ihm auf dem Schoß ins Schlafzimmer. Ich krabbele aufs Bett, mache es mir mit dem Notebook gemütlich und schaue im Internet nach, was da so über Alexander Black drin steht.
Natürlich finde ich viele Fotos und die allgemeinen Informationen von ihm, wie wo und wann er geboren ist, in welcher Band er spielt und in welchen Filmen er mitgespielt hat. Ich klicke mich durch ein paar Internetseiten, bis mir ein Artikel ins Auge fällt, der erst neun Wochen alt ist. In diesem wird angenommen, dass Alex auf Männer steht, weil seine letzte Beziehung drei Jahre zurücklag und er seitdem mit keiner Frau mehr gesehen wurde. Eins weiß ich nach dem beinahe Kusses und zwar, dass er hetero ist. Es gibt auch Artikel, die andeuten, er hätte etwas mit Alice am Laufen. Ich kann mir die beiden gut als Paar vorstellen.
Zu guter Letzt finde ich noch ein drei Wochen altes Fernsehinterview. Ich spule ein wenig vor, denn es interessiert mich nicht, wie die Dreharbeiten zu Uni L.A. 3 gewesen sind.
„Ich habe nichts mit Alice, wir sind nur Freunde. Sie ist wie eine Schwester für mich und ich freue mich für sie, dass sie in Greg jemanden gefunden hat, mit dem sie ihr Leben verbringen will."
„Also hattest du auch nichts mit ihr?", fragt die blonde Moderatorin einer Morgensendung und beugt sich ein wenig vor.
„Genau ich hatte nie etwas mit ihr", antwortet er seufzend.
„Bist du schwul?"
Er fängt schallend an zu lachen und sagt: „Nein, das bin ich nicht."
„Und warum hast du dann schon seit über fünf Jahren keine Freundin mehr gehabt?"
„Weil ich einfach keine Zeit für eine Beziehung habe und der richtigen Frau noch nicht begegnet bin."
Alex sagt die Wahrheit, das sehe ich in seinen Augen. Er ist unter anderem auch Schauspieler, aber so gut schauspielern kann er nicht. Ich kenne diese Art von Blick, denn manchmal sieht er mir aus dem Spiegel entgegen. Dieser sehr attraktive und erfolgreiche Mann, den so viele Menschen bewundern, fühlt sich genauso einsam wie ich. Vielleicht ist das der Preis, den man für den Ruhm zahlen muss.
Es scheint so, als ob er durch den Bildschirm in mein Inneres schauen kann und das, obwohl ich nur eine Aufnahme von ihm sehe. Als ein Lied von seiner Band gespielt wird, schließe ich die Augen und nicke ein.

Liebe auf wackligen BeinenWhere stories live. Discover now