Kapitel 21

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„Begrüßen Sie mit mir zusammen I. V. Doe", sagt Jim, der sich in seinem weißen Sessel zurücklehnt und zum großen Monitor schaut, auf dem jetzt Vicky erscheint. Die schwarzhaarige Frau mit den unnatürlichen violetten Augen und den viel zu hellen Teint, sieht so gar nicht wie meine Freundin aus.
„Hallo Jim", sagt sie lächelnd.
„Wie fühlen Sie sich?"
„Ich bin ziemlich nervös."
„Das merkt man Ihnen aber nicht an." Jeder, der sie nicht kennt, hätte Jim recht gegeben, weil sie ihre Gefühle ziemlich gut verbergen kann. Aber ich sehe die Furcht in ihrem Blick, was mich nicht wundert, denn bei meinem ersten TV-Auftritt konnte ich damals vor Angst und Aufregung nicht still sitzen. Ich wäre jetzt so gern bei ihr, um ihr beizustehen, doch das ist im Moment einfach nicht möglich, da der Drehplan sich nicht nach mir richtet.
„Das beruhigt mich."
„Heißt es eigentlich Ms. oder Mrs. Doe?" Das ist ein Trick von ihm, um herauszufinden, ob sie verheiratet ist.
„Ich bevorzuge Ms.", antwortet sie grinsend. Wie es scheint, hat sie gewusst, was er mit seiner Frage hatte bezwecken wollen, und sie ist nicht bereit, ihm die Information über ihren Familienstand zu geben.
„Also Ms. Doe wissen Sie ..." Sie hat ihn wohl ein wenig aus dem Konzept gebracht, da er vermutlich angenommen hatte, als TV-Neuling könnte er sie mit scheinbar harmlosen Fragen dazu bringen, mehr über sich preiszugeben als geplant. „... die Redaktion sagte mir, dass wir schon lange nicht mehr so viele Briefe und Mails zu einem Thema erhalten haben wie von Ihren Lesern. Stellvertretend für viele Fans lese ich den Brief von Cathy aus New York vor:
Liebe I. V. Doe, ihre Bücher sind fantastisch und ihre Figuren sehr authentisch. Ich freue mich schon auf ihr nächstes Werk. Doch eins verstehe ich nicht: Warum machen sie um Ihre Identität so ein großes Geheimnis?
Was würden Sie Cathy und vielen anderen, die sich das gleiche fragen, antworten?"
„Cathy, diese Maskerade, wie manche es nennen, ist keine PR-Masche, um mehr Bücher zu verkaufen, sondern ich tu das nur, um das Privatleben von mir, meiner Familie und meinen Freunden zu schützen."
„Wollen Sie damit sagen, wir werden nie erfahren, wer sich hinter I. V. Doe verbirgt?"
„Nein, das wollte ich damit nicht andeuten, weil mir durchaus klar ist, dass ich mich irgendwann werde zu erkennen geben müssen. Doch im Moment fühle ich mich noch nicht bereit dazu."
„Wir machen eine kurze Werbepause ..." Den Rest des Satzes bekomme ich nicht mit, da die Tür meines Wohnwagens plötzlich aufgerissen wird, wodurch ich vor Schreck zusammenfahre.
„Was machst du hier?" Die Szenen mit Carter stehen eigentlich erst für übermorgen an.
„Darf ich nicht einfach mal meinen besten Freund besuchen? Du siehst dir doch nicht gerade einen Porno an?"
„Nein, natürlich nicht", sage ich seufzend und erhebe mich vom Bett. Den Laptop, auf dem immer noch die Werbung läuft, stelle ich auf den Tisch. „Ich schaue mir nur die Jim-Johnson-Show an."
„Nicht du auch noch. Was habt ihr alle mit ..."
Ich gebe ihm mit einem Blick zu verstehen, ruhig zu sein, als die Pause zu Ende ist.
„Ihr letztes Autorenfoto ist eine Ganzkörperaufnahme und kein Porträtbild. Wieso haben Sie sich dazu entschieden, ein anderes Format zu nehmen?"
Jetzt werden zwei Fotos von Vicky als I. V. Doe nebeneinander eingeblendet. Auf dem linken Bild hat sie rote, kinnlange Haare und sieht ein bisschen aus wie eine Puppe und das rechte stammt aus ihrem neusten Buch, auf dem sie weitaus natürlicher ausschaut. Im Schminken ist sie deutlich besser geworden.
„Schlecht sieht sie ja nicht aus, aber ..." Ich werfe Carter, der hinter mir steht einen finsteren Blick zu, woraufhin er verstummt und beschwichtigend die Hände hebt.
„Das ist eine witzige Geschichte. Meine Fotografin hat in Foren gelesen, dass manche der Meinung sind, ich wäre ein Mann und um diese Behauptung zu widerlegen, haben wir uns für ein Ganzkörperfoto entschieden. Jim, sehe ich für Sie wie ein Kerl aus?"
„Nein, wie ein Mann sehen Sie nicht aus. Wenn ich ein paar Jahre jünger wäre, würde ich Sie auf ein Date einladen."
„Mein Freund würde es sicherlich nicht gut finden, wenn ich mit Ihnen ausginge", sagt sie und bringt mich damit zum Lächeln. Für eine Millisekunde erscheint ein erschrockener Ausdruck auf ihrem Gesicht, da ihr wahrscheinlich erst jetzt klar wird, was sie gesagt hat.
Jim machte ein gespielt enttäuschtes Gesicht. „Ihren männlichen Fans brechen Sie jetzt reihenweise die Herzen. Ihr Freund weiß aber, wer Sie sind?"
„Ja."
„Ist er gerade bei Ihnen?"
„Nein, leider nicht, da er beruflich verreisen musste, aber er schaut zu." Als ob sie schon häufiger Fragen von Moderatoren beantwortet hatte, was nicht der Fall ist, versucht sie so nah wie möglich an der Wahrheit zu bleiben, ohne dabei zu viel über sich preiszugeben, damit später niemand behaupten kann, sie hätte gelogen. Vicky wird zu diesem Thema nichts mehr sagen, das macht ihr Tonfall mehr als deutlich.
Als erfahrener Moderator erkennt Jim das und wechselt deshalb das Thema. „Steht das V in I. V. Doe für Victoria?"
Meine Freundin nickt nur lächelnd.
„Ist das Ihr Vorname?"
„Ja."
„Victoria, also haben wir jetzt aufgrund Ihres Rätsels einen Teil Ihres Namens herausgefunden. Dann machen wir mal weiter, vielleicht finden wir so noch mehr über Sie heraus. Victoria, darf ich Sie so nennen oder ist Ihnen Ms. Doe lieber?"
„Nennen Sie mich ruhig beim Vornamen."
„Okay. Du bist Engländerin, oder?"
„Ja. Wer mein Rätsel nicht kennt, hat das sicherlich an meinem Akzent erkannt."
Ich finde ihren britischen Akzent süß.
„Das I. V. in deinem Namen steht auch für die Zahl Vier, wenn ich mich nicht täusche?"
„Jim, du warst wohl viel in Foren unterwegs. Aber ja, du hast absolut recht."
„Ein Lob an die Leute in der Redaktion, die sich in den letzten Wochen viele Posts und Blogs zu diesem Thema durchgelesen haben", sagt er lobend.
„Also ist die Zahl Vier von großer Bedeutung für dich?"
„Ich hätte die Namen nicht so abgekürzt, wenn die Zahl bedeutungslos für mich wäre."
„Ha, du hast also zwei Namen", sagt Jim und zeigt mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm, auf dem man Vicky sehen kann.
Meine verkleidete Freundin schüttelt nur stumm den Kopf.
„Aber du hast Namen gesagt."
„Ja, das habe ich. Doch nur das V steht für meinen Namen und bevor du fragst, ich schreibe meine Bücher allein. Das I steht für den Namen einer Person, die mich geprägt und mir geholfen hat, Autorin zu werden."
Jim gibt auf, mehr aus ihr herausbekommen zu wollen und damit macht er genau das richtige, denn sie wird ihm nichts verraten, weil sie zu mir meinte, dass sie von sich aus keins ihrer Rätsel lösen würde.
„Da du ein Kind der 90er bist, wirst du somit bald 30, oder?"
Ich grinse bei seinem Versuch, ihr Alter herauszufinden.
„Bis ich 30 werde, habe ich noch ein paar Jahre."
„Typisch Frau verrät ihr Alter nicht."
Vereinzeltes Gelächter vom Publikum ist zu hören.
„Kannst du uns denn schon sagen, wann dein nächstes Buch erscheint?"
„Nach meinen letzten Informationen erscheint es voraussichtlich irgendwann im Herbst."
„Unsere Zeit ist fast um. Victoria, gibst du uns noch einen Hinweis auf deine Identität?"
„Ich bin auf dieselbe Universität gegangen wie eine Frau, die am 30. Juli 1962 geboren ist und sowohl unter anderem schon den Eric Gregory Award als auch den Cholmondeley Award erhalten hat. Aber denkt nicht, ich hätte denselben Abschluss wie sie."
„Du machst es uns aber wirklich schwer."
„Wenn ich es zu einfach machen würde, wäre es doch langweilig und man wäre auch schon längst hinter meine wahre Identität gekommen."
„Da muss ich dir recht geben. So unsere Zeit ist leider schon um. Victoria, es war für mich eine Ehre, dich in meiner Show gehabt zu haben."
„Jim, es hat mich gefreut, dein Gast gewesen zu sein. Ciao." Zum Abschied winkt sie noch einmal lächelnd und dann verschwindet ihr Bild.
„Warum hast du dir diesen Mist angeschaut?"
„Erstens, weil Vicky das auch geguckt hat und zweitens um später mitreden zu können, da gefühlt die halbe Crow das sehen wollte", lüge ich und schließe den Laptop.
„Werde bloß nicht einer dieser Typen, die sich verbiegen, nur um ihrer Freundin zu gefallen."
„Mach dir keine Sorgen, so ein Kerl bin ich nicht. Wie findest du meinen letzten Songentwurf?"
„Der ist richtig gut. Wie mir scheint, hat dir nur eine Muse gefehlt", sagt er grinsend.
„Warum bist du eigentlich hier?"
Carter seufzt leise. „Penelope und meine Wenigkeit sind zur Beachparty von einer ihrer Freundinnen eingeladen. Wir treffen uns in einer Stunde zwei Blocks von hier entfernt und da ich in der Nähe war und noch Zeit habe, dachte ich mir, schaue ich mal bei dir vorbei."
„Warum du nicht auf die Party gehen willst, kannst du mir gleich erzählen, doch zuerst muss ich kurz ..." Ich vollende den Satz nicht, sondern verschwinde in der Toilette, während er etwas Unverständiges grummelt.
Dort hole ich mein Smartphone heraus, um Vicky eine Nachricht zu schreiben.
Alex: Das hast du großartig gemacht. Du bist ein Naturtalent. Wie geht es dir jetzt?
Ihre Antwort kommt prompt.
Vicky: Mir gehts besser. Ich bin so froh, dass alles gut gelaufen ist.
„Alter, was machst du da drin so lange?"
Alex: Das glaube ich dir. Leg dich nach der ganzen Aufregung hin und schlaf dich aus. Gute Nacht, meine Schöne. Tippe ich schnell die Nachricht fertig, drücke auf Spülen und wasche mir zum Schein die Hände, ehe ich die Toilette wieder verlasse.

Liebe auf wackligen BeinenWhere stories live. Discover now