Kapitel 19

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Die Hände in die Hosentaschen gesteckt, laufe ich durch den Vorort Londons, in dem Vicky wohnt. Ihr Haus liegt schon seit einer Weile hinter mir. Vor Wut, Frustration und Trauer hätte ich jetzt gern etwas zerstört oder mir einen Drink genehmigt. Wenn mir in L.A. diese Gedanken kommen, Gegenstände kaputtzumachen oder meine Gefühle mit Alkohol zu betäuben, ziehe ich mich um und gehe Joggen oder Schwimmen, denn Sport hilft mir wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Doch da das im Moment nicht möglich ist, bleibt mir nichts anderes übrig, als einen Kieselstein wütend vor mich her zu kicken.
Was war mit Vicky los? Ich gestand ihr, was ich für sie empfinde, woraufhin sie mich küsste, aber dann sagte, dass das mit uns nicht geht. Andere Frauen träumten davon, mit mir zusammen zu sein, gerade weil ich ein Star bin und sie wies mich genau deswegen zurück. Da sie sich eben nicht wie viele andere Ladies aus einer Beziehung mit mir etwas erhoffte, habe ich mich in sie verliebt. Meinen Ex-Freundinnen hatte es immer gefallen, mit dem berühmten Alexander Black abgelichtet zu werden. Sie genossen die Aufmerksamkeit der Presse, da sie dadurch oft beruflich weiterkamen. Meine Highschool-Liebe hielt zwei Jahre, dann trennten wir uns, weil sie auf eine Universität nach Texas ging. Sie meinte, ich sollte aufhören zu träumen, endlich erwachsen werden, aufs College gehen und mich für einen Beruf entscheiden, mit dem ich mich und eine Familie ernähren könnte. Mit Bree, meiner zweiten Freundin, die ich bei einem Auftritt in einer Kneipe kennenlernte, machte ich schon nach ungefähr fünf Monaten Schluss, nachdem sie mich zum neunten oder zehnten Mal beschuldigte, sie zu betrügen. Danach folgten ein paar Affären, bis ich bei einer TV-Show Anastasia begegnete. Das blonde Model war über ein Jahr meine Freundin, vielleicht wären wir noch immer zusammen, wenn ich sie nicht mit einem Fotografen in flagranti erwischt hätte. Danach war ich einige Zeit Single, bis Charlotte mir auf einer Party auffiel. Sie war jung, wunderschön und klug. Wir wurden schnell ein Paar, bei dem alles gut lief, obwohl wir uns nicht so oft sahen. Nach drei Jahren war ich kurz davor, ihr einen Antrag zu machen, als sie zwei Tage, nachdem sie aus Paris wiederkam, beim Abendessen zu mir meinte, sie hätte jemanden kennengelernt, mit dem sie sich eine gemeinsame Zukunft vorstellen konnte, da er ein stabiles Einkommen hatte und dem Alkohol nicht so zugeneigt war, wie ich in den letzten Monaten. Sie verließ mich sowie das Restaurant, bevor das Essen kam. Vier Wochen später erwachte ich in einem Krankenhaus und begab mich danach in eine Entzugsklinik. Ob meine Ex-Freundinnen, die mit mir Schluss gemacht hatten, es irgendwann einmal bereut hatten, mich gehen gelassen zu haben? Wenn ja, dann nur wegen des Geldes und Ruhmes. Nicht mal Anastasias und Charlottes Verhalten hatten mich so verletzt wie Vickys Zurückweisung eben, obwohl wir nicht einmal zusammen gewesen sind. Wer hätte schon gedacht, dass ich hinter der Absperrung einer Filmpremiere eine Frau treffen würde, die mein Interesse wecken würde. Schon bei unserer ersten Begegnung hatte sie mich in ihren Bann gezogen. Seitdem spukt sie ständig in meinem Kopf herum. Es schien fast so, als hätte sie mich mit einem Zauber belegt.
Als eine Bahnhaltestelle in Sicht kommt, ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche, um nachzuschauen, welche Bahn mich zurück zum Hotel bringen könnte. Von Carter habe ich eine Nachricht und von Alice vier.
Carter: Können wir uns am Mittwochnachmittag bei dir treffen, um uns gegenseitig unsere Songentwürfe vorzustellen? Jamie und River kommen auch, wenn ihnen nicht wieder etwas dazwischen kommt.
Alex: Ja.
Bis dahin muss ich wenigstens einen Songtext aufs Papier bringen.
Alice: Seid ihr gut angekommen?
Alice: Wie gehts Victoria?
Alice: Ist bei dir alles in Ordnung?
Alice: Wo bist du?
Alex: In einer halben Stunde bin ich im Hotel und dann können wir zum Flughafen fahren.
Die Bahn, die ich brauche, hält auf der anderen Seite der Bahnschienen. Ich sprinte los und erreiche diese kurz, bevor sie abfährt. Schwer atmend lehne ich mich kurz an die Tür und schließe die Augen.
„Bist du Alex Black aus Uni L.A.?", schreckt mich plötzlich eine Mädchenstimme auf.
„Ja."
Sie ist vielleicht 14 oder 15 Jahre alt und winkt ihrer brünetten Freundin zu, die jetzt auf uns zukommt.
„Können wir ein Foto mit dir machen?", fragt das erste Mädchen.
„Ja, natürlich", erwidere ich lächelnd, obwohl mir nicht nach Lächeln zu Mute ist.
Die beiden stellen sich neben mich und strahlen in ihre Handykameras und machen zwei Selfies. Jede eins mit ihrem Smartphone.
„Danke", sagt die Zweite von ihnen schüchtern und entfernt sich mit ihrer Freundin wieder.
Die Bahn hält an, ich steige aus, ziehe mir die Kapuze tief ins Gesicht, um nicht erkannt zu werden, und mache mich mit der Hilfe von GoogleMaps auf den Weg zum Hotel. Mir kommen viele Menschen in dicken Wintermänteln und mit Schals entgegen, die mich komisch beäugen, was vermutlich daran liegt, dass ich trotz der Kälte über meinem schwarzen Hoodie nur eine dünne Jeansjacke trage. Zu meinem Glück taucht das Hotel, bevor mich jemand anspricht, auf der anderen Straßenseite auf.
In der Hotellobby ist es schön warm, aber das hebt meine Stimmung nicht. Den Blick nach unten gerichtet schlage ich die Kapuze zurück und habe den Fahrstuhl schon fast erreicht, als jemand meinen Namen ruft.
„Alex!" Alice sitzt in einem kleinen Sessel mit einer schwarzen Handtasche auf dem Schoß in der Hotellobby und winkt mir zu. Neben ihr steht ihr großer, pinker Koffer, auf dem eine dunkelgrüne Jacke liegt.
„Was ist passiert?", fragt sie, als ich bei ihr ankomme.
Man sieht mich selten bedrückt oder traurig, denn ich war eigentlich der typische Sonnyboy, der Fröhlichkeit und Gelassenheit ausstrahlt und fast immer ein Lächeln auf den Lippen hat.
„Man sagt einer Frau, dass man sich in sie verliebt hat und mit ihr zusammen sein wi ..."
„Endlich hast du es ihr gesagt. Jeder Blinde hat gemerkt, dass ihr was für einander empfindet. Und seid ihr jetzt zusammen?
„Nein, denn sie empfindet nichts für mich."
„Hat sie das gesagt? Komm, wir setzen uns dorthin. Nimmst du bitte meine Sachen mit?"
Alice steht auf und geht auf eine Couch und einen Sessel zu, die um einen kleinen Tisch herum stehen. Den Koffer stelle ich neben dem Sofa ab, auf das sie sich gesetzt hat und lasse mich in den Sessel fallen.
„Was hast du alles für zwei Tage eingepackt?"
„Alles, was eine Frau für diesen Zeitraum braucht. Was genau hat sie gesagt?"
„Sie sagte, dass mit uns ginge nicht, da ich in L.A. wohne und in der Öffentlichkeit stehe. Wahrscheinlich ist es besser so, denn schließlich sollte ich ein halbes Jahr nach meinem Rückfall keine Beziehung anfangen."
Ich wäre gern wütend auf sie gewesen, aber das kann ich einfach nicht sein. Eher bin ich auf mich sauer, weil ich Gefühle für sie entwickelt habe.
„Erstens heißt das nicht, dass sie nichts für dich empfindet, und zweitens weil sie dir gutgetan hat, ist es egal, was bei deinen AA-Treffs über Beziehungen gesagt wird. Erzähl jetzt genau, was passiert ist und zwar von Anfang an."
„Ich habe sie heute Nacht geküsst und sie hat den Kuss erwidert."
„Ihr habt doch nicht ..."
„Nein, Alice, wo denkst du hin. Ich würde nie die Lage einer betrunkenen Frau ausnutzen", unterbreche ich sie.
Sie sieht mich neugierig an, also erzähle ich weiter. „Ich habe mich von ihr gelöst und ihr gesagt, wir könnten morgen früh darüber reden. Die Nacht habe ich dann auf dem Klappsofa im Arbeitszimmer verbracht."
Meine gute Freundin und Kollegin beugt sich etwas vor und schaut mich auffordernd an.
„Irgendwie kamen wir vorhin auf ihre Großmutter zu sprechen und sie erzählte mir von ihr. Die Trauer über diesen Verlust überwältigte sie, also habe ich sie tröstend in den Arm genommen. Da ich nicht wusste, an was sie sich noch erinnerte, sagte ich ihr, dass ich mich in sie verliebt habe und mit ihr zusammen sein will. Anstatt etwas zu sagen, hat sie mich einfach geküsst. Das ist eine sehr schöne Form, um auf eine Liebeserklärung zu antworten. Doch dann hat sie sich plötzlich von mir losgemacht und gemeint, das mit ihr und mir ginge nicht. Daraufhin bin ich aufgestanden und gegangen", beende ich meine Erzählung.
„Hat sie noch irgendetwas gesagt?"
„Ja, sie meinte, wir würden keine richtige Beziehung führen können, da wir uns fast nie sehen würden."
Alice lehnt sich zurück und macht ein nachdenkliches Gesicht. „Sie hat aber nicht gesagt, dass sie nichts für dich empfindet, oder?"
„Nein, aber wenn sie überhaupt etwas für mich empfindet, dann nicht genug, um einer Fernbeziehung eine Chance zu geben, das haben ihre Worte klar gemacht."
„Verstehst du es denn nicht?"
Ich gucke Alice verständnislos an. Hatte ich etwas übersehen?
„Sie hat Angst davor, verletzt zu werden und vor dem, was die Presse über sie schreiben könnte. Als deine Freundin wird sie zwangsläufig in der Öffentlichkeit stehen. Du musst wissen, Greg und ich hatten am Anfang auch Probleme und wir beide sind Kompromisse eingegangen. Zum Beispiel erzähle ich bei Fernsehauftritten oder Interviews nicht viel über ihn und unsere Beziehung, damit unser Privatleben privat bleibt, denn das ist ihm sehr wichtig. Im Gegenzug hat er sich bereit erklärt, mich hin und wieder zu Veranstaltungen zu begleiten. Er hat uns zu Beginn nur zwei Monate gegeben und auch mal gesagt, er wäre nicht sicher gewesen, ob er mir das geben könnte, was ich gewohnt bin, in Bezug auf meinen Lebensstil, wie Schmuck, Kleider, Urlaube und Partys. Und was ist jetzt? Wir werden bald heiraten. Victoria ist nicht Greg, das weiß ich und sie hat auch andere Umstände, aber die Ängste und Befürchtungen sind wahrscheinlich dieselben."
Weiß sie von Vickys Geheimnis? Nein, das kann nicht sein, denn schließlich sagte mir die Autorin, ich dürfte es niemanden erzählen.
„Was meinst du mit anderen Umständen?"
„So wie ich Emma verstanden habe, wird Victoria immer auf einen Rollstuhl angewiesen sein und sicherlich hat sie Angst davor, wie deine Fans und die Öffentlichkeit darauf reagieren werden. Bestimmt befürchtet sie, nicht in deine Welt zu passen, da sie nicht reich und berühmt ist. Wahrscheinlich hatte sie es mit ihrer körperlichen Beeinträchtigung nicht immer einfach. Vielleicht ist sie sogar mal Opfer von Mobbing und Spott geworden. Sie vergleicht sich bestimmt wie die meisten Frauen, die ich kenne, mit den Ex-Freundinnen ihres potenziellen Partners. Ich habe mich auch mit Gregs Exen verglichen. Sie wird jetzt denken, sie wäre wirklich nicht gut genug für dich, da du abgehauen bist. Zumindest würde ich das an ihrer Stelle denken. Du wirst sie verlieren, wenn du nicht noch heute zu ihr gehst und ihr zeigst, dass du bereit bist, um sie zu kämpfen."
Denkt Vicky vielleicht wirklich, mich würde der Rollstuhl stören und sie sei nicht hübsch genug? Das könnte gut sein, denn meine Ex-Freundin war ein Model gewesen. Doch der Hauptgrund für ihre Zweifel ist das Rampenlicht, in dem sie als meine Partnerin über kurz oder lang stehen wird. Sie hat einen Künstlernamen angenommen und verkleidet sich, um von Paparazzi in Ruhe gelassen zu werden.
Sie will nicht auf ihre Behinderung reduziert werden, aber dabei tut sie das selbst, indem sie annimmt, dass andere es tun. Für mich gehört der Rollstuhl einfach zu ihr, genauso wie ihre graublauen Augen und ihr helles Lachen. Aus unseren Nachrichten weiß ich, wie hart sie trainiert, um so wenig wie möglich in ihrem Gefährt sitzen zu müssen. Sie hat ein großes Problem damit, auf den Rollstuhl angewiesen zu sein. Die meisten ihrer Mitmenschen stört diese Tatsache nicht, doch das sieht sie nicht. Mir hatte sie erzählt oder eher gesagt geschrieben, wie es zum Unfall gekommen war, der sie in den Rollstuhl brachte. Wenn man 16 Jahre lang ein normales Leben geführt hat, dann ist es sicherlich hart, wenn einem plötzlich körperliche Grenzen gesetzt sind und viele einen anders behandeln. Ich kann mir nicht vorstellen, wie schwer es ihr gefallen ist, mit alldem fertig zu werden.
„Trotz unseres Ruhms müssen wir um einige Sachen kämpfen, aber das vergessen wir schnell, da wir das meiste einfach so bekommen, weil wir berühmt sind. Uns fliegen die Herzen unserer Fans zu und wir werden von ihnen angebetet, aber Victoria ist kein Groupie, der sich dir an den Hals schmeißt und deshalb wirst du um sie kämpfen müssen."
Alice hat recht. Man gewöhnt sich viel zu schnell an das Leben als Star und daran, fast alles zu bekommen. Doch Vertrauen, Freundschaft, Gesundheit und Liebe kann man sich nicht kaufen.
Ich greife nach meinem Handy, um mir ein Taxi zu rufen, das mich zu Vicky bringen würde, damit ich ihr sagen kann, dass ich bereit bin, um sie zu kämpfen. Sie muss mir oder eher uns einfach eine Chance geben.
„Alice, kannst du mir bitte ein Taxi rufen, denn mein Handy ist mal wieder leer?", frage ich sie und zeige ihr mein Smartphone.
„Ja, ich rufe am besten gleich zwei. Eins für dich und eins für mich. Ich nehme an, du fliegst nicht mit mir zusammen zurück."
„Meinen Flug werde ich versuchen umzubuchen. Vielleicht ist ja in der nächsten Maschine noch ein Platz frei. Ich bin gleich wieder da, ich hole nur eben mein Gepäck", sage ich, stehe auf und nehme die Treppe, um schneller ins Zimmer zu kommen, da vor dem Aufzug drei Personen warten.
In meiner Suite angekommen packe ich die wenigen Sachen, die ich für zwei Tage mitgenommen habe, zusammen. Ich nehme wieder die Treppe, jetzt jedoch mit einem Rucksack auf den Rücken. Am Empfang checke ich aus, was vielleicht keine gute Idee ist, falls das mit Vicky nicht gut ausgeht. Aber ich setze alles auf eine Karte und wenn es schiefging, würde ich halt im Flughafen auf meinen Flug warten.
Ich trete nach draußen zu Alice, die auf unsere Taxis wartet.
„Du und Emma habt das zufällige Treffen in der Bar geplant, oder?"
„Ja, das haben wir. Ich habe gehofft, du würdest dir, wenn du Victoria siehst, endlich eingestehen, dass du dich in sie verliebt hast", sagt Alice unschuldig lächelnd.
Sie zu bitten, solche Aktionen sein zu lassen, würde nichts bringen, denn sobald sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, kann kaum jemand ihr Einhalt gebieten. Greg, ihr Verlobter, meinte mal, sie ist trotz ihrer geringen Körpergröße eine Naturgewalt und da muss ich ihm zustimmen.
„Alice, kann ich kurz dein Handy benutzen, um wegen der Umbuchung des Fluges bei der Fluggesellschaft anzurufen?"
In solchen Fällen ist es ganz praktisch, eine Versicherung zu haben, um Flüge auch kurzfristig stornieren oder umbuchen zu können, ohne den vollen Preis zahlen zu müssen.

Meinen Flug umzubuchen ist kein großes Problem gewesen. Ich habe jetzt ein Ticket für die nächste Maschine, die um 2:30 am am von London nach L.A. mit einem zweistündigen Zwischenstopp in der Stadt der Liebe abheben wird.

Unschlüssig stehe ich jetzt vor Vickys Haus. Alice Abschiedsworte kommen mir in den Sinn: „Du packst das schon und achte nicht nur darauf, was sie sagt, sondern auch, wie sie es sagt." Ich fühle mich gerade nicht so, als ob ich das schaffen würde.
Ich hatte mich heute Nacht gewundert, wie sie sich in ihrem Alter schon ein Haus leisten konnte, wenn sie nur für eine kleine Zeitschrift schreibt. Doch als Bestsellerautorin verdient sie sicherlich gut, auch wenn sie meinte, dass sie von den Bücherverkäufen nicht viel bekommt. Ich weiß, wie teuer es war, ein Haus zu bauen oder zu kaufen, denn für mein Haus in L.A., das nicht mal in einer teuren Gegend steht, habe ich eine ordentliche Summe hingeblättert.
Die Hände in die Hosentaschen gesteckt nähre ich mich der Haustür. Mein Blick schweift nach oben in den wolkenlosen Himmel. Die Sterne werden hier, wenn es vollständig dunkel ist, gut zu sehen sein. Wenn ich zu Hause die Sterne sehen will, muss ich zum Strand oder in die Berge gehen, da dort die Lichtverschmutzung nicht so ausgeprägt ist. Als Junge konnte ich aus meinem Zimmer immer gut den Nachthimmel betrachten. In Ellensburg waren die Nächte nicht so beleuchtet und laut gewesen wie in L.A..
Kaum bleibe ich vor der Haustür stehen, wird diese geöffnet.
„Alice hat mir geschrieben, du würdest kommen und da Vicky vorhin im Wohnzimmer eingenickt ist, habe ich dich abgefangen, damit du nicht klingelst und sie damit weckst", meint Emma auf meinen fragenden Blick hin.
Sie nimmt ihre Jacke vom Haken, zieht sie an, bindet sich den Schal um und schlüpft in ihre Stiefel. „Zeig ihr, dass Liebe etwas Schönes ist, und verletz sie ja nicht", sagt sie ernst und geht aus der Tür.
Ich sehe ihr kurz nach, aber sie dreht sich nicht noch einmal um. Leise betrete ich das Haus. Meinen Rucksack stelle ich im Flur ab und ziehe mir die Schuhe aus, denn ohne diese kann ich mich viel leiser fortbewegen. Meine Jacke hänge ich an die Garderobe und schleiche auf Socken ins Wohnzimmer.
Auf dem Sofa liegt Vicky mit geschlossenen Augen auf der Seite. Ihr Mund ist ein wenig offen und ihre Haare sind ziemlich durcheinander. Auf dem Couchtisch stehen zwei Tassen Tee, die schon kalt sind. Das Buch, das ich auf die Tischkante gelegt hatte, liegt immer noch da. Auf dem Fernseher ist ein Standbild von irgendeinem Film zu sehen.
Ich bringe die Teetassen in die Küche und spüle sie aus, bevor ich aus meinem Rucksack das Handyladekabel heraushole und es anschließe. Als das Smartphone angeht, sehe ich, dass Vicky mich angerufen hatte. Warum hat sie versucht, mich zu erreichen? Hat sie es sich doch anders überlegt?
Ich setze mich vor das Sofa, auf dem meine Liebste liegt. Was hatte Emma damit gemeint, ich solle ihr zeigen, dass Liebe etwas Schönes ist? Verband Vicky Liebe mit Schmerz, nachdem was auch immer ihr Ex-Freund ihr angetan hatte? Ich würde ihr nie absichtlich wehtun.
Vicky rümpft die Nase, da ihr eine Haarsträhne ins Gesicht gerutscht ist. Ich streiche ihr diese vorsichtig weg, woraufhin sie die Augen aufschlägt.
„Ich wollte dich nicht wecken", flüstere ich.
„Alex?" Sie sieht sehr überrascht aus und richtet sich auf. „Was machst du hier?"
„Dachtest du etwa, du wirst mich so schnell los?"
Sie schaut einen kurzen Moment betrübt zu Boden, bevor sie den Blick hebt und mir in die Augen sieht. „Alex ..."
Ich falle ihr ins Wort.
„Vicky, wenn du etwas für mich empfindest, dann gib uns eine Chance."
„Aber ..."
„Hast du dich in mich verliebt?"
Ich muss einfach wissen, ob sie dasselbe für mich empfindet wie ich für sie, wenn nicht, ist es egal, wie gut meine Argumente für eine Fernbeziehung sind, denn dann werde ich sie nicht umstimmen können.
Nach einer gefühlten Ewigkeit, doch es sind bestimmt nur, wenn überhaupt zwei Minuten vergangen, nickt sie und macht mich damit glücklich und zuversichtlich.
„Dann gib mir oder eher gesagt uns eine Chance." Ich stehe auf und setze mich neben sie aufs Sofa. „Ich weiß, dass du nicht in der Öffentlichkeit stehen willst und das wird auch nie einer von dir verlangen. Eine Fernbeziehung zu führen ist nicht leicht, das weiß ich. Aber wir haben uns ineinander verliebt und das, obwohl wir fast nur miteinander geschrieben und ein paarmal telefoniert haben. In Präsenz haben wir uns nur dreimal gesehen.
Die Beziehung von Alice und Greg hat auch als Fernbeziehung angefangen und jetzt heiraten die beiden im September. Ich verspreche, ich werde dir jeden Tag schreiben oder dich anrufen. Alice und Greg und andere Paare haben es auch so gemacht." Ich schaue ihr fest in die Augen und rede weiter. „Lass es uns versuchen, sonst bereuen wir es später. Ich möchte es lieber versucht haben und gescheitert sein, als mich mein restliches Leben zu fragen, was aus uns geworden wäre, wenn wir es probiert hätten. Oder willst du dir diese Frage immer wieder stellen?"
Sie beißt sich auf die Unterlippe und nickt zaghaft. „Ja, lass es uns versuchen."
Ich nehme ihr Gesicht in meine Hände und küsse sie liebevoll und sie erwidert den Kuss. Ich habe vor, es langsam anzugehen, deshalb unterbreche ich unser Rumgeknutsche nach einer Weile, schlinge meine Arme um sie und drücke sie an mich.

Liebe auf wackligen BeinenWhere stories live. Discover now