Kapitel 15

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„Er droht mir damit, meinen Vertrag aufzulösen", sage ich zu Emma und nehme einen großen Schluck von meinem Cocktail.
„Vielleicht hättest du seine Anrufe nicht ignorieren sollen, dann hätte er dir nicht mit einer Kündigung gedroht und dir wahrscheinlich auch kein Telefoninterview aufgezwungen", meint meine beste Freundin, die neben mir an der Bar sitzt.
Ich denke noch mal an die Mail zurück, die ich heute erhalten habe.

Sehr geehrte Frau Doe,

da Sie meine Anrufe ignorieren, entschuldige ich mich in dieser Form für mein Verhalten bei unserem letzten Meeting und teile Ihnen auf diesen Weg mit, dass ich für Sie ein Telefoninterview in einer amerikanischen Talkshow organisiert habe. Das Interview ist am 24. April. Teilen Sie uns am Montag mit, ob Sie den Termin wahrnehmen oder nicht? Sollten Sie sich dagegen entscheiden, sehen wir uns gezwungen ihren Autorenvertrag zu kündigen.

Bitte überlegen Sie sich das mit der Lesereise und den Fernsehauftritten noch einmal. Diese Maßnahmen würden helfen, Ihre Bücher noch besser zu verkaufen und uns zeigen, dass Sie an einer Zusammenarbeit mit uns auch weiterhin interessiert sind.

Ich bedaure es sehr, solche Maßnahmen ergreifen zu müssen, aber Sie lassen mir keine andere Wahl.

Zwei Wochen nachdem der vierte Teil über Olivia und Nathan erschienen war, hatte ich ein Online-Meeting mit Mr. Wood gehabt. Am Anfang lief alles gut, er berichtete mir, wie gut das neue Buch ankam. Es war wie die drei Teile davor dabei ein Bestseller zu werden. Ich erzählte ihn kurz, wie ich mit meinem Krimi vorankam. Bis dahin war alles gut gelaufen, bis er mit Lesereisen und öffentlichen Auftritten anfing. Woraufhin ich ihm ganz klar sagte, dass ich das nicht machen würde und ich diese Maßnahmen für überflüssig hielt. Er schlug dann vor, jemanden zu beauftragen, der sich für mich ausgab. Ich lehnte diese Idee ab, weil ich meine Fans nicht hinters Licht führen wollte. Außerdem würde ich meine Glaubwürdigkeit verlieren, wenn so etwas rauskäme. Lügen kamen immer raus, das weiß ich nur zu gut. Er war daraufhin sehr ungehalten geworden. Ich war so gut es ging ruhig geblieben, bis er sagte, dass ich die Bücher gar nicht allein schrieb und den Ruhm nicht teilen wollte. An diesem Punkt hatte ich den Laptop einfach ausgemacht und so das Meeting beendet.
In den darauffolgenden Tagen hatten sowohl meine Lektorin als auch Mr. Wood mich auf meinem Zweithandy, dessen Nummer nur der Verlag hat, angerufen, aber ich war wütend gewesen und hatte nicht streiten wollen und war deswegen nicht rangegangen. Wahrscheinlich hat Emma recht. Wäre ich ran gegangen, würde Mr. Wood mir vielleicht jetzt nicht mit einer Auflösung meines Vertrags drohen.
„Du hast höchstwahrscheinlich recht." Seufzend nehme ich noch einen großen Schluck von meinem Long Island Ice Tea.
„Warum suchst du dir keinen anderen Verlag?", schlägt Emma vor und nippt an ihrer Cola.
„Ich werde es nie schaffen, so gute Konditionen auszuhandeln, und so hohe Vorschüsse bekomme ich bei einem anderen nie im Leben. Außerdem ist das einer der größten Verlage in England. Ich habe keine Wahl, ich werde mich fügen müssen", sage ich, seufze ein weiteres Mal tief und leere mein Glas.
„Sich mit Cocktails zu besaufen dauert lange." Meine beste Freundin grinst breit und deutet auf das leere Glas.
Emma hat mich dazu gebracht, mit ihr in eine Kneipe zu gehen, denn sie hatte gemeint, ein wenig Ablenkung würde mir guttun. Ich hatte zugestimmt, weil ich gedacht habe, es würde mir helfen, auf andere Gedanken zu kommen, aber hier an der Bar zu sitzen half mir überhaupt nicht.
„Ich weiß und außerdem wird es ziemlich teuer, wenn man sich mit Cocktails besaufen will." Mit einem Handzeichen mache ich den Barkeeper auf mich aufmerksam.  „Ich hätte gern zwei Wodka Shots", sage ich zu ihm, als er sich zu mir herüberbeugt. Ich lehne mich etwas zurück, denn ich mag es gar nicht, wenn Fremde mir so nahe kommen, vor allem, wenn es Männer sind.
Der blonde Barkeeper sieht mich zwar zweifelnd an, stellt mir aber, ohne ein Wort zu sagen zwei Wodka Shots hin. Er denkt bestimmt, ich wäre schon betrunken, weil ich nur mit Emmas Hilfe auf den Barhocker heraufgekommen bin.
„Vicky, wenn du die trinkst, lasse ich dich nicht mehr fahren." Meine beste Freundin setzt eine sehr ernste Miene auf.
„Ich habe auch nicht vor, mich angetrunken hinters Steuer zu setzen. Falls du nachher noch nüchtern bist, kannst du mich nach Hause fahren. Du weißt ja, wie man den Handbetrieb ausschaltet und dann wieder mit dem Fuß Gas geben und bremsen kann und wenn du auch nicht mehr fahren kannst, ruf ich uns halt ein Taxi", sage ich,  kippe den ersten Shot hinunter und fange an zu husten, da ich sehr selten etwas Hochprozentiges trinke.  Der Barkeeper, der den nächsten Gast bedient, der vier Stühle links von uns sitzt, sieht mich grinsend an, während er den Drink für die Frau mixt, als ich anfange zu husten.
Als ich den Führerschein gemacht hatte, war das Gefühl in meinen Beinen noch gestört gewesen und so hatte ich gelernt, mit einem umgebauten Auto zu fahren. Ich konnte mit dem Lenkrad das Gas und die Bremse bedienen. Später konnte ich mir mit einem Zuschuss von meinem Vater ein Auto kaufen und es umbauen lassen.
Emma steht auf, zeigt mit dem Kopf zu Toilette und geht. Ich starre vor mich hin auf mein Glas und merke nicht einmal, wie jemand neben mich an die Bar tritt.
„Vicky, bist du es?"
Ich sehe auf und verfluche den heutigen Tag. Felix steht neben mir und wartet auf den Barkeeper, um sich etwas zu trinken, zu bestellen.
„Hallo Felix", sage ich emotionslos und eiskalt.
Seine dunklen Haare, die von einzelnen grauen Strähnen durchzogen sind, trägt er an den Seiten kurz und oben etwas länger. Er hat einen dunkelgrünen Pullover an. Die letzten neun Jahre waren nicht spurlos an ihm vorbeigegangen, denn er sieht älter aus, als er ist.
Er sieht mich von oben bis unten an. Diese Musterung ist mir unangenehm, da er mich mit seinen Augen auszieht. Für viele Männer wie meinen Ex sind Frauen nur für das eine gut.
„Wie lange haben wir uns nicht mehr gesehen?"
„Das letzte Mal haben wir uns auf der Abschlussfeier gesehen", erwidere ich teilnahmslos.
Wir haben uns seit dem Abschluss nicht mehr gesehen und wenn es nach mir gegangen wäre, hätten wir uns nie wieder begegnen müssen. Ich war ihm und Jessi die restliche Schulzeit, als ich wieder die Schule besuchen konnte, aus dem Weg gegangen. Mit den beiden hatte ich abgeschlossen, nachdem sie damals das Krankenhauszimmer verlassen hatten. Wegen ihnen fällt es mir bis heute schwer, anderen zu vertrauen.
Am liebsten wäre ich gegangen, aber da ich nicht weiß, ob ich allein und ohne zu stürzen vom Barhocker runterkomme, bleibe ich lieber sitzen und wechsele noch ein paar Worte mit ihm, als zu versuchen, abzusteigen und ihm dabei vor die Füße zu fallen.
„Wie geht es dir? Du siehst gut aus. Was machst du so?"
„Mir geht es gut. Ich schreibe für eine Zeitschrift."
Kann der Barkeeper nicht schneller zu uns kommen und seine Bestellung aufnehmen, damit er wieder geht und mich in Ruhe lässt.
„Interessant. Früher glaube ich, wolltest du Projektmanagerin werden."
Zugehört hatte er mir damals wohl überhaupt nicht, denn sonst wüsste er, dass ich Ärztin hatte werden wollen und nur BWL studieren gegangen wäre, um in seiner Nähe zu sein. Ich verstand nicht, was ich früher an ihm gefunden hatte und wieso ich mit ihm zusammen gewesen war. Wirklich geliebt hatte ich ihn, glaube ich nie. Ich hatte mich eher in das Traumbild eines ehrlichen, wahrheitsliebenden, gerechten, klugen und gut aussehenden Mannes verliebt, das er zu verkörpern schien. Bis ich erkannte, wie egal ihm diese Werte waren, denn mich hatte er nach Strich und Faden belogen. Wäre ich mit ihm zusammen geblieben, hätte ich jetzt bestimmt schon zwei Kinder und wäre mit einem Mann verheiratet, der mich betrog und sich nicht für mich interessierte.
Ein gutes hat der Unfall gehabt, er ließ mich erkennen, von wie vielen falschen Freunden ich umgeben war und durch ihn bin ich zum Schreiben gekommen. Nur dank dieses Schicksalsschlags habe ich einen Beruf gefunden, der mir Freude macht und mit dem ich gut verdiene.
„Manchmal macht man eben etwas völlig anderes, als man gedacht hat."
„Bei mir ist zum Glück alles nach Plan gelaufen. Ich bin Anwalt geworden und habe sogar eine eigene Kanzlei, die ziemlich gut läuft."
War er immer schon so arrogant gewesen? Sein verschlagener Blick jagt mir einem kalten Schauer über den Rücken.
Der Barkeeper kommt zu uns und Felix sagt etwas zu ihm, aber ich höre nicht zu, sondern sehe mich nach Emma um. Sie kann doch nicht so lange auf Toilette sein, oder? Wo steckt sie bloß?
„Was hältst du davon, dich zu mir und meinen Freunden zu gesellen?", fragt mein Ex, stupst mich an und zeigt auf einen Tisch, an dem drei Frauen und zwei Männer sitzen und sich angeregt unterhalten. Lieber würde ich von einem Hochhaus springen oder Spülwasser trinken, als eine Sekunde länger in seiner Nähe zu sein.
Plötzlich spüre ich, wie jemand von hinten die Hände um mich schlingt und zucke leicht zusammen.

Liebe auf wackligen BeinenWhere stories live. Discover now