Kapitel 29

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Unter dem wütenden Blick von Ricardo Vasquez bringe ich kein Wort heraus. In einem Manga würden aus seinen Augen jetzt Laserstrahlen kommen, die mich im Flammen hätten aufgehen lassen. Da an seiner Stirn eine Ader hervorgetreten ist, muss sein Blutdruck gerade ziemlich hoch sein. So schnell wie er aus der Haut fährt, stirbt er irgendwann bestimmt an einem Herzinfarkt.
Ich weiß wirklich nicht, was er gegen mich hat. Es kann doch nicht nur daran liegen, dass ich eigentlich hier nichts zu suchen habe und von Beruf Journalistin bin, oder? Vielleicht kennen wir uns ja von irgendwoher. Ich sehe ihn mir genauer an, doch an einen Mann mit einem gezwirbelten schwarzen Schnurrbart, der nur einen Kopf größer ist als ich, würde ich mich erinnern.
„Rick, wonach sieht es denn aus?", fragt Emily ruhig.
„Dass sie einen meiner Schauspieler schminkt und das, obwohl sie nur eine Besucherin ist und daher nicht Hand an meine Schauspieler legen darf", sagt Ricardo in einem schneidenden Tonfall.
„Deine Schauspieler sollen doch schnell fertig sein, oder?"
„Natürlich", fährt er die Make-up-Artistin an und tritt zwei Schritte zurück, woraufhin ich erleichtert ausatme.
Er lässt seinen Blick durch den Raum schweifen, in dem mittlerweile vier Leute in Abendgarderobe stehen. Ich sehe mich nach Alex um, kann ihn jedoch nirgends entdecken. Er zieht sich bestimmt gerade um. Warum muss er ausgerechnet jetzt, wo ich ihn brauche, nicht da sein? Vorhin in der Tiefgarage des Hotels bin ich nur so ruhig geblieben, weil er an meiner Seite war. Wenn er bei mir ist, habe ich seltsamer Weise vor nichts Angst. Doch nun, ohne ihn in Ricardos Herrschaftsgebiet, traue ich mich nicht, irgendetwas zu sagen. Er muss nur die Produzenten anrufen, die er sicherlich auf der Kurzwahltaste hat, um mich von den Sets zu verbannen und meinen Aufenthalt in Irland damit zwecklos zu machen. Wenn ich im Hotel bleiben muss, dann kann ich auch gleich wieder zurück nach London fliegen, weil Alex und ich uns kaum sehen würden.
Unter den Wartenden ist auch die Blondine, die auf der Fahrt hierher auf dem Beifahrersitz gesessen hatte. Sie trägt ein bodenlanges grünes Abendkleid mit einer schwarzen Stola. Irgendwoher kenne ich sie, aber mir fällt im Moment nicht ein, woher. Natürlich kommen mir viele Gesichter hier bekannt vor, denn es sind alles Stars.
„Wo ist Peggy?"
„Peggy hast du frei gegeben, da sie einen Trauerfall in der Familie hat", antwortet Emily gelassen. Mir macht es etwas Angst, dass sie so ruhig bleibt. Denn das kommt mir so vor, als ob das die Ruhe vor dem Sturm ist. Da sie vorhin ziemlich wütend darüber war, die einzige Make-up-Artistin heute zu sein, würde es mich nicht wundern, wenn sie den Regisseur gleich anschreit und kündigt.
„Wo ist eigentlich Jacqueline?"
„Sie hat sich vor zwei Stunden krankgemeldet", sagt Ricardo und massiert sich stirnrunzelnd die Nasenwurzel.
„Sie ist krank und du hast für keinen Ersatz gesorgt", fährt Emily ihn empört an.
„Wo soll ich so kurzfristig jemanden herbekommen?"
„Wenn ich, wie es scheint, ganz allein in der Maske bin, werden wir einen Tag wenn nicht mehr verlieren, denn bei den heutigen Szenen brauche ich definitiv jemanden, der mir hilft. Du willst doch den Zeitplan einhalten, oder?" Mit ihrem schwarzen Plateauschuhen, die wunderbar zu der schwarzen Jeans und der Bluse in Leopardenoptik passen, ist sie so groß wie ihr Chef. Sie wartet seine Antwort gar nicht ab, sondern sieht ihm fest in die Augen und zeigt auf mich. „Lass sie mir zur Hand gehen. Von der Crew hat mir keiner seine Hilfe angeboten, aber sie, die als Gast hier ist, tat es sofort."
„Aber ..." Emily unterbricht ihn.
„Willst du den Produzenten erklären, warum wir einen oder zwei Tage verloren haben und der Film damit am Ende ein paar hunderttausend Dollar mehr kostet?" Sie streicht sich energisch eine Haarsträhne, die sich aus ihrem strengen Dutt gelöst hat, aus dem Gesicht und stemmt die Hände in die Hüften.
„Ok, sie kann dir heute ausnahmsweise zur Hand gehen und bis morgen werde ich Ersatz gefunden haben." Ricardo stößt einen tiefen Seufzer aus und wirft mir einen Blick zu, der klar macht, dass er mich im Auge behalten wird.
„Sobald du mit Mia fertig bist, kümmere dich bitte um Elisabeth und danach um Brian", sagt er, bevor er sich umdreht und den Raum verlässt.
Ich sehe dankend zu Emily, diese lächelt mir kurz zu und wendet sich danach Mia zu, bei der sie noch ein paar Strähnen feststecken muss. Mit der Haargeltube, die ich immer noch in der linken Hand halte und die ich erstaunlicherweise vor Schreck nicht fallen gelassen habe, drehe ich mich zu Ryan um.
Ich versuche seine Haare so hinzubekommen wie auf dem Foto, das Alice mir vorhin gezeigt hatte. Apropos Alice, wo war sie hin? Hat sie sich etwa vor dem Wutausbruch des Regisseurs in Sicherheit gebracht? Nachvollziehbar wäre das auf jeden Fall. Ich wäre auch am liebsten weggelaufen, wenn er sich nicht vor mir aufgebaut hätte und ich rennen könnte.
„Emily, geht das so?", frage ich und trete einen Schritt zurück.
Die Angesprochene sieht kurz vom Gesicht der Blondine mit dem grünen Kleid auf, die sie gerade schminkt. „Ja. Kümmere dich jetzt bitte um Brian."
Ich nicke und wische mir die Hände an einem Papiertaschentuch ab, das bis vor einer Minute noch in Ryans Kragen gesteckt hatte.
Ein Mann um die 50 in einem dreiteiligen schwarzen Anzug, einem weißen Hemd und einer grünen Krawatte kommt auf mich zu. Mir fällt partout nicht ein, aus welchem Film außer Uni L.A. ich ihn kenne
„Ich bin Brian Smith", stellt er sich vor und reicht mir lächelnd die Hand, bevor er auf dem Stuhl vor mir Platz nimmt. „Du bist die Freundin von Alex, oder?"
„Ja, die bin ich. Mein Name ist Victoria." Ob alle, die am Film mitarbeiten, wissen, dass ich die Freundin von Alex bin? Nach dem Auftritt in der Tiefgarage kann ich sicherlich davon ausgehen.
„Dann bist du die Frau, die meinen Jungen glücklich macht."
„Brian, du tust gerade so, als ob Alex wirklich dein Sohn wäre", sagt die Blondine, die wohl Elisabeth ist.
„Ich bin eben schon ganz in meiner Rolle", meint er nur und hält still.
Plötzlich fällt mir ein, woher ich Brian kenne. Er hatte Mitte der 90er in einer Sitcom mitgespielt, dessen Name mir entfallen ist.

Liebe auf wackligen BeinenWhere stories live. Discover now