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Atef wuchtete gerade Steinbrocken vom kleinen Feld hinter seiner Hütte, als Cosima angerollt kam. Er sah nicht auf, hörte nur das poltern der Reifen ihres Rollstuhls auf dem Kopfsteinpflaster.

In seinen dünnen Armen spannten sich alle Sehnen, als er einen weiteren Brocken aufhob. Atef spürte, wie seine Kräfte nachliesen und sein Körper jeglichen Energievorrat verlor. Seit Wochen aß er nicht mehr, schlief nur noch wenig. Die Angst vor seinem Einsatz als Soldat, als menschliche Zielscheibe verlangte ihm zu viel ab. Auch von seiner rätselhaften Krankheit vor einiger Zeit war er noch recht kaputt. Es war nicht schlimm, aber die Symptome, ähnlich einer Grippe, vermischten sich und kame immer wieder. Bereits seit 7 Jahren.

Cosima legte ihrem besten Freund die Hand auf die Schulter und spürte die spitzen Knochen unter ihrer Handfläche. Atef sah auf. Sein Blick war so gebrochen, als würden sie einander schon morgen verlieren, nicht in einem Monat.

~Einem Monat~

~Einem Monat~

~Einem Monat~

Cosima schüttelte verärgert über ihre eigenen Gedanken den Kopf. Daran durfte sie jetzt auf keinen Fall denken.

Als könnte er Gedankenlesen äußerte sich Atef neben ihr: "Wir hatten eine schöne lange Zeit gemeinsam." Cosi nickte nur. Lang? Was war im Leben schon lang? Das ganze Leben war kurz. Zu kurz, um wirklich gelebt zu haben, wie sie manchmal fand. Manchmal? Manchmal war die ganze Zeitspanne zwischen jetzt und dem Tag, dem verhängnisvollen Tag, an dem ihr bester Freund und Blutsbruder in den Kriegsdienst gewiesen worden war. Cosima erwachte aus ihrer Trance.

"Ich muss dir was zeigen", sagte sie und schob mit den Händen an ihren Reifen. Sie steckte im Schlamm fest und Atef musste Anschieben. Aber er schob sie auch noch weiter, als sie schon aus dem Loch herausgerollt waren. Wie selbstverständlich.

Die Beiden waren ein gutes Team: Atef schob den eisernen Rollstuhl vorsichtig über die schlechte Straße und Cosi sagte ihm, wohin sie mussten. Rechts, Links, Weiter, bis sie schließlich am Ende des Dorfes waren. Es begann zu tröpfeln.

Vali saß einsam hinter einem Baum. Die ersten kühlen Regentropfen rannen ihre langen Haare hinunter, sodass sie ihr in Strähnen am Kopf klebten. "Du bist wohl genauso traurig wie ich", flüsterte sie zum Himmel und ihre eigenen Tränen vermischten sich mit den Regentropfen und flossen gemeinsam ihr dunkles Gesicht hinunter.

Vali öffnete ihre Hand und ließ die Regentropfen auf ein silbernes Kettchen fallen. Plitsch, Plitsch, Wasser sammelte sich auf dem Anhänger und ließ den Schriftzug untergehen.

-YOSHUA-

Mit zittrigen Fingern zog Valeria das kleine Medaillon von der Kette ab und fädelte es vorsichtig auf ein Lederband, an dem schon ein hölzernes Kreuzchen hing und band es sich um den Hals. Die Anhänger ließ sie in ihrer zu großen Bluse verschwinden.

Vali klappte den Kragen hoch, schlang die dünnen Arme um ihren Oberkörper und lief nach Hause. Der fast schon komplett nasse Rock schlenkerte ihr um die Beine und sie strauchelte. Beinahe sehnsüchtig wartete sie auf die Hand ihres kleinen Bruders, der ihr aufhilft, lacht, und sie dann umarmt. Aber da war kein kleiner Bruder mehr, so saß sie lediglich eine Weile unentschlossen auf dem Boden und der Regen prasselte angenehm kühl auf sie nieder.

Als sich die ersten Pfützen bildeten hatten Atef und Cosima bereits den Waldrand erreicht und Cosi

Deutete Atef, er soll loslassen. Zielsicher steuerte sie durch den Wald. Oben auf einer Anhöhe blieb sie stehen, drehte sich verschmitzt zu ihrem besten Freund um, lachte einmal laut auf, lockerte die Bremse und rollte auf eine Felswand zu.

Was tat sie da?! "Stopp! Cooosi!", rief Atef laut und rannte hinter ihr her, immer schneller und schneller. Die Wand kam immer näher und er bekam den Rollstuhl nicht zu fassen. Plötzlich stieß Cosima sich mit den Händen aus ihrhem Sitz und flog... einfach durch den Stein hindurch!

Vor Erstaunen stolperte Atef und stürzte durch ein Flechtengewebe in eine Höhle.

Drei ist mehr als nichtsWhere stories live. Discover now