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Was für ein Idiot.

Meine Gedanken rotierten, während ich bestimmt fünf geschlagene Minuten auf die vier Buchstaben am Ende des Textes starrte und keine Ahnung hatte, was ich davon halten sollte. E. N. D. E.

Das sollte es also gewesen sein?

Dabei hatte es so viele Möglichkeiten gegeben, in eine andere Richtung abzubiegen. Ich verstand es nicht.

Mit gerunzelter Stirn scrollte ich auf meinem Handy im Text ein Stück zurück und las noch einmal die letzten Zeilen. „Lina, Süße, jetzt warte!"

Ja, hätte sie mal gewartet. Dann hätte Elias ihr sicher alles irgendwie erklärt und es hätte ein Happy End gegeben.

„Du verstehst das vollkommen falsch."

Ganz bestimmt hatte er eine plausible Erklärung, wieso dieses Mädchen von seiner Couch geplumpst war, OBWOHL er ihr nie etwas versprochen hatte.

Ach, verdammt.

Diese Geschichte hatte so viel Potential, dass Lina es schaffen würde, den Badboy Elias Winter zu zähmen, ihn vollkommen von sich zu überzeugen und beide sich am Ende finden und glücklich sein könnten. Nur leider hatte die Autorin anderes im Sinn. Sad End. Wer mochte schon solche enden? Ich nicht.

Kurzerhand öffnete ich das Kommentarfeld und schrieb: „Dein ernst? OMG. Wieso läuft er ihr nicht hinterher? Wieso lässt sie ihn gehen? Ich bin sprachlos. Jen, das kannst du nicht machen. Diese Geschichte darf so nicht enden."

Damit schloss ich die Geschichte in der App und klickte auf eine meiner anderen Storys mit meinen absolut liebsten Bookboyfriends. Josh von Teresia. David von Anna. Atlas von Melissa. Oder Cole von Annie und auch Leo von Jen. Alle waren perfekter als Elias Winter von eben derselben Jen.

Ich ließ mich zurück in mein Kissen sinken, zog die Beine an und begann ein Reread meines Lieblings-Wattpad-Buches, um dieses beschissene Ende zu vergessen. Ganz sicher würde ich auch diese Geschichte noch einmal lesen, aber ich brauchte erstmal ein bisschen Abstand zu Elias und seinem Riesen-Ego, seiner Überheblichkeit und der Erkenntnis, dass er nicht zu ändern war. Der typische Wattpad-Badboy eben. Danke Jen.

Wie lange ich in den Abgründen anderer Protagonisten versunken gewesen war, wusste ich nicht mehr, aber irgendwann ploppte eine neue ungelesene Nachricht in meinem Postfach auf. Natürlich klickte ich sofort darauf. Eine Antwort von Jen.

„Elias und Lina werden ihr Happy End wohl nicht bekommen. Dafür sind sie nicht bestimmt. Sorry."

Schnaubend schloss ich die App. Für heute hatte ich genug. Ich warf mein Handy auf meinen Nachtschrank und verließ mein Zimmer, um mir etwas zu essen zu besorgen. In der Küche öffnete ich den Kühlschrank und starrte mehrere Sekunden hinein, ohne wirklich wahrzunehmen, was sich darin befand. Dann griff ich nach dem Käse, öffnete die Packung und rollte eine Scheibe auf, um sie mir in den Mund zu schieben. Dazu nahm ich mir einen Schokoriegel aus dem obersten Fach, schmiss die Tür wieder zu und machte mich auf den Weg zurück in mein Zimmer. Auf der Treppe kam mir meine Mutter entgegen, die Teller, Gläser und zwei leere Flaschen Wasser auf den Händen balancierte. „Sophie", stöhnte sie. „Wenn du schon runtergehst, könntest du wenigstens dein Geschirr mitnehmen."

„Ja."

Sie blieb mir gegenüberstehen und versperrte mir den Weg. Mit hochgezogenen Augenbrauen sah sie mich an. „Ja, und?"

Ich grinste. „Nächstes Mal."

Seufzend warf sie den Kopf in den Nacken.

„Und überhaupt, was machst du eigentlich in meinem Zimmer?", fragte ich und reckte ihr herausfordernd das Kinn entgegen.

„Verhindern, dass du diverse Haustiere züchtest."

Damit zuckte ich gelassen mit den Schultern. „Dann kann ich auch nichts machen. Ich hätte schon noch alles zurück in die Küche geräumt, Mutti."

„Ja, nächstes Mal", äffte sie mich nach. „Wie immer." Sie stapfte leise vor sich hinmurmelnd an mir vorbei. Ich nahm das zum Anlass, ebenfalls zurück in mein Zimmer zu laufen und mich aufs Bett zu schmeißen. Kurz dachte ich daran, mein Handy vom Nachtschrank zu fischen und weiterzulesen, verwarf das aber gleich wieder. Stattdessen nahm ich mir meinen Zeichenblock aus der Schublade und griff nach dem Bleistift, der daneben gelegen hatte. Im Schneidersitz begann ich zu zeichnen. Zwei dunkle Augen, eine gerade Nase, ein markantes Kinn mit einer definierten Jawline und verstrubbelte Haare.

Ja, genau so stellte ich ihn mir vor.

Nachdenklich biss ich mir auf die Lippen und betrachtete das Bild, das ich gerade entworfen hatte. Ich blätterte um und malte kurz entschlossen ein weiteres. Die Silhouette eines Paares, zwei Menschen, die sich auf einer einsamen Straße gegenüberstanden, sich an den Händen hielten und Abschied nahmen. Und schließlich skizzierte ich eine weitere Szene, die ein Liebespaar zeigte, das sich in den Armen hielt und küsste. Wenn die Autorin nicht für ein Happy End sorgte, würde ich das anhand meiner Zeichnungen machen, dachte ich.


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759 Wörter

What if ...Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt