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„Sis!"

„Lass mich in Ruhe, Mila." Ich zog die Decke über den Kopf und hoffte, sie würde einfach wieder aus dem Zimmer verschwinden. Tat sie aber nicht.

Stattdessen hörte ich ihre Schritte und spürte dann, wie sie sich neben mich aufs Bett schmiss. Unwillkürlich versteifte ich mich und wollte einfach nur allein sein. Ich hatte mal wieder schlecht geschlafen, fühlte mich grummelig und nicht bereit. Alles in mir sträubte sich dagegen, mich diesem Tag stellen zu müssen. Also drehte ich mich von ihr weg, aber meine Schwester legte sich einfach hinter mich und tastete unter der Decke nach meiner Hand. Dann rutschte sie an meinen Rücken heran und umarmte mich von hinten.

„Happy Birthday, Sis. Ich habe dich lieb!", flüsterte Mila in mein Ohr.

Mich durchfuhr ein eisiger Schauer. Sie hatte recht, es war mein Geburtstag, und ich hasste diesen Tag. „Lass mich einfach in Ruhe", stöhnte ich.

„Das kommt gar nicht in Frage", widersprach Mila und drückte meine Schulter. „Ich habe dich die letzten Wochen in Ruhe gelassen. Ich meine, ich verstehe, dass du Menschen hasst und dich lieber in deinem Bett verkriechst, aber ..."

„Mila ..."

„Ich akzeptiere dein Verhalten, auch wenn ich mir Sorgen um deine Social Skills mache, Sis."

„Bitte geh einfach ..."

„Nein. Heute ist dein siebzehnter Geburtstag." Mila beugte sich vor und drückte mir einen Kuss auf die Wange. „Und das wird gefeiert. Man wird schließlich nur einmal siebzehn."

„Nächstes Jahr habe ich aber auch schon wieder Geburtstag", murmelte ich.

„Jetzt sei nicht so." Mila tätschelte mir wieder über die Schulter. „Ich weiß, du bist ein Büchermädchen, Sis. Du willst eigentlich nur mit deinen Freunden aus deinen Büchern feiern, dich in deiner Fantasie irgendwelchen heißen Typen aus irgendwelchen Geschichten hingeben und dort bleiben und eine coole, fantastische Zeit haben, aber ich verrate dir etwas: Dieser Tag kommt niemals wieder."

Ich gab ein verzweifeltes Geräusch von mir und drehte mich dann langsam zu meiner Schwester.

Warm lächelte sie mich an. „So ist gut. Das Real-Life hat so viel mehr zu bieten, glaub mir." Sie zwinkerte spitzbübisch. Eine Weile sahen wir uns schweigend an, und ich musste unwillkürlich daran denken, wie reif sie für ihre fünfzehn Jahre war. Mit keinem von meinen Geschwistern hatte ich eine solche Verbindung wie zu Mila, was vielleicht auch daran lag, dass ich das Älteste von vier Kindern war. Linus mit seinen zwölf Jahren hatte nur Fußball und Spielekonsole im Kopf und nervte mit seinen Jungs, wenn die bei uns zu Besuch waren. Und meine jüngste Schwester Juna war erst zehn und befand sich gerade in einer schwierigen Phase mit ihren vorpubertären Anwandlungen. Auf mich hörte sie eigentlich nie und zickte häufig rum.

Schließlich wurde Milas Gesichtsausdruck ernst. „Okay, Sophie. Ich sag dir was: Du machst dich jetzt frisch, ziehst dir was Schickes an, und dann kommst du in die Küche", befahl sie. „Wir warten schon alle auf dich."

Ich stöhnte.

„Keine Widerrede." Mila gab mir noch einen Kuss auf die Wange, stand auf und ließ mich allein. Natürlich nicht, ohne sich noch einmal umzudrehen und mir mit einem breiten Grinsen zu versichern: „Das wird ein fantastischer Tag."

Einen kurzen Moment dachte ich ernsthaft darüber nach, einfach liegenzubleiben, aber sie würde sicher wiederkommen und darauf bestehen, dass ich endlich aufstehen und mich zurecht machen musste. Es nützte nichts. Ich hatte heute Geburtstag.

Yeahaaa!

Achtung, Sarkasmus.

Doch dann blieb ich doch noch ein paar Sekunden liegen und horchte in mich hinein, um herauszufinden, ob ich mich anders fühlte. Ein neues Lebensjahr, aber ich fühlte mich nicht besser oder glücklicher. Egal, was Mila sagte, ich wollte nicht aufstehen.

Vorsichtig tastete ich nach meinem Handy und zog es vom Nachtschrank. Mein bester Freund Luca hatte mir eine Nachricht geschrieben.


Luca:

Hey Sophie,

check this out: Happy 17!

Guck nach draußen und hab einen grandiosen Geburtstag.

Lu


Still grinste ich in mich hinein und öffnete dann die Wattpad-App, um zu sehen, ob meine Community daran gedacht hatte. Als ich auf meine Pinnwand klickte, las ich mehrere Nachrichten mit etlichen Glückwünschen. Auf diese Leute war Verlass. Sogar Jen, die mir gestern noch versichert hatte, dass meine Lieblingsgeschichte nicht anders enden würde, hatte mir einen kurzen Text hinterlassen. „Happy Birthday *Grinse-Smiley*"

Schnell beantwortete ich die Nachrichten, um schließlich mein Handy zurückzulegen und mich umständlich aufzurappeln. Keine Ahnung, wie lange mich meine Familie in Ruhe lassen würde, ehe sie Mila wieder nach oben schickten, um mich zu holen. Ich sollte es wohl besser nicht herausfinden.

Langsam schlurfte ich ins Badezimmer und betrachtete mich im Spiegel. Ich sah genauso aus, wie ich mich fühlte. Scheiße. Geburtstag hin oder her. Meine braunen Locken waren total verwuschelt, sodass ich sicher einen riesigen Klecks Spülung einmassieren musste, um sie hinterher ordentlich kämmen zu können. Ich verdrehte die Augen, schnappte mir meine Zahnbüste und putzte mir ausgiebig die Zähne. Nachdem all der Belag runtergeputzt war, fühlte ich mich schon um einiges besser. Dann schlüpfte ich aus meinem Baumwollpyjama und ging unter die Dusche. Das heiße Wasser fühlte sich herrlich auf meiner Haut an, und ich genoss es minutenlang, ohne mich auch nur einen Zentimeter zu bewegen. Irgendwann begann ich schweren Herzens damit, meine Haare und meinen Körper einzuseifen.

Als ich fertig geduscht war, fühlte ich mich tatsächlich wie neu geboren. Leise summend trug ich etwas Fondation und Mascara auf und föhnte mir die Haare leicht an, ehe ich das Badezimmer in ein Handtuch gehüllt wieder verließ. Vor meinem Schrank hielt ich inne. Vorsichtig öffnete ich die Schwebetür, und mein Blick wanderte über den Berg an Klamotten, der chaotisch einfach auf sämtliche Fächer verteilt war. Ich entschied mich für schwarze Jeans, ein weißes T-Shirt mit Libellen-Druck und einen grauen Cardigan. Die Locken band ich mir zu einem hohen Pferdeschwanz zusammen und ging dann die Treppe hinunter. Je näher ich der Küche kam, desto lauter wurden die Geräusche von innen.

Noch einmal tief durchatmend trat ich in den Türrahmen und blieb dort stehen, bis sie mich entdeckten. Mein Blick huschte über meinen Vater, der wartend auf seinem Platz saß, eine kleine grüne Kaffeetasse in der Hand hielt und daran nippte. Daneben hatte mein Bruder Platz genommen. Linus trommelte nervös mit Zeige- und Mittelfinger auf die Tischplatte, hatte den Kopf auf der anderen Hand abgelegt und pfiff leise durch die Zähne. Juna füllte gerade Saft und Wasser in die Kanne, während meine Mutter mit dem Rücken zu mir stand und irgendwas auf der Arbeitsplatte werkelte. Neben ihr befand sich Mila und hielt ein Messer in der Hand.

Versonnen grinsend sah ich mich weiter um. Auf dem freien Platz ganz außen links saß jemand, mit dem ich nicht im Geringsten gerechnet hatte. Die Person war vollkommen fehl am Platz, und doch wusste ich ganz genau, wer das war.

Was zur Hölle?

Ich blinzelte.


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1096 Wörter

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