|1|holpriger Start

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Tessa

„Miss Chambers, es tut mir wirklich außerordentlich leid für Sie, aber es sind keine Zimmer mehr verfügbar."

Die Lady hinter dem Tisch sieht mich gespielt mitleidig an. Ich bin mir zu fast tausend Prozent sicher, dass es sie nicht interessiert, dass ich jetzt keinen Platz zum Schlafen habe. Aufgrund eines Fehlers im System, wurde mein Zimmer im Wohnheim bereits an ein anders Mädchen vergeben. Oder besser gesagt, wir beide wurden zusammen für denselben Platz gebucht und sie war nun vor mir da, weshalb sie das Zimmer bekommen hat.

Mein Herz wummert mir in der Brust, meine Hände werden feucht. In Gedanken gehe ich bereits durch, was ich tun könnte. Meine Ersparnisse reichen mir gerade einmal für eine Woche in einem Hotel, das Essen und sonstige Ausgaben nicht einberechnet. Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren, um eine Lösung für mich zu finden, was eigentlich die Aufgabe der Verwaltung wäre.

Mit meiner Sporttasche über der Schulter und dem Koffer neben mir stehe ich da und sehe sie abwartend an.

Sie wirft einen Blick auf den Computer vor ihr, klickt einige Male herum, doch ich habe keine Hoffnung mehr. „Wir haben leider alle Plätze belegt. Wir werden Sie aber selbstverständlich unverzüglich kontaktieren, sobald einer frei wird. Warten Sie einfach ein paar Monate bis zu den Midterms, da werden uns die ersten verlassen."

Bis zu den Midterms kommt es mir wie eine Ewigkeit vor. Wie soll ich einige Monate ohne Schlafplatz mein Stipendium behalten? Ich brauche es ganz dringend. Mir wird zwar von meinem Stipendium als Schwimmerin nicht die Wohnung oder dergleichen bezahlt, dafür aber die ganzen Gebühren, um zu studieren. Somit muss ich zwar noch ein bisschen was dazulegen, jedoch ist es um einiges günstiger, als der volle Preis, den meine Eltern sich nicht mehr leisten können.

Sie haben mir zwar nicht gesagt, dass das so ist, jedoch habe ich sie eines Abends unten reden gehört. Sie haben laut darüber diskutiert, wie sie denn nun mein Studium finanzieren sollen, nachdem meine Mom krank geworden ist und sich die ganzen Rechnungen stapeln. Ich bin oben an der Treppe geblieben und habe seitdem nur noch Bestnoten geschrieben und im Schwimmteam Bestleistungen gebracht. Als dann dafür der Brief kam, dass ich an der Brighten-University mit einem Stipendium studieren kann, war die Erleichterung umso größer und die anderen Zusagen vergessen. Die Sache war entschieden.

Abgesehen von dem finanziellen Vorteil hat Brighten das beste Schwimmteam im Land. Wenn du hier gesehen wirst, dann sind dir die Meisterschaft und die Olympischen Spiele so gut wie garantiert.

Ich seufze auf. Für einen Moment schließe ich die Augen, um mich zu sammeln, denn sonst würde ich sicherlich entweder in Tränen ausbrechen, weil mein Traum gerade wie eine Blase zerplatzt ist, oder aber ich würde die Dame vor mir anschreien. Und beides bringt mich hier nicht weiter.

Tiefe Atemzüge, Tessa. Einatmen, ausatmen.

„Gibt es nicht etwas, was ich tun kann? Jemanden, an den ich mich wenden kann?", will ich verzweifelt wissen.

Sie sieht mich wieder an. Ihre Augenbrauen sind zusammengezogen und diesmal kann ich echtes Mitleid hinter ihren Augen erkennen. „Es tut mir wirklich sehr leid. Aber das hier ist eigentlich die Anlaufstelle für solche Probleme. Ich fürchte, ich kann Ihnen nicht weiterhelfen, Miss Chambers."

Ergeben umfasse ich den Träger meiner Sporttasche und blicke auf meine weißen, abgenutzten Nikes. Wie soll ich auf die Schnelle noch eine Wohnung finden, die in mein Budget passt und auch nicht zu weit weg vom Campus ist? Das bringt mich auf das nächste Problem. Ich brauche dringend einen Job. Das ist wohl meine nächste Mission, doch vorher brauche ich einen Platz zum Schlafen. Und da mir die Dame nicht helfen kann, nehme ich meinen Koffer, verabschiede mich und verlasse das Backsteingebäude und trete hinaus in die warme Luft von Oregon.

One KissWhere stories live. Discover now