Zander
„Zander!", schreit mein Bruder. „Wo bist du?"
Das Rot wird übermächtig. Es breitet sich von einem Ende ans andere aus, der Rauch versperrt mir die Sicht und lässt mich unkontrolliert husten. Etwas fällt zu Boden, Mason schreit auf und ich stolpere.
„Ich bin hier! Mason!" Ich renne geduckt Richtung Haustüre. Die Flammen um mich herum scheinen alles zu verschlingen, was ihnen in die Quere kommt. Sie töten alles, was sie finden. Erbarmungslos schlängeln sie sich die Wände empor. Der Boden ist rot, die Luft ist heiß und ich kann nichts erkennen. Es piepst unaufhörlich. Ob in meinen Ohren oder vom Feuermelder, keine Ahnung.
„Zander!" Mason war gerade noch hinter mir, doch jetzt ist er in den Flammen verschwunden.
Ich rufe nach meinem Bruder, doch es hilft nichts. Ich kann ihn nicht sehen. Es ist so heiß und die Flammen lassen alles verschwommen sehen. Nicht einmal meine Hand kann ich erkennen, weil es in meinen Augen brennt.
Etwas stürzt ein und ich zucke zusammen. Holz knistert, aber nicht so beruhigend wie beim Lagerfeuer, sondern bedrohlich. Es hört sich an wie der Untergang.
Panisch drehe ich mich um. Ich entdecke Mason wenige Meter hinter mir. „Lauf, Zander. Ich komme gleich raus!", ruft er mir über die Flammen hinweg zu.
Und weil er mein großer Bruder ist, und weil ich ihm blind vertraue, renne ich los. Über die Flammen hinweg zur Haustüre. Draußen angekommen schlägt mir die frische Luft entgegen. Zu meinem Entsetzen werden die Flammen im Haus höher. Es scheint, als würden sie wie Drachenzungen nach mir greifen wollen. Ich zucke zurück.
Sirenen erklingen aus der Ferne, doch sie sind viel zu weit weg, um noch rechtzeitig hier aufzukreuzen. Das weiß ich.
In der nächsten Sekunde ertönt ein ohrenbetäubender Knall.
Einige Fenster zerspringen und das untere Stockwerk spuckt Flammen.
Entsetzt behalte ich die Eingangstüre im Blick.
Aber von Mason ist noch nichts zu sehen.
„Mason!", rufe ich. Panik kommt in mir hoch.
Doch es kommt nichts. Tief in mir weiß ich, dass es zu spät ist. Aber ich weigere mich der Realität ins Auge zu sehen. Die Leute in den Filmen kommen doch immer wie Helden aus so einer Explosion hervor. Mason auch. Er ist doch der Goldjunge. Ihm kann nichts passieren. Er ist doch mein großer Bruder.
„Mason!", brülle ich nun aus vollem Halse. Mein Unterarm beginnt langsam zu schmerzen, doch das ist nichts im Vergleich zu dem Schmerz, der sich in meiner Brust breit macht. Er ist nicht schnell. Er sticht nicht, sondern frisst sich langsam durch. Stück für Stück, Zentimeter für Zentimeter breitet er sich in mir aus. Quälend langsam nimmt er mich in Besitz. Er frisst sich vor bis in meine Knochen, nistet sich in meinem Magen ein. Kalter Schweiß bricht mir aus.
Die Sirenen rücken immer näher, aber es ist vorbei.
„Mason!"
Sie sind zu spät. Mein großer Bruder ist fort. Und es ist meine verdammte Schuld.
Als sich eine Hand auf meine Schulter legt, schrecke ich hoch.
Blinzelnd nehme ich meine Umgebung wahr. Ich atme ziemlich schnell, mein Herz wummert in meiner Brust, das Blut rauscht mir in den Ohren, Adrenalin pumpt durch meinen Körper. Ich bin schweißgebadet und mein Hals fühlt sich trocken an.
Ich schnappe nach Luft, aber es scheint nicht genug zu sein.
„Ruhig", ertönt eine Stimme neben mir.
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One Kiss
General FictionTessa Chambers. Ambitioniert, selbstsicher und leidenschaftliche Schwimmerin. Sie zieht für ihr erstes College-Jahr nach Brighten und als sie auf einmal ohne einen Platz zum Schlafen dasteht, scheint ihr Bruder die Lösung zu sein. Tessa arbeitet run...