Zander
Nachdem Caleb aufgelegt hat, habe ich schnell ein Shirt und eine Hose in einen Rucksack gestopft. Auf meinem Handy buche ich gerade einen Flug nach Denver. Er geht in einer Stunde, aber zum Glück habe ich kein Gepäck zum Aufgeben, sodass ich, am Flughafen endlich angekommen, ohne Probleme durch die Security komme und mich außer Atem auf meinen Platz fallen lasse.
Helen hat Krebs. Und sie liegt im Krankenhaus.
Alles, woran ich im Moment denken kann, ist Tessa. Wusste sie davon? Wieso hat sie mir nichts gesagt? Sie geht gerade bestimmt durch die Hölle. Alle meine Instinkte konzentrieren sich auf Tessa.
Es hat keine Sekunde gedauert, als Caleb angerufen hat, um zu wissen, dass etwas nicht gestimmt hat. Und es hat noch weniger gebraucht, um meine Entscheidung zu treffen. Mein bester Freund braucht mich jetzt. Genauso wie Tessa.
Somit stehe ich nur vier Stunden nach Calebs Anruf vor einem hübschen weißen Haus. Er hat gesagt, dass er mit seinem Dad wieder daheim ist, um alles für den Krankenhausaufenthalt vorzubereiten.
Ich klingele. Meine Hände sind feucht, weshalb ich sie schnell an meiner Jeans abwische.
Die Türe geht auf und ich stehe Michael gegenüber. Der Mann von damals hat nun grau meliertes Haar und einige Lachfältchen dazu gewonnen. Seine braunen Augen sind dennoch genauso warm, wie ich sie in Erinnerung habe. Er scheint abgenommen zu haben, und das, obwohl er davor auch nicht sonderlich dick war. Scheinbar ist die Krankheit seiner Frau auch an ihm nicht spurlos vorbeigezogen.
Ich kann den exakten Moment festmachen, in welchem er realisiert, wer hier vor ihm steht. Seine Augen weiten sich, bevor seine Lippe beginnt zu zittern. Ehe ich mich versehe, zieht er mich in eine feste Umarmung, bei der er sein Gesicht in meinem Hals vergräbt.
„Zander, mein Sohn", murmelt er.
Meine Brust wird enger und meine Augen beginnen zu brennen.
„Schön, dich wieder zu sehen."
Mit so einer Begrüßung habe ich sicher nicht gerechnet. Aber sie erinnert mich an früher. Wie Michael mich bei sich aufgenommen hat, als meine Eltern wieder bis spät abends gearbeitet haben. Wie er mit mir am Tresen heiße Schokolade getrunken hat. Seine Umarmung fühlt sich vertraut an und doch so fremd. Einfach weil mein Vater nicht so ist. Mein Herz beginnt sich zu entspannen, als ich seinen Duft einatme.
„Hallo, Michael." Ich strahle ihn an, nachdem er mich von sich geschoben hat.
„Komm rein, mein Junge."
Und erneut habe ich das Gefühl, als würden seine Worte etwas tief Verborgenes in meiner Brust wieder zusammensetzen, von dem ich nicht wusste, dass es gebrochen war. Ich trete ins Haus. Es ist genauso hell eingerichtet wie ihr altes Haus. Genauso warm und heimelig.
„Zander!" Caleb kommt gerade die Stufen runter. Er macht keinen Halt. Stattdessen lasse ich meinen Rucksack fallen und er wirft sich mir in die ausgebreiteten Arme.
Sobald er sich von mir gelöst hat, frage ich: „Wie geht es Helen? Was ist überhaupt passiert?"
Michael lächelt mich schmallippig an. „Es geht schon. Heute Früh war ihr schwindelig, aber sie hat mir nichts gesagt. Sonst wäre ich... sonst wäre ich doch nie..." Er legt sich eine Hand an die Stirn.
„Dad. Es war doch nicht deine Schuld. Tessa war ja da." Caleb legt eine Hand auf Michaels Schulter.
Dieser aber sieht ihn nur an. „Ja. Aber Tessa musste damit alleine klarkommen. Sie musste eure Mutter eigenhändig wiederbeleben, Caleb."
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One Kiss
General FictionTessa Chambers. Ambitioniert, selbstsicher und leidenschaftliche Schwimmerin. Sie zieht für ihr erstes College-Jahr nach Brighten und als sie auf einmal ohne einen Platz zum Schlafen dasteht, scheint ihr Bruder die Lösung zu sein. Tessa arbeitet run...