Zander
Ich kann es nicht glauben. Tessa ist bei uns eingezogen. Seit zweieinhalb Jahren habe ich sie nicht mehr gesehen. Seit sie mit ihrer Familie umgezogen ist, habe ich sie nicht mehr jeden Tag in der High School sehen können. Und dann bin ich aufs College gegangen. Doch auch dadurch ist der Kontakt nicht abgebrochen. Ich habe Tessa weiter geschrieben, sie hat mir geantwortet. Doch irgendwann wurden ihre Briefe weniger. Ihre Nachrichten hörten schließlich gänzlich auf, auch von Caleb kam fast nichts mehr.
Bis wir zusammen auf demselben College gelandet sind. Wir haben uns mit sechzehn vorgenommen, an die Brighten-University zu gehen und für die Panthers zu spielen. Daran haben wir uns beide gehalten.
Aber von Tessa habe ich Jahre nichts gehört. Bis jetzt.
Früher haben wir drei immer mal wieder etwas zusammen gemacht. Ich war zwar mit Caleb als erstes befreundet, doch ich habe mich mit Tessa mindestens genauso gut verstanden. Für mich war sie immer die kleine Schwester meines besten Freundes. Ich habe sie aber nie als Anhängsel empfunden. Jedes Mal, wenn wir etwas unternommen haben, habe ich ihre Gegenwart sehr genossen. Irgendwann sogar so sehr, dass ich sie Calebs vorgezogen habe.
Und jetzt, wo sie so vor mir steht, bereue ich es, mich nicht mehr bemüht zu haben, den Kontakt aufrecht zu erhalten.
Aber ich habe vor zwei Jahren den Kontakt zu fast jedem meiner Freunde abgebrochen.
Das war die Zeit, in welcher mein Vater angefangen hat, mich zu verprügeln. Er hat immer akribisch drauf geachtet, dass es niemand mitbekommen würde, also hat er stets meinen Rücken benutzt. Doch eines Tages ist es so ausgeartet, dass er mich mit dem Gürtel im Gesicht erwischt hat. Seit dem habe ich dort auch die kleine Narbe, von der jeder denkt, ich hätte sie bei einer Schlägerei bekommen.
So ganz gelogen ist es ja nicht. Aber eben auch nicht die ganze Wahrheit.
Ich habe schon seit Kindertagen eine strenge Erziehung von ihm genossen, von der Mom nichts weiß, dafür hat er gesorgt. Aber je älter ich wurde, desto extremer wurde er. Im letzten Jahr in der High School hat er zum ersten Mal seine Hand an mich gelegt. Seit dem scheint er süchtig danach geworden zu sein, mich zu bestrafen und ein paar Wochen später kam der Gürtel dazu. Die blauen Flecken haben ihm nicht mehr gereicht. Nein, er wollte Blut sehen. Jedes Mal, wenn ich etwas tue, was ihm nicht gefällt, packt er den Gürtel aus.
Unbewusst spanne ich meine Rückenmuskulatur an, als könnte ich die Hiebe noch immer spüren.
Doch davor kam der Unfall...
Tessa schnippelt weiter, keiner sagt ein Wort.
Ich beobachte sie von der Seite. Ihre schwarzen Haare sind länger geworden, ihre sonnengeküsste Haut leuchtet und ihre blauen Augen sind von dichten, langen Wimpern umrahmt. Ich weiß nicht, wieso, aber früher sind mir die Sommersprossen, die sich unterhalb ihrer Augen sammeln, nie wirklich aufgefallen.
Ich lasse meinen Blick weiter runter wandern. Ihr Körper hat eine schöne Form angenommen. Rundungen an genau den richtigen Stellen. Das Mädchen von früher ist zu einer jungen Frau geworden. Einer attraktiven noch dazu.
Aber nicht nur ihr Körper hat sich verändert. Mir scheint, als läge eine gewisse Last auf ihr. Ihre Augen leuchten immer noch blau wie das Poolwasser, in welchem sie Stunden ihres Lebens verbracht hat, aber eine Art Schatten hat sich über sie gelegt.
Ich erwische mich bei dem Gedanken, gerne zu erfahren, was bei ihr los ist.
Doch genauso schnell, wie der Gedanken gekommen ist, ist er auch wieder verschwunden. Sie ist Calebs kleine Schwester, mahne ich mich. Und du gehst keine Beziehungen ein, Williams.
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One Kiss
General FictionTessa Chambers. Ambitioniert, selbstsicher und leidenschaftliche Schwimmerin. Sie zieht für ihr erstes College-Jahr nach Brighten und als sie auf einmal ohne einen Platz zum Schlafen dasteht, scheint ihr Bruder die Lösung zu sein. Tessa arbeitet run...