Sillír

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Alle Anwesenden, einschließlich der Königin selbst, starren den Neuankömmling fassungslos an. Sillír steht etwas abseits von Marlon und Zabel, denen jegliche Muskelspannung aus dem Gesicht zu fallen scheint. Marlons Finger klammern sich um das Glas in seiner Hand. Jeder wirkt überrascht von der plötzlichen Wendung.
  
Schließlich räuspert Zabel sich. „Das könnte jetzt jeder behaupten.“
  
„Wir haben eine Möglichkeit, herauszufinden, ob sie die Wahrheit spricht“, bietet Sillír ohne zu Zögern an.
  
Marlon sieht ihn mit gerunzelter Stirn an. „Glaubst du, das wird funktioniert?“
  
Leicht zuckt Sillír mit den Schultern. Es gibt keine Garantie, dass seine Fähigkeit anschlägt, bloß weil er jemanden Haut an Haut berührt, da wird er sein Gegenüber nicht belügen.
  
„Einen Versuch ist es wert“, meint er stattdessen.
  
Marlon nickt zustimmend. „Nun gut, dann versuchen wir es.“
  
„Was gedenken Sie zu versuchen?“, fragt die Königin in angespannter Haltung. Ihre Hände verkrampfen sich um den schwarzen Stoff ihres Trauerkleides. Zum ersten Mal seit längerer Zeit zeichnet sich Sorge in ihrem Blick ab. „Was haben Sie vor?“
 
„Unser Fae hier kann herausfinden, wer die Wahrheit sagt“, erklärt Marlon ruhig. „Dafür muss er Euch nur Haut an Haut berühren.“ Er wendet sich an die Frau des Kronprinzen. „Darf ich Euch bitten?“
  
„Du musst das nicht tun“, wispert die Königin dieser zu. „Ich habe das hier im Griff. Geh du nur und kümmere dich um meinen Enkelsohn.“
  
Die Prinzengemahlin schüttelt den Kopf und ergreift die Hand ihres Gegenübers. „Nein. Ich danke dir für deine Hilfe, aber ich kann nicht zulassen, dass eine Unschuldige für meine Tat, gerechtfertigt oder nicht, gehängt wird.“ Die beiden schauen einander direkt an. „Versprich mir nur, dass du dich um meinen Sohn kümmerst.“
  
Tränen schimmern in den Augen der Königin. „Du hast den Mut gefunden das zu tun, was ich schon längst hätte tun sollen. Natürlich werde ich mich um ihn kümmern, wenn ich dich schon nicht dazu bewegen kann, dich hier rauszuhalten.“
  
Sillír kneift die Augen zusammen. Es ist also tatsächlich so, wie er es von Anfang an vermutet hat. Die Königin und die Frau des Kronprinzen stecken nicht nur unter einer Decke, sie haben den König auch aus einem bestimmten Grund getötet und der ist nicht, dass sie sich einen erneuten Krieg wünschen. Er schluckt schwer.
  
„Ich bin bereit!“, meint die Prinzengemahlin in festem Tonfall und wendet sich an ihn.
  
Sie kommt ein paar Schritte auf ihn zu und streckt ihm ihre entblößte Hand entgegen, die soeben noch von einem samtenen Handschuh bedeckt gewesen ist. Sillír ergreift diese und schließt die Augen.
  
Es dauert tatsächlich nicht lange, da durchzucken Lichtblitze sein inneres Sichtfeld und wenige Sekunden später sieht er das Bild jener Frau, deren Hand er gerade hält, vor seinen geschlossenen Lidern.

In Anwesenheit der Königin und ihres Mannes befindet sie sich in dessen Gemach. Der König sitzt eingesunken auf seinem Himmelbett, sein plumpes Gesicht ist gerötet, als hätte er bereits zu viel getrunken.
  
Dennoch schenkt die Königin einen weiteren Kelch Wein ein und die Frau des Kronprinzen nimmt diesen entgegen. Sie lässt ein Pulver aus einer kleinen Phiole hineinrieseln, bevor sie ihn an das Opfer weiterreicht.
  
Sillír schnappt nach Luft und blinzelt, während er aus seiner Vision auftaucht. Er atmet tief durch und schaut zunächst in die geweiteten Augen der Prinzengemahlin, dann in die Runde.
  
„Sie spricht die Wahrheit.“

[ONC 2024] Detektiv Schwarzherz und der Fall des KönigsUnde poveștirile trăiesc. Descoperă acum