Schmerz der Erinnerung

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Kaum ist es hinter den kleinen Fenstern meiner Wohnung vollständig dunkel, da klopfe ich an die Tür meines Zimmers, in das Sillír sich kurz nach unserem Abendessen zurückgezogen hat. Es dauert eine Weile, bevor sie sich einen Spaltbreit öffnet und der Fae linst zu mir heraus. Seine violettgrünen Augen glimmen im orangegelben Schein der Öllampe auf, die ich in der Hand halte.

Ich lächele ihn sacht an. „Na?"

„Ist etwas nicht rechtens?", fragt Sillír, ohne sich seine Gefühlslage deutlich anmerken zu lassen. Dennoch bin ich mir sicher, dass er überrascht ist.

„Ich möchte dir etwas zeigen", erkläre ich und strecke ihm meine freie Hand entgegen. „Also, kommst du mit?"

Sillír zögert, sein trüber Blick ist auf meine Hand gerichtet. Dann schaut er wieder zu mir auf und diesmal meine ich einen Hauch von Unsicherheit in seinen Zügen erkennen zu können. Aber eben nur einen Hauch, der augenblicklich schwindet, sodass es ebenso gut ein Hirngespinst gewesen sein könnte.

„Was gedenkst du mir zu zeigen?", möchte er wissen.

Nahezu schalkhaft wackele ich mit den Augenbrauen. „Das wirst du schon sehen. Aber glaube mir", ich werde ernst, „es wird dir gefallen. Das verspreche ich."

Leicht zucken Sillírs Ohren und er beißt sich auf die Unterlippe, bevor er kurz entschlossen meine Hand ergreift und sich aus meinem Zimmer in Richtung Garderobe ziehen lässt.

Eiligst ziehen wir uns Schuhe, Mäntel und Hut an und verlassen auf leisen Sohlen das Haus. Bei jedem Schritt, der auf den Stufen der schmalen Treppe hinunter in den Flur knarzt, zucke ich zusammen und hoffe inständig, dass Frau Hagelwetters Schlaf tief genug ist.

Erst als ich die Haustür hinter mir ordentlich verschlossen habe erlaube ich mir durchzuatmen und fülle meine Lungen mit der angenehm kühlen Nachtluft. Der Himmel ist klar, das silberne Licht des Mondes vermischt sich mit dem goldenen der Straßenlaternen. Sterne sind wie immer kaum zu sehen.

„Wohin bringst du mich?", fragt Sillír, während wir durch die leeren Straßen Westhavens streifen.

Doch ganz so ziellos, wie er wahrscheinlich vermutet, führe ich ihn nicht durch die Stadt. Ich weiß ganz genau, wo ich hinwill. Ich bleibe aufmerksam, damit wir nicht überrascht werden.

Bereits nach wenigen Minuten erreichen wir eine weitläufige Grünfläche, die von Bäumen und Sträuchern bewachsen ist. Schmale Wege aus Erde und Kies, ebenfalls von Laternen erhellt, bringen uns zu einem kleinen See inmitten des Parks.

Ruhig liegt die Wasseroberfläche vor uns, nur leicht kräuselt sie sich im Spiel des Windes. Langer Schilf wiegt sich hin und her, der Ruf eines Kauzes durchdringt die Stille.

Ich bringe Sillír zu einer Bank am Ufer und lasse mich auf ihr nieder. Mein Begleiter zögert einen Augenblick, ehe er sich neben mich auf das Holz sinken lässt.

„Was tun wir hier?", möchte er wissen, den Blick stur geradeaus gerichtet.

Obwohl ich weiß, dass er mich nicht direkt ansieht lege ich einen Finger an meine Lippen. „Shh, wir haben sie wahrscheinlich verschreckt, als wir hergekommen sind. Vielleicht kommen sie wieder, sobald wir leise genug sind."

Tatsächlich senkt Sillír die Stimme, als er weiterredet: „Wovon sprichst du?"

Doch ich antworte nicht und so sitzen wir schweigend da und warten. Schon glaube ich heute kein Glück mehr zu haben, als knapp über der Wasseroberfläche ein Lichtpunkt aufleuchtet.

Mein Herz macht einen aufgeregten Satz, während ein Glühwürmchen nach dem anderen aufglimmt. Zuerst nur über dem See, dann genau vor unseren Augen, bis die kleinen Tierchen um uns herumschwirren.

[ONC 2024] Detektiv Schwarzherz und der Fall des KönigsWo Geschichten leben. Entdecke jetzt