𝐬𝐞𝐜𝐡𝐬𝐮𝐧𝐝𝐯𝐢𝐞𝐫𝐳𝐢𝐠 - 𝐝𝐢𝐞 𝐏𝐨𝐥𝐢𝐳𝐞𝐢

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Ivana

Wir fuhren bestimmt noch zehn, vielleicht fünfzehn Minuten durch die Dunkelheit. Ich wusste es nicht genau, ich zählte nicht die Sekunden, sondern nur die Laternen, die ab und zu flackernd über uns hinwegzogen.

Die Frau sagte nichts mehr. Vielleicht, weil sie merkte, dass jedes weitere Wort an mir abprallen würde. Ich war nicht mehr richtig anwesend. Ich saß zwar da, aber mein Kopf war woanders. Immer noch bei dem kalten Boden, bei Marcos Atem, bei der Schere in meiner Hand, bei dem Blick dieses Mannes auf der anderen Straßenseite.
Ich zitterte immer noch.

Doch dann sah ich es.
Ein Schild.
Polizeistation – 2 km.

Mein Körper zuckte unwillkürlich.
Ich richtete mich ein wenig auf. Meine Finger klammerten sich an den Stoff des Autositzes, während mein Blick sich an das kleine grün-weiße Schild klammerte wie an einen rettenden Strohhalm.

Zwei verdammte Kilometer. Nur noch zwei.

Die Straße wurde breiter, hin und wieder fuhr uns ein Auto entgegen und jedes Mal zog ich automatisch den Kopf etwas ein, aus Reflex, aus Angst, gesehen zu werden.
Dabei war es doch genau das, was ich wollte: gesehen werden. Gehört werden. Gerettet werden.

„Da vorne", sagte die Frau plötzlich. Ihre Stimme war wieder etwas gefasster, entschlossener.
Ich hob den Kopf.

Und dann sah ich es.
Das Blaulicht auf dem Dach.
Ein kleiner, heruntergekommener Klotz aus Beton, kaum beleuchtet, aber ich erkannte das Schild sofort.

Polizeidienststelle.

Sie fuhr auf den Parkplatz, stellte den Motor ab.
Ich saß einfach nur da. Bewegte mich nicht. Starrte die Tür an, als wäre sie wieder verschlossen.

„Willst du, dass ich mit reinkomme?" fragte sie vorsichtig.

Ich schüttelte den Kopf.
Langsam, mechanisch, wie eine Puppe, die gerade erst wieder das Leben lernt.

Dann öffnete ich die Tür.

Die Kälte schlug mir sofort entgegen, biss sich in meine nackten Füße. Der Steinboden fühlte sich plötzlich noch kälter an, noch härter. Aber ich ging.
Ich ging, Schritt für Schritt, als würde ich in ein neues Leben treten oder in mein eigenes Verhör.

Die Tür der Wache ging automatisch auf. Grelles Licht. Der Geruch von Kaffee und Papier.
Und dann stand ich da.
Zerzaust. Barfuß.
Blut an den Händen.

Ein Beamter am Tresen sah auf. Erst überrascht, dann ernst.

„Kann ich Ihnen helfen?" fragte er.

Ich hob den Kopf.

„Ich wurde entführt", sagte ich.
Meine Stimme war fest.
Endlich.

„Und ich habe mich befreit."

Der Beamte starrte mich an, als hätte ich ihm gerade eine Bombe auf den Tresen gelegt.
Was ja irgendwie auch stimmte.
Ich stand da barfuß, verwahrlost, blutverschmiert und meine Stimme hatte kaum den Raum verlassen, da sprangen schon zwei andere Polizisten auf. Einer ging ans Telefon, der andere trat auf mich zu.

„Setzen Sie sich bitte", sagte er ruhig, beinahe sanft.
Ich nickte nur und ließ mich in einen der unbequemen Plastikstühle fallen. Meine Knie zitterten. Ich wollte stark wirken, aber mein Körper hatte längst die Kontrolle übernommen.
Ich war nur noch eine Hülle mit einer Geschichte.

Kurze Zeit später saß ich in einem kleinen Raum. Vier Wände, ein Tisch, zwei Stühle.
Die Luft roch nach Metall, nach Schweiß und alten Geheimnissen.

Alejandro Sanchez | Dark RomanceWhere stories live. Discover now