4.

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Ich lasse meinen Rücken auf den Boden gleiten, strecke mich. Mit der rechten Hand streiche ich mir eine nasse, leuchtend türkisfarbene Haarsträhne aus dem Gesicht und öffne den Mund, strecke die Zunge heraus und trinke den Regen, der die schönsten Erinnerungen auf mich herabrieseln lässt, während er die schlechten Jahre wegspült.
Ich habe mich schmutzig gefühlt. Ich habe mich wertlos gefühlt. Gefangen in meinen eigenen Gedanken und in einer Welt, in der ich meine Meinung besser für mich behielt. Anfangs dachte ich sogar, ich würde dort sterben. In einer Zelle. Verrecken wie Ungeziefer, denn genau das war ich für sie: Ungeziefer.
Ich habe überlebt. Ich weiß nicht, ob sie mich einfach vergessen haben. Oder ob die Richter mich verschont haben, weil ich so jung war oder weil ich gebildeter war, als viele anderen oder weil sie an dem Tag einfach guter Stimmung waren.
Ich weiß nur, dass mich die neue Regierung nach den Bürgerkriegen der letzten Jahre, von denen ich bis vor zwei Tagen nichts wusste, befreit hat. Mich. Befreit.
Meine Knie sind noch immer verschrammt und meine Haut noch immer blass und durchscheinend, mein Körper ist noch immer halb abgemagert und meine rechte Augenbraue noch immer angeschwollen, von dem Schlag, den mir einer dieser verrückten Wächter verpasst hat. Aber das alles spielt keine Rolle, weil ich frei bin. Frei!
Ich fange wieder an zu Lachen, weil ich das Glücksgefühl einfach nicht in mir drin behalten kann, wie die ganzen anderen Dinge, die ich in den letzten zwanzig Jahren wortlos herunterschlucken musste.
Ohne es beeinflussen zu können, fangen meine Augen an, sich dem Himmel anzupassen und schütten ihrerseits nun kleine Wasserfälle über mein Gesicht. Ich lache und schluchze und setzte mich wieder auf, umarme mich selbst. Meine langen, dünnen Finger krallen sich in meine Haare, verfangen und verknoten sich. Ich möchte mich in mich selbst verkriechen wie so oft in der Vergangenheit. Möchte verschwinden und den Schmerz in meinem Magen verdrängen. Zugleich sehnt sich ein mir bisher fremder Teil danach, sich auszubreiten, sich zu bewegen, durch den Regen zu tanzen und endlich wieder glücklich zu sein.
Ich kaue auf meiner Unterlippe herum bis ich Blut schmecke und mir den metallischen Tropfen auf der Zunge zergehen lasse.

Irgendwie. Irgendwo. Irgendwann.Where stories live. Discover now